Steppenwolf


"Wenn ich eine Weile die laue, fade Erträglichkeit sogenannter guter Tage geatmet habe, dann wird mir in meiner kindischen Seele weh und elend, daß ich die verrostete Dankbarkeitsleier dem schläfrigen Zufriedenheitsgott ins zufriedene Gesicht schmeiße und lieber einen recht teuflischen Schmerz in mir brennen fühle als diese bekömmliche Zimmertemperatur. Es brennt alsdann in mir eine wilde Begierde nach starken Gefühlen, nach Sensationen, eine Wut auf dies abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, irgendetwas kaputtzuschlagen, etwa ein Warenhaus oder eine Kathedrale oder mich selbst, verwegene Dummheiten zu begehen, ein paar verehrten Götzen die Perücken abzureißen, ein paar rebellische Schulbuben mit der ersehnten Fahrkarte nach Hamburg auszustatten, ein kleines Mädchen zu verführen oder einigen Vertretern der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick zu drehen."

Diese Zeilen voll anarchistischen Aufbegehrens stammen nicht etwa —- wie man annehmen könnte —- aus den Gerichtsprotokollen des Stammheimer Prozesses gegen den Kaufhausbrandstifter Andreas Baader und die anderen Hinterbliebenen der „Roten Armee Fraktion“ – nein, ganz im Gegenteil: Es sind die Worte des Neuromantikers und Nobelpreisträgers Hermann Hesse (1877 -1962). Es ist das Bekenntnis von Harry Haller, dem Titelhelden der 1927 erschienenen Novelle „Steppenwolf“.

Steppenwolf, Steppenwolf?? Ja, ja, da gab’s doch mal — und inzwischen gibt es sie wieder — ’ne amerikanische Rockband, die so hieß. Aber was hatte diese Gruppe mehr mit dem alten Hesse zu schaffen, als daß sie sich einen attraktiven Namen von ihm „borgte“? Naja, das ist wohl alles ein wenig in Vergessenheit geraten: 1967, „a whole generation with a new explanation“, wie Scott McKenzie so trefflich formulierte. Anti-Vietnam-Demonstrationen, Wehrdienstverweigerer, Mayor Daley, Bürgermeister von Chicago und Nixon/ Agnew auf der einen, Jerry Rubin und Angela Davis auf der anderen Seite. Hunderttausende junger Leute auf den Straßen und Plätzen in aller Welt. Erst Blumen, dann geballte Fäuste. Süße Haschischräusche und der Traum vom freien Leben, freier Liebe im offenen Land, auf offener Straße: „Easy Rider“-Philosophie, schwere Motorräder und geil aufheulende E-Gitarren.

Hard Rock, Heavy Rock. Der Satan als Heilsbringer und die Rolling Stones als seine Jünger. Liebe und Haß verkehrten sich häufig ins Gegenteil, nicht nur in der Musik, auch im Leben. Revolutionssongs gab es damals viele, aber es gab nur einen Song, der die absolute Freiheit für alle, bedingungslos und ohne Haken und Ösen, forderte: „Born To Be Wild“, der größte Hit der Gruppe „Steppenwolf“.

„Ich mag den Blitz und den Rauch und schweres, metallisches Donnern, Dahinjagen im Wind und das Gefühl, mittendrin zu sein. Yeah, Darling, wir können was losmachen, die Welt in den Liebesclinch nehmen. Laß alle Kanonen auf einmal feuern, brich aus in den Weltraum. Born to be wild, Born to be wild… „

Wenn man die Platte heute auflegt, reißt einen der treibende Rhythmus noch immer vom Stuhl, die übersteuerten Orgelfetzen und die wirklich wie Wolfszähne zuschnappenden Gitarrenakkorde. Vom Sound her machte Steppenwolf damals eine uramerikanische Musik. Gleichwohl war der vom Dichter Hesse geborgte Name nicht die einzige Brücke, die die Band mit dem fernen Europa, mit Deutschland verband: Sänger John Kay nämlich, das prominenteste Mitglied von Steppenwolf, hieß in Wirklichkeit Joachim Krauledat und stammte aus Ostpreußen.

