Stefan Raab
Millionen sehen ihn - doch die wenigsten kennen ihn. Dabei ist VIVA-Clown Stefan Raab weit mehr als der Spaßmacher vom Dienst.
Auf Deinem letzten Album hast Du Dich mit dem Satz verabschiedet „Da kann man mal sehen, was für Geschichten man sich aus der Nase zieht, nur um eine Platte vollzukriegen.“ Was ziehst Du Dir für Dein neues Album „Schlimmer Finger“ aus der Nase?
Das ist doch Vergangenheit. Seitdem habe ich viel gemacht, mich textlich wie musikalisch sehr viel weiterentwickelt.
Standardfloskel. Westernhagen, Beck oder Eddie Vedder – sie alle erzählen Dir das.
Wer ist Eddie Vedder?
Der Sänger von Pearl Jam.
Schön. Aber bei mir ist diese Entwicklung einfach nachzuvollziehen. Ich habe 1991 eine Platte mit Instrumentalmusik für den Easy Listening-Bereich gemacht. Und vorher habe ich viel Musik für Werbejingles produziert.
Fahrstuhlmusik.
Nicht unbedingt. Auf dem Label waren viele bekannte Kollegen-Till Brönner, oder die Stockhausen-Brothers. Und dann kam VIVA und diese WM-Sache, aus der dieser Böörti-Vogts-Song entstanden ist. Ich hatte auf der WM jeden Tag ein oder zwei Strophen gemacht, und als ich nach Hause kam, lagen hier zig Faxe von Plattenfirmen, die das machen wollten.
Darm mußte schnell ein Album her, und Du hast jede Idee solange gemolken, bis zwei oder drei Versionen von ein paar Songs fertig waren.
Ich hätte es auch wie Mr. President machen können: immer nur ein Lied in verschiedenen Variationen, mit nicht besonders sinnvollen Texten. Die „Shalala-Version“ von Böörti hat musikalisch dagegen schon Sinn gemacht.
Darin unterscheidest Du Dich von Dieter Bohlen: Wenn er…
Mich unterscheidet eine Menge von Dieter Bohlen!
…wenn er seine Diskette mit dem Bohlen-Grundmuster verliert, ist er geliefert.
Das kann man auch anders sehen. Zumindest hat Dieter Bohlen einen eigenständigen Sound kreiert. Er hat mit diesem Sound ungeheure Verkaufszahlen erreicht. Und diese Zahlen sagen vor allem eines aus: Es hat unglaublich vielen Leuten gefallen. Er will ja auch keinen anspruchsvollen Big Band-Sound machen. Und wenn Du Dir auf meiner ersten Platte die Big-Band-Nummer „Frauen“ anhörst – das ist anspruchsvoller Jazz, den ich mit einer 2oköpfigen Big Band aufgenommen habe. So etwas findest Du heute auf Pop-Platten selten.
Der Refrain lautet „Frauen, die muß man hauen . Und mit einer Big Band kann jeder arbeiten, der das Geld dafür auf den Tisch legt.
Aber hier zählt, daß ich es selbst umgesetzt und arrangiert habe. Du mußt wissen, welche Linie von welchem Instrument gespielt werden kann. Vor meiner Zeit bei VIVA habe ich drei Sommer lang mit der Big Band des RIAS Rundfunkorchesters Produktionen mit neu arrangierten Jazzklassikern gemacht. Das lief unter dem Titel „Das RIAS-Funky-Team unter Leitung von Stefan Raab.“
Und trotzdem bist Du bei einer Schlagerfirma als Schlagersänger unter Vertrag.
Ja und? Schlager heißt ja nichts anderes als Hit. Und Hits finde ich gut. Bands wie Die Toten Hosen machen auch Schlager. Alle deutschsprachigen Bands, die Erfolg haben, machen Schlager. Das ist doch ein auslegungsbedürftiger Begriff. Und ich lege Schlager so aus: Wer erfolgreiche deutschsprachige Musik macht, der macht Schlager. Und wer mit deutschsprachiger Musik keinen Erfolg hat, der macht keinen Schlager.
Du singst erfolgreich auf deutsch. Demnach bist Du also ein Schlagersänger?
Damit habe ich kein Problem. Aber auch wenn Du sagen würdest, ich mache Popmusik, Soulmusik oder Badeschlappenmusik, hätte ich kein Problem damit. Ich beurteile Musik ohnehin eher nach der Harmoniestruktur und der Melodiestruktur. Wenn Du bei einer Nummer wie „Verlieben, verloren, vergessen, verzeihen“ von Wolfgang Petry genau auf die Musik hörst, dann ist das im Prinzip kein klassischer Schlager, wie Schlager eigentlich klingen müßte. Das ist im Grunde ziemlich rockig.
