Street Worker
Jahrelang mussten sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Dann sang die ganze Welt ihren Hit Don't Speak. Und seither sind No Doubt nur noch on the road.
Gwen Stefani sitzt mit seitswärts angewinkelten Beinen auf dem Sofa und lacht. Der Kunstfellbezug hat die gleiche Farbe wie ihre Haare: Rosa. Ein Bild, das sofort ins Auge sticht. Nicht zuletzt, weil der Rest der Einrichtung des Zimmers im „Mondrian“, einem noblen Hotel in Hollywood, in schlichtem Weiß gehalten ist. Dazu trägt Gwen Stefani ein enges Top und eine ebenso knappe Hose. Vorbei die Zeiten, als sie mit Trainingshosen und Girlie-Shirts rumlief? „Mittlerweile fühle ich mich auch in edleren Klamotten ganz wohl. Sogar vor hohen Absätzen habe ich keine Angst mehr“, scherzt sie und deutet auf ihre Schuhe. Dazu hat sie dezentes Make-up aufgetragen, das die ersten Fällchen um Mund und Augen kaschieren soll. 30 ist sie unlängst geworden. Trotzdem haben sie Paparazzi vor kurzem mit einer Zahnspange erwischt. Das Magazin „People“ nutzte das Foto, um gleich einen neuen Trend auszurufen. „So ein Blödsinn. Als ob jemand nur so aus Spaß Metall im Mund trägt. Ich habe mir die Spange einsetzen lassen, um meine schiefen Zähne zu korrigieren“, lacht Gwen Stefani und präsentiert ihr makelloses Gebiss. Sie kann rundum zufrieden sein. Lind das nicht nur wegen ihren Zähnen. Das neue No Doubt-Album „Return Of Saturn“ ist nach endlosen Aufnahmesessions – endlich fertig. Lind zwei der neuen Tracks, „A Simple Kind Of Life“ und „Suspension Without Suspense“, stammen aus der Feder von Gwen. Ein wichtiger Schritt für sie, schließlich sind es die ersten Songs, die sie überhaupt geschrieben hat.
Angefangen hat sie als Background-Sängerin in der Band ihres Bruders. Eric Stefani gründet No Doubt Anfang 1987 zusammen mit John Spence. Von einer ernst zu nehmenden Band kann keine Rede sein. Die Idee entspringt einem Highschool-Spaß. Zusammen mit dem Bassisten Tony Kanal spielt man sich quer durch Kalifornien. Und hört dabei die gleiche Musik: Ska. Madness, The Specials, The Selecter heißen die Vorbilder des Quartetts, deren Songs bestimmen das Repertoire von No Doubt. Im Dezember ’87 begeht Spence Selbstmord. Trotzdem macht man weiter. Mit Gwen als Sängerin. An die große Karriere glaubt niemand. Am wenigsten die Band. Gwen jobbt in einer Filiale der Eisdielen-Kette „Dairy Queen‚. „Immer wenn der Filialleiter nach Hause ging, sind wir über das Eis hergefallen. Aber ich habe den lob gehasst. Ich bin dabei total fett geworden und die Putzerei war echte Sklavenarbeit. Ich musste die Tische und die Stühle mit einer Zahnbürste schrubben, um das klebrige Zeug wegzukriegen“, erinnert sie sich. Als Gitarrist Tom Dumont und Schlagzeuger Adrian Young dazustoßen, komplettiert sich zwar das Line-up, doch No Doubt bleiben nur eine der zahllosen Garagen-Combos, die Ende der 80er im vom Ska-Fieber befallenen Kalifornien durch die Gegend lärmen. Trotzdem erspielen sie sich eine kleine Fangemeinde und ergattern einen Plattenvertrag bei lnterscope. Das Debütalbum („No Doubt“),erscheint 1991 – und floppt. Die Plattenfirma dreht den Geldhahn wieder zu. „Wir waren damals so jung, Gwen 22, ich 21, und hatten keinen blassen Schimmer davon, wie man eine Platte aufnimmt. Wir waren das erste Mal in einem Studio, abgesehen von ein paar amateurhaften Demo- aufnahmen. Trotzdem mag ich die Plane. Es mangelt ihr leider nur an einer klaren Richtung.“ So weit Tony Kanal, der an diesem Tag nach Gwen Stefani Rede und Antwort steht. Und wirklich, das Album ist durchaus hörenswert, eine knallige Wundertüte voller Gute-Laune-Songs. Viel Keyboard, viele Bläser, prima Partymusik. Im Nachhinein jedoch verständlich, dass die Scheibe im damaligen Klangspektrum völlig absäuft. Nirvana und Pearl )am geben in diesen Tagen die Richtung vor. Doch No Doubt lassen sich nicht entmutigen, spielen im Vorprogramm der Red Hot Chili Peppers und gehen auf eigene Kosten wieder ins Studio. Diesmal lautet die Devise: Punk. Das Ergebnis: „The Beacon Street Collection“. Diesmal greifen mehr Leute zu, es kommt genug Geld ins Haus, um noch eine Platte zu machen.