Von Tilsit nach Kanada

Als Joachim Krauledat am 12. April 1944 in Tilsit geboren wurde, war das Ende des Zweiten Weltkriegs für diese Region „Großdeutschlands“ schon ziemlich klar abzusehen. Die Russen standen ein halbes Jahr später an der Grenze, und die Bevölkerung flüchtete in Richtung Westen. Die Angst vor den Rote-Armee-Soldaten, die die deutsche Reichspropaganda als „Teufel in Menschengestalt“ bezeichnete, saß den Flüchtenden im Nacken. Auf überladenen Panje-Wagen, die manchmal von den berühmten Trakehnerpferden gezogen wurden, ging es über das Eis des Kurischen Haffs oder über die Pommersche Seenplatte in die weniger bedrohten Gebiete. Viele Opfer forderten diese ungeordneten Trecks durch die schneidende Kälte des Winters 44/45. Unter den Überlebenden waren Mutter Krauledat und ihr kaum fünf Monate altes Kind. Sie fanden in Thüringen vorübergehend Unterschlupf. Doch nachdem dieses Gebiet von den Alliierten der Sowjetunion zugeschlagen wurde, flohen sie während der Nachkriegswirren weiter und landeten schließlich 1949 in

Hannover. Joachim war fünf Jahre alt, ein Jahr später wurde er eingeschult.

Die nächsten zehn Jahre verliefen recht „normal“, der kleine Krauledat war ein durchschnittlicher Schüler, und der Familie ging es, von den materiellen Entbehrungen der ersten Jahre in der BRD mal abgesehen, nicht schlecht. Dennoch ist es wohl wichtig zu bedenken, daß aus dem Kind, das halb unbewußt mit dem Gefühl aufwachsen mußte, der Hölle als Säugling entronnen, dem Tod mit knapper Not von der Schippe gesprungen zu sein, ein nachdenklicher, aufmerksam beobachtender Junge wurde.

Die Mutter machte derweil Pläne, nach Kanada auszuwandern. Die Amerikaner und Kanadier mit ihren „Re-education“-Programmen hießen während der ersten Nachkriegsjahre deutsche Aussiedler willkommen. Joachim schloß 1958 die Oberschule mit Mittlerer Reife ab. Danach wurden die Koffer gepackt, und mit großen Erwartungen an die neue Heimat begann die Überfahrt. Mutter und Sohn ließen sich in Toronto nieder. Die Mutter heiratete bald darauf einen Kanadier.

Die Generation der Beatniks

1960: Damals wie heute zog es junge Amerikaner, die ihren Highschool-Abschluß in der Tasche hatten, hinaus aus dem Elternhaus. Hinaus ins offene Land, auf die Straßen. „On the Road“ heißt die vielgelesene Erzählung von Jack Kerouac, der den Beatniks der frühen Jahre auf ihren Fahrten Tausende von Meilen gefolgt ist, selber ein Beatnik war. Seltsame Generation, die da Ende der 50er, Anfang 60er Jahre die Mobilität des US-Alltags für sich nutzte, um „America the beautiful“ kennenzulernen. Manche waren Kinder von Vätern, die im Zweiten Weltkrieg in Europa oder anderswo gefallen waren, und hatten dann, kaum 18jährig, schon selber wieder -— in Korea -— einen Krieg miterleben, mitmachen müssen.

In den Universitäten, aber auch in den Coffeehouses und anderen Treffpunkten der Jugend gab es ein wichtiges Thema: Daß endlich Frieden kommen müsse, daß sich Auschwitz, Hiroshima und Dien Bien Phu nicht wiederholen dürften. „Ban the Bomb!“ war der Aufruf der Ostermarschierer, die zu Tausenden auf die Straßen gingen. Ein junger Sänger, dessen Karriere gerade begann, befürchtete 1962 angesichts der Kubakrise, daß ein schwerer — radioaktiver — Regen fallen werde („A hard rain’s gonna fall“). Es war Bob Dylan. Seine Musik und die Musik vieler anderer war „Folk“, der uramerikanische Balladengesang zur akustischen Gitarre.