Ganz anders als Deine Songs – die klingen völlig verartet. Werbe-Mucke im RIAS-Groove.
Das ist Deine Ansicht. Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich finde, daß einige meiner Nummern richtig funky klingen, und einige Songs sehr soulige Harmoniestrukturen haben.
Hörst Du privat Stefan Raab-Platten?
Ich finde die Sachen gut, die ich gemacht habe. Und meiner Mutter zum Beispiel gefällt das ganze Album. Ich unterstelle jedem, der Musik macht, daß er sie auch gut findet. Es sei denn, er ist eine Marionette der Plattenfirma. Ich will Entertainment machen. Meine Philosophie ist: Der Sinn der Musik besteht darin, die Leute zu begeistern, sie positiv zu beeinflussen. Mit Ausnahme von Wolf Biermann verfolgt doch jeder Musiker dieses Ziel.
Positive Gefühle zu verbreiten, scheint schwierig zu sein, solange man die deutsche Sprache dafür einsetzt.
Ich finde es schade, daß die deutsche Sprache noch immer so wenig Akzeptanz findet – in den Airplay-Charts ist kaum eine deutschsprachige Nummer vertreten.
Als Gründungsmoderator von VIVA bist Du selbst doch das beste Beispiel für die Veränderung des Marktes. Alle haben seinerzeit gesagt, daß deutschsprachiges Musikfernsehen gegen MTV keine Chance hätte.
Ich hatte zum Beispiel die Nummer „Hier kommt die Maus“ schon vor fünf Jahren geschrieben und den Plattenfirmen angeboten. Die wollte keine Sau haben.
Inzwischen ist sie ein Hit geworden, und man nimmt Dich trotzdem nicht emst.
Es herrscht überall dieser Neid im Musikgeschäft.Wenn ich mit der „Maus“ Erfolg habe, heißt es gleich:“Der Raab mit seiner Kinderkacke.“ Warum versucht man nicht zu akzeptieren, daß so ein Song ein riesiges Spektrum von Leuten anspricht?
Du hast Dein Abitur auf einer Jesuitenschule gemacht, ein paar Semester Jura studiert und bist ein anerkannter Jazzmusiker. Leidest Du nicht darunter, mit so einem hohlen Kram wie „Hier kommt die Maus“ Dein Geld verdienen zu müssen?
Diese Frage kann ich nicht nachvollziehen.
Versuch‘! doch mal.
Du mußt diese Songs nur mal in Ruhe analysieren, und Du wirst feststellen, daß sie zum Teil richtig komplexe Kompositionsstrukturen haben.
Die Fantastischen Vier haben gezeigt, daß man deutsche Texte schreiben kann, die nicht automatisch doof sein müssen. Willst Du keine besseren Texte schreiben, oder kannst du es einfach nicht?
Die letzte Platte ist Schnee von gestern. Ich würde auch nicht sagen, daß sie der Königsweg der Popmusik war. Ich habe das gute Recht, mich fortzuentwickeln. Das Album ist ja auch zu Recht bestraft worden und hat sich nicht besonders gut verkauft. Aber ich habe mittlerweile eine Reihe von neuen Texten geschrieben, die ich sehr gut finde. Es kommt natürlich darauf an, was Du erwartest. Ich erwarte von mir Unterhaltung.
Und ein gut gefülltes Bankkonto?
Wenn ich Interviews wie dieses hier gebe, habe ich oft das Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, der neben dem Spaß an seiner Musik auch Spaß daran hat, damit Geld zu verdienen. Journalisten scheinen die einzigen zu sein,die keine Lust haben, Geld zu verdienen.
Auf jeden Fall verdient der gelernte Metzger Raab mit Musik mehr, als er mit Würsten verdienen könnte.
Da bin ich mir gar nicht so sicher. Uli Hoeneß ist Teilhaber einer großen Wurstfabrik, und der verdient garantiert mit Wurst mehr als ich mit der Musik.
Dein Vater heißt ja auch nicht Zimbo oder Herta, sondern Raab.
Aber Du weißt nicht, was passiert wäre, wenn ich nach meiner Metzgerlehre im Betrieb weitergearbeitet hätte. Dann hätte ich mit Sicherheit versucht, das Geschäft weiter auszubauen. Vielleicht sitze ich als Entertainer hier in der völlig falschen Position und merke gar nicht, daß ich im Wurstgeschäft wesentlich größere Erträge erwirtschaften könnte.
Was ist Deine Lieblingswurst? Sülzwurst – die Erfindung Deines Vaters, nach der sogar ein Kölner Stadtteil benannt wurde?
