Stören für die Evolution


Napster war ein brillanter Einfall – der laut Gründer Shawn Fanning angeblich mit Hilfe von Musikern wie Lou Reed, Neil Young und Joe Walsh finanziert wurde, da sich die „an den Plattenfirmen rächen“ wollten -und der Beginn einerneuen Zeitrechnung in der Musikindustrie. Doch die kleine Firma in Silicon Valley war, da die Daten über einen zentralen Server in den USA verschoben wurden, durch einen einfachen Gerichtsbeschlußzu stoppen. Auch gegen www.Kazaa.com wird seit 2001 geklagt, doch die Tauschbörse ist noch immer online. Das Peerto-Peer-Programm, das der Schwede Niklas Zennström und der Däne Janus Friis im Jahr 2000 verfügbar gemacht haben, wurde bis heute von 390 Millionen Menschen installiert, die in manchen Monaten bis zu drei Milliarden Dateien direkt von Festplatte zu Festplatte tauschten. Zahlreiche Länder haben inzwischen Gesetze verabschiedet, die Kazaa die Rechtsgrundlage entziehen, weshalb die beiden Skandinavier ihr Unternehmen für eine Million Dollar an eine australische Firma verkauft haben. Da die Recording lndustry Association of America allerdings nach einer erfolgreichen Klage in den USA noch immer den Kontakt zu Zennström und Friis sucht, haben die beiden seit drei Jahren nicht mehr amerikanischen Boden betreten. Trotz aller Vorsicht entkam Zennström im Herbst 2003 mit seiner Frau in London nur knapp einem Motorradfahrer, der den Auftrag hatte, eine gerichtliche Vorladung zu überreichen.

„Anarchist“ ist kein Wort, das die beiden gelassenen Computer-Nerds gerne hören. Ihre Erfindungen bezeichnen sie als „Störtechnologie“, die, wie sie argumentieren, dem Fortschritt dienlich sind. „Es gibt viele Beispiele dafür, daß Störtechnologie Evolution mitsich bringt“, sagte Zennström kürzlich Vanity Fair. „Der PC war eine enorm umwälzende technologische Erfindung. Genau wie die Eisenbahn und das Flugzeug. eBay und Amazon sind ebenfalls Firmen, die bestehende Strukturen auflösen.“

Um ungestört die Evolution vorantreiben zu können, haben Friis und Zennström ihren Firmensitz nach Tallinn in Estland verlegt, wo über die letzten zwei Jahre 140 Mitarbeiter an einem erneut höchst kontrovers diskutierten Projekt arbeiteten, das die 300 Milliarden schwere Telefon-Industrie ins Visier nimmt: Skype (www.skype.com) ist ein Viren-freies Programm, das es Usern mit Internet-Anschluß erlaubt, in ausgezeichneter Qualität über ihre Computer-Mikrophone und -Lautsprecher zu telefonieren. Weltweit und kostenlos. Bezahlt wird lediglich für Voicemail-Funktionen und Anrufe in das Festnetz, was dem Unternehmen bereits beachtliche Einnahmen beschert hat. Ob Skype in Deutschland und anderen Ländern zulässig ist – problemarisch ist zum Beispiel, daß keine Garantie für störungsfreie Notrufe gegeben werden kann und daß Gespräche wegen der verschlüsselten Datenübertragung auch in berechtigten Fällen nicht abgehört werden können -, interessiert Niklas Zennström und Janus Friis allerdings bereits nur noch am Rande. Die beiden haben im September einen spektakulären Deal mit eBay abgeschlossen und Skype für 2,6 Milliarden Dollar verkauft.