Joachim, den die Amerikaner aus Bequemlichkeit John nannten, besorgte sich auch eine Gitarre: „Ich fing an zu spielen. Allein. In Nachtclubs, Bars und Coffeehouses. Dann habe ich mich ungefähr zwei Jahre rumgetrieben, per Anhalter, mit meiner Gitarre, und habe einige Sachen gelernt.“

Spatzen mit Akzent

So um die Mitte ’65 rum war die Action zunächst nur in San Francisco angesagt. Blumen im Haar, Tanzen auf der Straße, vorerst noch lächelnde Bullen, Flower Power und „soft drugs“, „Psychedelic Sound“ und „Loveins“ überall; der Rest ist bekannt. Joachim/John traf auf einer Rückfahrt nach Toronto eine Gruppe, die hieß „Sparrows“ („Die Spatzen“): „Währendeiner Party haben wir miteinander gesprochen und dann auch die nächsten Tage zusammen gespielt. Abends mehr oder weniger aus Spaß. Die spielten einige Sachen, die ich auch konnte. Das hörte sich ganz gut an. Und irgendwie war es auch interessant, mit anderen Leuten aufzutreten. Nicht immer alles alleine zu machen.“

Die „Sparrows“, bestehend aus Mike Monarch (g), Jerry Edmonton (dr) und Goldy McJohn (org) bekamen mit Joachim Krauledat als Sänger und Gitarrenspieler den zweiten Deutschen in ihre Band. Zu ihrer Besetzung gehörte nämlich schon Klaus Kassbaum, ebenfalls Sohn deutscher Einwanderer, der sich aber Nick St. Nicholas nannte und den Bass bediente. Joachim, der ja schon länger „John“ hieß, kürzte deshalb seinen für amerikanische Zungen schwer aussprechbaren Nachnamen auf den markanten Anfangsbuchstaben „K“ zusammen, der auf englisch phonetisch „Kay“ geschrieben wird. So also verschwanden alle Hinweise auf die teils deutsche Abkunft der Band, die nun loszog, den „Byrds“ (allerdings mit geringem Erfolg) Konkurrenz zu machen.

Das hörte sich gar nicht so schlecht an, nur: Bei der halblauten Stimmlage der meisten Folksongs, die das Repertoire der „Sparrows“ ausmachten, war bei John deutlich ein deutscher Akzent zu hören. Ein Nachteil, der aber verschwand, sobald John etwa für ein härteres Rhythm & Blues-Stück die Stimme anhob und mit rauhen, kehligen Tönen den Gesang der schwarzen Bluesund Soulsänger wie Muddy Waters, Willie Dixon oder Ray Charles nachahmte. Bei den „Sparrows“ kam das noch nicht richtig zur Wirkung; später, als sich die Band in „Steppenwolf“ verwandelte, wurde Kay’s oft brutal und gequält klingende Gesangstechnik zum Markenzeichen der Gruppe.

Die „Sparrows“ tourten eifrig von Küste zu Küste, vom Süden der Vereinigten Staaten dann wieder hoch in den Norden, durch die kanadischen Provinzen. 1966 schlugen sie die Zelte in New York auf und versuchten, einen Plattenvertrag zu ergattern. Bei einem Gig in einem der Clubs in Greenwich Village wurde ein CBS-Talentsucher auf sie aufmerksam. Sie unterzeichneten den „Mr. Nobody“-Kontrakt der Firma, einen Vertrag, der den Musikern im Falle eines Erfolges nur minimalen Profit zugestand, sie aber andererseits in stilistischer Hinsicht völlig von den Vorstellungen der Plattenfirma abhängig machte; kein ungewöhnlicher Vorgang zu dieser Zeit.

Aus Spatzen werden Wölfe

Nachdem über die Produktion einer Platte bei CBS noch nicht endgültig entschieden worden war („Die bei CBS hatten so ’ne altertümliche Einstellung gegenüber unserer Musik. Die versuchten, uns in so ’ne Masche reinzudrücken und uns vorzuschreiben, was wir zu machen hätten“ — John Kay), wurde zunächst nur ein Demo-Band eingespielt, und Anfang 1967 wurde die Band als Anheiz truppe für andere CBS-Attraktionen wieder auf Tournee geschickt.