Wenn ich diesen Gag in meiner Sendung bringen würde – keiner würde lachen. Das sind nun mal die Unterschiede. Du bringst einen Kalauer, der eine lacht darüber, der andere nicht. Wie bei der Wurst – reine Geschmackssache.
Verdirbt Dir Deine VIVA-Rolle als Blödel-Kasper nicht langsam auch Deinen eigenen Geschmack?
Ich finde gar nicht, daß ich da nur rumblödele. Ich bin für dieses Format immerhin mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Und Du solltest bedenken, daß ich hier ja auch kein Fernsehen für eine Zielgruppe mache, die zum Beispiel die Harald Schmidt-Show anguckt. Ich mache Unterhaltung für eine sehr junge Zielgruppe. Und da kann ich mich nicht hinstellen und intelligente Witze über das Literarische Quartett machen, weil sie dann glauben, es geht um ein Kartenspiel. Ich muß etwas machen, was die witzig finden. Wenn ich Scherze mache, muß ich sie über die Kelly Family oder DJ Bobo machen, weil die mein Publikum eben kennt.
Friedrich Kuppersbusch meint, Du könntest aufgehen wie Pumakacke, wenn man Dir ein inhaltlich anspruchsvolleres TV-Format geben würde.
Du mußt auch sehen, daß wir gezwungen sind, mit vergleichsweise unbedeutenden finanziellen Mitteln Fernsehen zu machen. Es gibt keine Autoren, wir haben gerade mal zwei Halbtagsredakteure.Wenn ich, wie im Unterhaltungsfernsehen sonst üblich, mit einem Team von Autoren zusammenarbeiten könnte, dann könnte ich auch einen ganz anderen Standard erfüllen.
Auf der TV-Messe in Montreux ist der Pilotfilm Deiner geplanten neuen Show ja auf viel Zuspruch gestoßen.
Es ist ein ganz anderes Arbeiten mit einer Firma wie Brainpool, die auch die Schmidt-Show produziert. Das wird eine Unterhaltungsshow mit vielen Elementen, die man im Fernsehen noch nicht gesehen hat. Wir haben uns nicht an amerikanische TV-Formate drangeklebt, sondern versucht, ein echtes Rundum-Entertainment zu machen. Wie damals bei Peter Frankenfeld, nur jünger und zeitgemäßer. Das kostet natürlich viel Geld.
Geld, das VIVA nicht hat. Jetzt willst Du also endlich reich werden und die Prime Time in einem großen Sender haben – Samstag, 20 Uhr?
Ich will das machen, was mir Spaß macht. Auch wenn man mir das Dreifache bietet, würde ich niemals etwas machen, worauf ich keine Lust habe. Es ist schon korrekt, in diesem Geschäft kommerziell erfolgsorientiert zu arbeiten. Aber man darf nicht gierig sein. Das ist der Fehler, den viele machen. Die Prime Time hätte ich letztes Jahr schon auf RTL haben können. Kurz nach dem VIVA-Start hätte ich auch die Nachfolge von Koschwitz in der „Late Night“ machen können. In den letzten drei Jahren habe ich 20 bis 30 Angebote bekommen, aber ich wollte nicht in ein bestehendes Format einspringen.
Ich gebe Dir eine Million Mark pro Sendung. Dafür mußt Du 45 Minuten lang nackt um den Kölner Dom wetzen.
Das würde ich nicht machen, weil ich keinen Sinn darin sehe. Wenn ich zehn Kinder hätte, die am Verhungern sind, und keine Möglichkeit, sie zu ernähren – dann würde ich für eine Million Mark auch mal nackt um den Dom rennen.
Das wäre aber letztlich auch nicht sehr viel alberner als „Ma Kuckn“.
Bei VIVA haben wir für eine Sendung so viel Etat wie RTL fürs Testbild. Dafür haben wir, finde ich, ganz gute Sachen gemacht. Wenn Dir meine Sendung nicht gefällt, dann kann ich das gut verstehen, denn für Dich ist diese Sendung ja auch nicht gemacht. Du hast im Grunde illegal ein Programm geguckt, aus dem Du schon lange rausgewachsen bist.
Als Fernsehfigur hat man viele Verehrer. Wie jung sind Deine Fans?
VIVA macht Fernsehen für die 14- bis 29jährigen.
Stimmt es, daß Du gar keinen Vertrag mit Deinem Brötchengeber VIVA hast?
Ich bin der einzige Moderator Deutschlands, der keinen Vertrag hat. Wir arbeiten per Handschlag. Unser Prinzip heißt: Solange wir miteinander zurechtkommen, arbeite ich für euch, und wenn ihr keinen Bock mehr auf mich habt, dann schmeißt mich raus. Oder. Wenn ich keinen Bock mehr habe, kann ich einfach abhauen.