DIE PLRTTE NRMLICH, DIE NO DOUBT IN EINE völlig neue Umlaufbahn schießen wird: „Tragic Kingdom“. „Dabei hat uns die Plattenfirma nur halbherzig unterstützt. Wir mussten um Studiozeit betteln und für die Aufnahmen von Anaheim ins Zentrum von Los Angeles fahren. Wir haben genauso viele Stunden im Stau verbracht wie im Studio. Nebenbei ¿
mussten wir noch Geld mit Gelegenheitsjobs verdienen“, erinnert sich Tony Kanal. Eric Stefani, der Mitgründer und bis dato wichtigste Songschreiber der Band, gibt während der Aufnahmen entnervt auf. Er arbeitet fortan als Zeichner für die Serie „The Simpsons“ – wenige Monate bevor sich alles ändert.
Mit „Just A Girl“ und „Don’t Speak“ landen No Doubt zwei Volltreffer. „Es war, als ob wir den Jackpot geknackt hätten – nicht nur finanziell gesehen. Vorher hatten wir acht lahre lang gekämpft, uns Gehör zu verschaffen, und dafür unzählige Konzerte gespielt. Der Erfolg blieb aber aus, aus welchen Gründen auch immer. Und dann plötzlich touren wir durch die ganze Welt und werden überall von Fans empfangen, die unsere Songs auswendig kennen. Sowas ist einfach großartig“, schwärmt Kanal. „Tragic Kingdom“ hält sich über Monate in den Charts, verkauft weltweit mehr als 15 Millionen Stück. Gwen wird zur Sprecherin einer ganzen Generation von aufmüpfigen, selbstbewussten Girlies hochstilisiert. Widerwillen, denn „Just A Girl“ ist keineswegs ein feministisches Manifest, sondern so persönlich wie der Rest der Platte und erzählt eigentlich nur von Gwens gelegentlichen Ärgernissen: „Viele Menschen haben darin eine Kampfansage gesehen. Das war nicht meine Absicht“, stellt Gwen Stefani klar. „Ideologisch sind wir wirklich nicht.“
Dafür oberflächlich. So urteilen zumindest viele Kritiker. Was Tony Kanal nicht nachvollziehen kann: „Wir haben alles erlebt, worüber wir singen. Und wir sind nun mal eine Popband. Ich liebe Pop. Leider ist für viele Pop automatisch oberflächlich. Irgendwann haben mich die schlechten Kritiken dann kalt gelassen. Wir haben jeden Abend vor Tausenden von Leuten gespielt und dabei sie und uns glücklich gemacht.“ Die „Tragic KingdoirT-Welttournee wird immer wieder verlängert, dauert schließlich mehr als zwei Jahre. „Dass die Tour so lang werden würde, hätten wir nie gedacht. Aber weil wir so viel Spaß hatten und alle Termine ausverkauft waren, haben wir weiter gemacht.“
Am Ende der Tour ist die Band komplett ausgepowered, der Versuch, eine neue Platte einzuspielen, scheitert kläglich. „Im Juli 1998 sind wir zum ersten Mal ins Studio gegangen. Wir dachten, wir seien so weit. Als wir die Songs dann hörten, haben wir kalte Füße bekommen. Uns wurde klar, dass wir ziemlich weit entfernt von einer neuen Platte waren“, erinnert sich Gwen. Die Band zieht sich zurück.