Es ging nach Kalifornien, und John Kay machte folgende Beobachtungen: „Ich war da Zeuge, wie die ,Byrds‘ gerade groß rauskamen, und mir fiel auf, was da an Wechselwirkung zwischen den Radiosendern und der Plattenfirma so lief. Wie da ,gehyped‘ wurde. Und ich stellte mir vor, daß wir einiges anders machen würden, um den Durchbiruch an der Westküste zu schaffen.“

Die Gruppe spielte eine Weile in Los Angeles, aber obwohl sie gute Kritiken für ihre Konzerte auf dem Sunset Strip bekam, ließ der große Erfolg auf sich warten. Nick St. Nicholas (der später zurückkehrte) sagte der Band einstweilen „Goodbye“ und fuhr nach Kanada zurück. Ein Kalifornier namens Rüssel Morgan ersetzte den Bassmann. Kay verhandelte derweil mit den CBS-Leuten und erreichte schließlich, die Verträge vorzeitig zu lösen.

Anfang ’68 standen die Zeichen in Kalifornien, das den übrigen Staaten und der gesamten westlichen Welt immer ein wenig voraus ist, auf Sturm. Bei Straßenkämpfen zwischen Studenten und Polizisten während mehrerer Anti-Vietnam-Kundgebungen hatte es Verletzte gegeben. Die optimistischen Hippies mit ihren Vorstellungen von freier Liebe und repressionsfreiem Leben hatten gemerkt, daß sie zwar ein Zeichen setzten, die Ungereimtheiten des amerikanischen Alltags mit seiner mörderischen „ratrace“-Routine und den Abendnews von den Massakern in Südostasien nicht beeinflussen konnten.

Die Folgen waren ein Anstieg des Drogenkonsums mit starker Zunahme von Heroinsucht und —ebenfalls Ausdruck von Frustration —- eine Massenpolitisierung mit gewalttätiger Tendenz, die natürlich noch brutalere Gegengewalt des Establishmensts heraufbeschwor. Kurz: Aus merkwürdigen Vögeln im orientalischen Kaftan-Look wurden intellektuelle Systemgegner. Aus harmlosen Spatzen hungrige Wölfe.

Das Studium der Bücher von Nietzsche, Marcuse, Freud und der Dichter Aldous Huxley sowie Hermann Hesse war mitentscheidend. Hesses Werke erlebten sensationelle Auflagen. Der in Deutschland eher unterbewertete Romancier erreichte in Amerika eine ganze Generation. Von seinen Taschenbuchausgaben von „Siddharta“, „Steppenwolf“, „Knulp“, „Unterm Rad“, dem „Glasperlenspiel“ und dem „Demian“ wurden 5,5 Millionen Stück abgesetzt.

Trend der Stunde:

Gabriel Mekler, Produzent bei Dunhill Records, war auch ein Hesse-Fan. Er hatte sich der Gruppe „Sparrows“ nach dem Bruch mit CBS angenommen und ihnen einen Vertrag mit seiner Firma verschafft. Das Musik-Business in Los Angeles ist dafür bekannt, daß es sich bedingungslos an neue Trends anhängt und auch nicht davor zurückscheut, mit neuen Gruppen (und riesigem Promotionaufwand) neue Akzente zu setzen. Heavy Gruppen waren im Kommen: „Doors“, „Electric Flag“ und „Love“, metallisch harte Gitarrenklänge, hysterisch jaulende Electronic-Sounds und verfremdete Anleihen an alle möglichen Musikrichtungen waren das Gebot der Stunde.

Mit zurückhaltenden Folksongs war einstweilen kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Aufreizender „Underground“ war Trumpf, und die „psychedelischen“ Blumenkinder mit ihrem „San Francisco Sound“ mit Tablas, Sitars und Blockflöten bekamen kalte Füße. Gabriel Mekler, selber Musiker und ein schlauer Fuchs im Kommerzialisieren der Tagestrends, schlug den „Sparrows“ einen härteren Kurs vor und verpaßte ihnen einen neuen Namen: „Steppenwolf“, das vierzig Jahre alte Symbol für die Entfremdung des Menschen von der Natur durch die Zivilisation; gerade im überzivilisierten Los Angeles mußte dieser clever von der Aktualität getragene Name einschlagen wie eine Bombe…

Der Wolf heult auf

Die erste LP der Gruppe, „Steppenwolf“ (durch einen Sticker „Including the Hit ,Born To Be Wild‘ “ eigentlich unter diesem Titel in die Rock-Geschichte eingegangen), wurde innerhalb weniger Tage in einem Studio am Hollywood Boulevard eingespielt. Der als „rush-release“ ausgekoppelte Song „Sookie Sookie“ machte die Band auf lokaler Ebene binnen zwei Monaten populär. Der Hammerhit „Born To Be Wild“ stieg danach wie ein Komet auf Platz Nummer eins in den Staaten und gleichzeitig auch in Europa. Vor allem in Deutschland, obwohl natürlich hierzulande niemand ahnte, daß der „wilde Mann“ John Kay gebürtiger Deutscher war. Noch im selben Jahr ging die Gruppe mehrfach auf US-Tourneen und hatte gigantischen Zulauf.