Und dann wechselst Du zur Konkurrenz?
Natürlich unterhalte ich mich ab und zu mit Leuten von MTV. Aber gerade in einem solchen Geschäft finde ich Dinge wie Anstand und Loyalität wichtig. Mir hat das viel gebracht bei VIVA. Und ich glaube auch, daß VIVA ein bißchen von mir profitiert hat-aber ich habe sicher noch mehr vom Sender profitiert.
Profit ruft Neider auf den Plan.
Wir leben in einer freien Gesellschaft, und da darf jeder seinen Neid öffentlich zum Vortrag bringen. Mich selbst berührt das schon lange nicht mehr. Man muß da auch sehr genau unterscheiden zwischen dem, was man nach außen trägt und dem, was man wirklich ist. Wenn ich mich ins Fernsehen stelle, bin ich natürlich nicht der, der ich privat bin. Im Fernsehen bin ich eine Kunstfigur. Das ist meine Aufgabe, die ich vor der Kamera so professionell wie möglich erledigen muß. Dann übertreibe ich eben, gelegentlich auch hemmungslos.
Das muH man nicht zwangsläufig witzig finden.
Natürlich nicht. Wenn Leute mich scheiße finden, dann ist das doch gut. Ich bin jemand, der polarisiert, der Freunde und auch Feinde hat. Zwischendrin ist wenig, hui oder pfui. Das, was ich mache, betrachte ich selbst definitiv als gut. Sonst würde ich das nicht machen. Und wenn ich mal etwas nicht so gut mache, habe ich es zumindest gut gemeint, oder es war zu diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr drin.
Senioren auf der Straße verarschen, Künstler niedermachen, Studiogäste beleidigen – ist zu keinem Zeitpunkt mehr drin?
Ich unterschreite wesentlich seltener als andere die Gürtellinie. Und ich freue mich ja auch jedes Mal, wenn einer über mich Witze macht. Neulich hat Dieter Nuhr in seiner Kabarett-Sendung gesagt: „Bei Stefan Raab weiß man auch nicht, ob der mit dem Mund spricht oder mit dem Schließmuskel.“ Das ist doch lustig. Oder wenn mich jemand fragt, ob es mir nicht in den Unterkiefer reinregnet. Dann sage ich: „Klar, kommt vor.“
Wollen wir mal über Deine Formschwankungen sprechen?
Wir schneiden nichts raus. Alles, was passiert, wird auch gesendet. Und wenn ich in einer Sendung mal scheiße drauf bin, wird eben Kacke gesendet. Außerdem: Ich habe überhaupt nichts dagegen, meine Meinung zu revidieren. Wenn ich mal was Falsches gemacht habe, kann ich auch sagen:“War vielleicht ein Schritt zu weit, tut mir schrecklich leid, soll nicht mehr vorkommen.“ Es kann schon mal passieren, daß ich jemanden zu stark in seinen Gefühlen verletzt habe. Aber dafür hat ja mal ein kluger Mensch die Entschuldigung erfunden. Und wenn diese Entschuldigung von Herzen kommt, sollte man sie auch akzeptieren.
Moses P. vom Rödelheim Hartreim Projekt scheint das nicht akzeptiert zu haben.
Wofür sollte ich mich entschuldigen? Er hat zugeschlagen.
Deine Nase ist nach dem Bruch ja ganz gut verheilt bis auf diese Wölbung weiter oben war die vor eurer Schlägerei bei der „Echo“-Verleihung auch schon da?
Die Nase war immer schon so.
Angeblich sollst Du rassistische Äußerungen getätigt haben.
Es ist eine Riesensauerei, so etwas zu behaupten. Ich distanziere mich meilenweit davon, jemals so etwas gesagt zu haben. Das stimmt nicht, das ist erstunken und erlogen. Ich habe mich in meinen Sendungen über Rödelheim Hartreim genau so lustig gemacht wie über DJ Bobo. Nur-mit DJ Bobo kann ich nach der Sendung ein Bierchen trinken oder Federball spielen. In meiner Sendung hat jeder das gleiche Recht darauf, von mir verarscht zu werden. Und wenn einer zu dünnhäutig ist und glaubt, nur mit primitivster Brutalität reagieren zu können, kann ich ihm auch nicht helfen.
Als 3ijähriger Berufsjugendlicher fehlt Dir noch die echte Bewährungsprobe – so wie Heike Makatsch, die allerdings jüngst mit ihrer Show auf RTL2 baden ging.
Up and down, so ist das halt im Leben. Wenn es nicht klappt, dann produziere ich eben weiter meine Musik, was ja sowieso eher mein Ziel ist.