In eine eigens für diesen Zweck angemietete Villa in den Hügeln Hollywoods. Eigener Pool, eigenes Studio, atemberaubender Blick über die Stadt. Immer wieder wird die Produktion verschoben. Irgendwann steht immerhin die Single „Ex-Girlfriend“. „Nachdem wir das hinbekommen hatten, wurde uns klar, dass wir mehr drauf haben als das, was wir bis zu diesem Zeitpunkt zusammengebastelt hatten. Also haben wir den Termin mit unserem Produzenten Glen Ballard noch einmal verschoben. Um eine Woche. Tony und ich sind während dieser Woche von morgens bis abends mit der Gitarre dagesessen und haben Blut und Wasser geschwitzt. Und nichts auf die Reihe bekommen. Keinen einzigen Song. Die Woche war schon fast um, und wir hatten kein einziges neues Lied. Am letzten Abend sprang mich dann die Melodie von ‚A Simple Kind Of Life‘ an. Sie kam aus dem Nichts. Bis heute weiß ich nicht, wie dieser Song entstanden ist, aber plötzlich hatte ich ihn! Last minute, gerade noch hinbekommen. Songwriting ist für uns wirklich harte Arbeit“, gesteht Gwen, „schlimmer als Fitness-Training.“ „Schau‘ uns doch an. Wir spielen seit 13 Jahren zusammen und haben nur vier Platten herausgebracht. Das ist eine miese Bilanz“, bekennt auch Tony Kanal. „Aber es ist uns wichtig, unsere eigene Musik zu schreiben, egal was dabei rauskommt und wie lange es dauert.
Jetzt ist „Return Of Saturn fertig, am 11. April steht das Album in den Läden. War auf „Tragic Kingdom“ noch die nach sieben lahren gescheiterte Beziehung von Gwen zu Kollege Kanal das Hauptthema, so dreht sich „Return Of Saturn“ mehr um die Selbstzweifel und Sinnlragen von Frau Stefani. Nachzuhören in Titeln wie „Marry Me“, „Artificial Sweetener“ und „A Simple Kind Of Life“. „Ich bin in einem Vorort aufgewachsen und habe früher wie alle meine Freundinnen immer gedacht, dass ich mal heiraten und Kinder bekommen würde“, sagt Gwen Stefani. „letzt bin ich 30, lebe in Tourbussen und stecke in einer Fernbeziehung mit einem Rockstar (BushSänger Gcwin Rossdale; Anm. der Red.). Was ist aus meinen früheren Träumen geworden? Sie spricht offen über ihre Verwirrung. Ihre Erwartungen wurden enttäuscht und übertroffen zugleich. „Ich bin schon glücklich mit meinem Leben, aber alles ging so schnell, und ich weiss nicht, wie ich an diesem Punkt angelangt bin, wo die einfachsten Sachen wie Ehe und Kinder so utopisch erscheinen.“ Welche Rolle spielt dabei ihre Beziehung zu Gavin Rossdale? „Ich habe mir nicht die einfachste Beziehung ausgesucht, Gavin lebt in England, ich in Kalifornien. Aber ich bedauere keine einzige Minute unserer Zeit zusammen. Gavin ist ein phantastischer Typ, von dem ich viel gelernt habe. Er hat mir die Schönheit Europas gezeigt und mir beigebracht, wie man empfindsame Texte schreibt. Ich glaube aber nicht, dass er No Doubl musikalisch beeinflusst hat.“ Das Album sei einfach „guter Pop“, versichert Tony Kanal. Ob es an den Erfolg des Vorgängers anschließen kann, weiß er nicht. „Das Problem ist, dass wir in keines dieser Genres passen, die zurzeit die US-Charts dominieren. Wir sind weder die Backstreet Boys noch Limp Bizkit.“ Egal, für guten Pop ist immer Platz.