„Steppenwolf“ hatten sich ein recht gefährlich anmutendes Image zugelegt: Schwarzer Lederlook und schwarze Sonnenbrille waren John Kay’s Erkennungszeichen. Die anderen gefielen sich in der Trapper- und Desperado-Verkleidung des alten Wilden Westens. Kernstück ihres mit wilder Lightshow aufgemotzten Stage-acts war neben „Born To Be Wild“ der sich unberechenbar wie ein verwundeter Wolf dahinschleppende dritte Hit der Gruppe, „The Pusher“. Mit lauernd-bösartiger Stimme ließ sich John Kay in diesem Stück über den Unterschied zwischen dem (harmlosen) Marihuana- und LSD-Dealer und dem (verbrecherischen) Pusher von Heroin und anderen Opiaten aus; erklärte, daß er nicht übel Lust hätte, ihn, den Pusher, höchstpersönlich abzuknallen: „If I was the President of this land I’d declare total war to the pusher…“

Andererseits gab er öffentlich den Konsum von „grass and pills“, den ungefährlicheren Drogen, zu: „But I never touched nothing that my spirit kills, I see a lot of people w alkin g ‚round with tombstones in their eyes…“ — eine deutliche Sprache mit ausdrucksvollen Bildern. So kam es, daß „The Pusher“ wohl der einzige „Anti“-Drogensong wurde, den die Methodistenkirche auf den Index setzen wollte.

Bullen vor der Bühne

Die zweite Steppenwolf-LP, schlicht „Steppenwolf Second“ genannt, war vom Material her die logische Fortsetzung des Debutalbums. Sie enthielt auch wieder einen provozierenden Drogensong: „Don’t Step On The Grass, Sam“. Diesmal hatte es besonders der Reim auf die Titelzeile in sich: „Don’t be such an ass, Sam“. Die Amerikaner nennen das Operieren mit Vokabeln wie „ass“ (Arschloch) „profane language“, und wer sich dieser Ausdrucksweise bedient, muß sich nicht wundern, wenn sich die Polizei einschaltet. Die Bullen gehörten von diesem Zeitpunkt an (Ende ’68) also mit zum Stammpublikum von Steppenwolf. Bei jedem Konzert belagerten sie die Bühne, allzeit bereit, Leute im Publikum, die „grass“ rauchten, festzunehmen und allzu giftige Anmerkungen zur amerikanischen Politik, die John Kay in seinen Stageannouncements einflocht, mitzuschreiben.

Steppenwolf waren natürlich nicht die einzige Gruppe, die zu dieser Zeit mit hartem Sound und starken Worten die internationale Protestwelle der Jugend akustisch begleitete und anheizte. Die Doors taten ähnliches, die Stones hatten gerade ihren Straßenkämpfersong „Streetfighting Man“ veröffentlicht, und die Gruppe Chicago hatte einen Lastwagen, mit Verstärkern beladen, mitten zwischen die kämpfenden Studenten und Polizisten gestellt, von dem aus sie, ungeachtet der Wasserwerfer, Tränengasbomben und Gummiknüppel, die Kundgebungen zum demokratischen Parteitag in Chicago musikalisch kommentierten: „The whole world’s watching!“ — „Die ganze Welt schaut zu“.

In der Tat: Die Augen der Welt richteten sich auf Amerika. Die vorbildliche Nation, das starke „Land der Freien“ erschien allen auf einmal als die Wurzel alles Bösen, als ein neues Sodom und Gomorrha, in dem die Gewalt regierte.

