Steve Harley


Kurz bevor wir Steve Harley bei seinem letzten Besuch vor der Cockney Rebel Tournee im März in seinem Hamburger Hotel trafen, landete ein fotokopiertes Interview einer englischen Agentur in unserem Büro. Hier wurde ein reichlich desullusionierter Steve Harley skizziert, der sich recht düster über neue Erkenntnisse zum Thema Startum äußerrte. Ein wenig verwirrend klang das schon, denn gerade der Boß von Cockney Rebel hat nicht gerade durch falsche Bescheidenheit von sich reden gemacht, sonder war lange Zeit als überhebliches Großmaul verschien.

Neugierig, was jetzt plötzlich in ihn gefahren sein sollte, besuchten wir ihn im Hotel. Steve war zwar ein wenig sarkastisch aufgelegt, machte ansonsten aber einen recht fröhlichen Eindruck. Auf das Interview angesprochen, zog er eine seiner üblichen Grimassen und kratzte sich am Hinterkopf ( wie immer, wenn er scharf überlegen muß) und schüttelte dann den Kopf. „Keine Ahnung, kann mich absolut nicht dran erinnern. Ich kenne den Mann nicht!“ War also nichts mit Katzenjammer.

„Die Musikszene in Amerika ist das einzig Wahre!“

Trotzdem gibt er zu, nach seiner mehrwöchigen Tour durch die USA einen Aspekt des Musikmachens schätzen gelernt zu haben: „Die Musikerszene in Amerika ist das einzig Wahre. Ich habe fantastische Musiker gesehen, echte Musiker, die in winzigen Clubs auftreten. Diese Leute spielen nur aus Liebe zur Musik und verdienen im Endeffekt keinen Pfennig Geld! Dort ist der musikalische Standard weitaus höher als in Europa!“ Wenn man von einer Tour durch die Staaten zurückkäme, erklärte er, so fühlte man sich hierzulande erst einmal vie in einer Spielzeugstadt.

Amerika muß ihn ungeheuer beeindruckt haben. Nicht umsonst gibt es Passagen auf seiner neuen LP „Timeless Flight“, die man ihm nicht unbedingt zugetraut hätte. Funk und weibliche Chorstimmen sind offenbar für ihn noch im Bereich des Akzepablen anzutreffen. (Mehr zum Thema LP im Longplaylook.)

Steves Kommentar zu der LP lautet lakonisch: „I like it!“ Dabei räkelt er sich zufrieden in seiner Sofaecke und setzt ein Pokergrinsen auf, das man von keinem Foto kennt. Mit Vorliebe läßt er sich in mystisch-dramatischer Pose fotografieren oder als ernsthafter Gesprächspartner. Sitzt man ihm gegenüber, so blickt man jedoch nicht selten in das Ohrfeigengesicht eines halbwüchsigen Jungen, von dem man nicht weiß, ob er einen gerade foppen will oder nicht.

Analphabeten und gescheiterte Musiker

Schon möglich, daß er das hin und wieder versucht, denn sein gestörtes Verhältnis zur englischen Pop-Presse hält noch an. Daß er diesen „Analphabeten“, wie er das Gros der englischen Popschreiber nennt, sein zeitweise schlechtes Image (Großmaul usw.) verdankt, betont er noch heute. Bei diesem Thema kann er sich ungeheuer ereifern. „Ich lese keine englischen Popblätter, die interessieren mich gar nicht“, schimpft er und karikiert mit einer arroganten

Bewegung, indem er sich überheblich durchs Haar streicht, das Auftreten seiner Erzfeinde. „Das Problem ist doch, daß die meisten von ihnen gescheiterte Musiker sind. Ich habe den Journalismus gelernt, I was a fuckin‘ Journalist, und die wollen mir vormachen, wie man ihn praktiziert? Da kann ich doch nur lachen.“

Steve Harley, der die englische Popschreiber-Clique bis auf ein oder zwei Ausnahmen haßt wie die Pest, ignoriert die Musik-Presse seiner englischen Heimat jedoch durchaus nicht aus Dickfelligkeit. Trotz seines selbstbewußten Auftretens ist er zu sensibel, um zersetzende Angriffe ohne weiteres zu verkraften. Er ist in diesem Punkt ehrlich: So etwas verletzt ihn und hindert ihn am unbefangenen Arbeiten. Er vergißt jedoch nicht zu betonen, daß sich seine Aversionen allein gegen die englische Schreiberzunft richten.

Bei Cockney Rebel ist alles okay

Trotz aller Anfeindungen hat er sich aber ganz gut durchgeboxt. Auch innerhalb der Gruppe ist alles okay. Nachdem er sie erste Formation von Cockney Rebel bis auf Drummer Stuart Elliott nach kurzer Zeit heimgeschickt hatte und die Band neu formierte, gab es zwar wieder Unkenrufe. Die Zusammenarbeit ist offenbar für alle zufriedenstellend. Steve kneift bei entsprechenden Fragen ein Auge zu, grinst triumphierend und hält den Daumen in die Höhe. Er hat sogar noch zwei neue Leute engagiert: Stuarts Bruder Lindsay als Percussionisten und zweiten Drummer, und als Unterstützung für den Gitarristen Jim Cregan (früher Family) holte er Joe Partridge.

„Elton John — das ist Bay City Roller-Musik für Erwachsene“

Der gegenwärtige Teenybopper-Trend auf dem englischen Markt jagt Steve Harley keine Angst ein. Er ist sicher, daß ihm von dieser Seite keine Gefahr droht. „Die Bay City Rollers sind doch wundervoll — für die Kinder, die sie hören. Solche Gruppen haben ein festes Publikum. Elton John ist doch auch nichts anderes als Bay City Roller-Musik für Erwachsene. Ich kann mir sowieso nicht vorstellen, daß sich eine Sekretärin meine Platten kauft — die steht auf Elton John. Leute, die Steve Harley kaufen, müssen meine Texte verstehen. Das sind die Jugendlichen auf der Straße oder die College-Boys.“

Mit anderen Worten: Cockney Rebel ist nichts für den oberflächlichen Musik-Konsumenten. Ohne auf den breiten Markt zu spekulieren, sondern nach dem Motto „Mein Publikum muß zu mir kommen, ich mache keine Zugeständnisse“ arbeitet er weiter an seiner Rolle als skurriler Poet und schreibt, wie er sagt, „seltsame“ Texte, die er auf der vierten LP mit aktuellen Sound-Attributen verkauft.

Kein Surrealist, nur ein Kind seiner Zeit

Viele faßten Steve Harleys schillernde Balladen als Surrealismus auf. Doch er sieht sich damit total falsch interpretiert. Er betrachtet die Songs als moderne (Wort-)Kunst. Und die Basis für diese Art von Lyrik findet er in den „verrückten Gehirnen“ und dem Pulsschlag der Kinder der 70er Jahre, der Nach-Woodstock-Generation. Seine Texte sollen nichts anderes sein als ein Spiegel der konfusen Welt, in der er lebt.