Anfang vom Ende

Für ihren Anfang 69 erscheinenden Film „Easy Rider“, der so etwas wie ein „Allerheiligstes“ für die Hippie-Generation wurde, suchten die Hauptdarsteller und Produzenten des Films, Peter Fonda und Dennis Hopper, geeignetes Musikmaterial für den Soundtrack. Jimi Hendrix und die Byrds waren passend. Für die faszinierenden Motorradjagden durch die Wüste wählten sie „Born To Be Wild“ als Untermalung. In dem Film werden die beiden Hauptakteure, die nichts als ein bißchen Freiheit haben wollen, von reaktionären „Law and Order“-Spießern wie Kanin-‚ chen abgeknallt.

Dieser Film ist der Höhepunkt und gleichzeitig der Anfang vom Ende der Träume vieler Leute, die Gesellschaft ändern zu wollen. Im August desselben Jahres wird die „Woodstock Nation“ geboren: Love & Peace.und eine versöhnlichere, wenn auch nicht unkritische neue Musik. Crosby, Stills, Nash & Young sind die Vorreiter eines neuen Trends. Die Jugend lenkt ein: Probleme, meint sie nun, entspringen äußeren und inneren Zwängen. „Carry on“ lautet das Motto: Weitermachen, aber mit kritischem Blick in die eigene Seele.

Steppenwolf lagen mit ihrem Song „Magic Carpet Ride“ Ende ’68 noch goldrichtig. Im wahrsten Sinne des Wortes: Die beiden ersten LP’s wurden über eine Million mal verkauft. Ihre Konzerte waren sehr gut besucht. Die dritte LP, „At Your Birthday Party“, eingespielt mit dem neuen Bassmann John Moreve, enthielt allerdings keinen Hit von Format. „Jupiter’s Child“ oder „Rock Me“ waren guter Durchschnitt, der Rest der Aufnahmen mäßig und der Titelsong „Happy Birthday Baby“ einfach schlecht.

Außerdem gab es just zu diesem Zeitpunkt Ärger mit der CBS, die das alte Demoband auf Platten gepreßt hatte und unter dem Titel „John Kay & The Sparrows“ verhökerte, um sich an den Steppenwolf-Boom anzuhängen. Die Gruppe war gezwungen, ihrerseits altes Material auf den Markt zu bringen, um der Konkurrenz das Wasser abzugraben. „Early Steppenwolf“ war aber ein Mißgriff. Die Band hatte gegen den Trend gearbeitet, als sie Stücke aus ihrer härteren Phase veröffentlichte. Eine Pause wurde eingelegt und nachgedacht. Das Ergebnis hieß „Monster“ und war beeindruckend.

Das Monster Amerika

„Monster markierte den Abschied der Gruppe von ihrem Hard-Rock-Schema. Es war ein Konzeptalbum, bei dem alle Songs um ein Thema kreisten. „Es hat einen stark sozialpolitischen Hintergrund“, sagte Kay, „es handelt sich zwar um zehn verschiedene Songs, die aber alle miteinander verbunden sind oder musikalische Verbindungen aufweisen. Im Grunde beschreiben sie alle den Vorgang, wie aus Amerika ein Monster wird.“

Die Lyrics des Titelstücks waren daher auch sehr genau durchdacht; detailgetreu wurde der historische Prozeß der Entstehung einer Nation von den Tagen der „Mayflower“ bis zur Nixon-Ära dargestellt. Es fehlte nichts: Die Verfolgten der alten Weit, die die „Vision von Freiheit“ hatten, „fern von Königen und vom Papst“. Wie sie als „gute Christen“ dennoch „Hexen verbrannten“, „Sklaven hielten“, „westwärts zogen“ und „die Indianer schlachteten“. Daß der „Geist der Freiheit freundlich in vieler Hinsicht war“, bestritt die Gruppe nicht. Aber sie beklagte, daß „die Hüter der Freiheit und Gerechtigkeit geschlafen hätten, und der einst so sanfte Freigeist ein Monster wäre, das nicht gehorchen wolle“. „Die Menschen ind fett und faul geworden, und ihre Wahlstimme ist nur noch ein schlechter Witz“, „die Städte ind Dschungel, und korrupte Polizisten bedrohen das Land und die Leute“. „Wir kümmern uns nicht um unsere eigenen Angelegenheiten, denn die ganze Weit hat so zu sein wie wir, wir hahen unseren Krieg da drüben, uns schert’s ’nen Dreck, wer ihn verliert und bezahlt. Ja, das Monster lauert überall…“ Das auch musikalisch hervorragende Stück endet mit einem beschwörenden Chorus: „America, where are you now, don’t care about your sound and daughters, don’t you know we need you now, we can’t fight alone against the monster.“

Die Gruppe hatte mit „Monster“ und der ein halbes Jahr später erscheinenden Platte „Live Steppenwolf“ (hervorragend interpretierte und aufgenommene Anthologie ihrer Hits) ihren Zenit erreicht: Einige Welttourneen fanden statt, Steppenwolf spielte auch in Deutschland. Bei einem Auftritt in Hannover wandte sich John Kay ans Publikum und sagte auf deutsch: „Ich glaube, es sind ein paar alte Kumpels von mir im Saal, die hätte ich gerne nach dem Konzert mal gesprochen.“

Nachdem die Band in die Staaten zurückgereist war, begannen im Herbst 1970 die Aufnahmen für das „Steppenwolf 7“-Album, aus dem im Frühjahr des nächsten Jahres „Snowblind Friend“ als Single-Auskopplung erschien, das sich aber nur zögernd die Charts hinaufbewegte. Nicht anders erging es der nächsten LP, „For Ladies Only“, die 1971 erschien. Die Gruppe löste sich zum Ende des Jahres mehr oder weniger auf; es wurden zwar von Zeit zu Zeit noch halbherzig kleinere Tourneen absolviert, neue musikalische Zusammenarbeit aber gab es nicht mehr.

Damit kam das Ende: Steppenwolf trat Ende 1972 wieder als Vortruppe beispielsweise für Led Zeppelin, The Who oder Santana auf, während ihre Plattenfirma eine „Greatest Hits“-Zusammenstellung nach der anderen auf den Markt warf. Der Schlußstrich wurde mit der LP „Rest In Peace“ (ebenfalls ein Sampler) gezogen, die sozusagen auf vornehme Weise das Ende der Gruppe Steppenwolf bekanntgab.

Ein neuer Anfang

Nach dem Sph’t verzog sich Oberwolf Kay ins Studio, um eine Country-Rock-LP aufzunehmen. „Forgotten Songs And Unsung Heroes“ spielte ein bißchen auf die Lieder des alten Westens an. John vermischte auf dieser Platte (nach dem Rezept seiner Lieblingsgruppe Crosby, Stills, Nash & Young) Elemente des Folk und Country-Blues. Ein Erfolg war der Platte trotzdem nicht beschieden. Ebenso erging es der zweiten Soloproduktion im gleichen Stil, „My Sportin‘ Life“. Eine „John Kay Group“, für eine Tournee zusammengestellt, spielte vor leeren Sitzreihen. Pleite auf der ganzen Linie: Denn auch die anderen Wölfe konnten sich nicht durchsetzen.

Auf Anraten der Plattenfirma zogen sie 1973 nochmals gemeinsam eine Europa-Tournee mit gutem Erfolg durch. Der Plattenabsatz der „Greatest Hits“-Alben kam dadurch erneut in Schwung. Dann war Ruhe. Der Plattenvertrag mit Dunhill Records ging zu Ende. CBS machte der Gruppe ein Jahr darauf ein lukratives Angebot, und John Kay pfiff die anderen Wölfe wieder ins Studio. In der Besetzung John Kay, Goldy McJohn, Jerry Edmonton (als Uraltwölfe), George Biondo (der für Nick St. Nicholas eintrat) sowie dem völlig unbekannten Bobby Cochran spielte die Gruppe das Album „Slow Flux“ ein.

Kleinere Hits und kleinere Tourneen sind seither das tägliche Brot von Steppenwolf. Der alte Erfolg will sich nicht wieder einstellen, obwohl die Gruppe fleißig war und innerhalb von anderthalb Jahren noch zwei LP ’s aufnahm: „Hour Of The Wolf“ mit „Caroline (Are You Ready For The Outlaw Blues?)“ und -anderen Knüllern für Hardrock-Freunde sowie „Skullduggery“ mit einer feinen Version des Oldies „Road Runner“. Doch ist Steppenwolf schon lange nicht mehr die „Kult-Band“ vergangener Zeiten, sondern eher etwas für unvoreingenommene neue Fans.