Start frei – der Countdown läuft


In den USA wird die Band als neuester Stern am Mainstream-Himmel gefeiert, in Europa ist sie noch ein unbeschriebenes Blatt. Was sich ganz schnell ändern kann: Die Südstaatler haben auch hier das Zeug zum Überflieger

Im Backstagebereich des Münchner Olympiastadions herrscht angespannte Stimmung. Auf dem kargen Gang mit den vielen Türen, der an ein Krankenhaus erinnert, lehnt Spaßmacher Otto Waalkes an der Wand, ziemlich nervös und ohne Schuhe. Der Sänger der britischen Combo Del Amitri geht ruhelos auf und ab, die Augen hinter einer modischen Sonnenbrille verborgen, Roadies hetzen geschäftig hin und her. Draußen toben fast 60.000 Menschen, am Ende des Ganges starten ständig Shuttlebusse, die alle 30, 40 Minuten die nächste Band zur Mega-Bühne karren. Doch beim Betreten der Garderobe, an deren Tür ein Din-A4-Blatt mit der Aufschrift ‚Hootie &The Blowfish‘ klebt, löst sich die Spannung: Trotz des eben erst absolvierten Auftritts vor der ‚Rock im Park‘-Meute, für die der Name der US-Band wenig bekannt und allenfalls komisch klingt, sind die vier Jungs aus Columbia, South Carolina, bester Dinge. Gitarrist Mark Bryan gesteht: „Als ich auf die Bühne kam, hatte ich für einen Moment panische Angst: So viele Menschen, die die Band noch nicht kennen. Was würde uns erwarten? Doch nach dem ersten Song war altes O.K. und ich habe den Gig sehr genossen.“ Mit dem Achtungserfolg vor dem deutschen Publikum ist die Band vollauf zufrieden, denn Hootie & The Blowfish, die mit ihrem Major-Debüt ‚Cracked Rear View‘ im Mai ’95 nach 43 Wochen Gedümpel in der Hitparade endlich den Olymp der US-Charts eroberten, sind alles andere als Shooting-Stars. „Wir mußten uns den Erfolg weißgott hart erkämpfen“, erzählt Bassist Dean Felber. „Seit dem College machen wir zusammen Musik und haben tatsächlich tausende von Gigs auf dem Buckel. 20 oder 20.000 Zuschauer – wir haben alles schon erlebt. Als wir in Amerika die Nummer Eins knackten, bestand die Gruppe ziemlich genau neun Jahre.“ So lange wird der Erfolg in Europa wohl nicht auf sich warten lassen: Obwohl die Band hier derzeit Neuland betritt, beginnt die amerikanische Welle der Begeisterung über die Mixtur aus Southern-Rock und souligen Bluesklängen bereits in die Alte Welt herüberzuschwappen. Frontmann Darius Rucker, der aufgrund seiner Stimmgewalt in einem Atemzug mit Otis Redding oder Rod Stewart genannt wird, nimmt die europäische Herausforderung nur allzu gerne an: „Die Menschen in Europa sind einfach sehr viel vorurteilsloser als das US-Publikum. In unserer Heimat wird zum Beispiel viel Aufhebens darum gemacht, daß wir eine gemischtrassige Band sind. Hier wird das als total selbstverständlich angesehen.“

Jim Sonefeld, seines Zeichens Drummer, weiß diesbezüglich einige traurige Geschichten zu erzählen: „Vor allem in den Südstaaten kommt es schon mal vor, daß im Publikum einer ‚Nigger‘ brüllt. Oder wir kommen in irgendeinem Kaff an und der Veranstalter rät Darius besorgt, bis zum Auftritt lieber im Bus zu bleiben und sich draußen nicht sehen zu lassen.“ Sonefeld ballt die Fäußte. „Ich werde manchmal so wütend, daß die anderen mich zurückhalten müssen.“ Darius kann sich das Lachen dennoch nicht verkneifen: „Anfangs haben wir darüber gestaunt, daß die Presse immer darauf herumritt, daß ich als Schwarzer mit lauter weißen Jungs klarkomme und wir gemeinsam auch noch gute Musik machen. Für uns ist das total normal, wir sind alte Collegekumpels und hatten nie Probleme miteinander. Aber wenn man sich im Musikzirkus umsieht, findet man tatsächlich verschwindend wenig gemischtrassige Mainstream-Bands.“ Doch vielleicht ist gerade die Mischung ein Erfolgsfaktor: Der unterschiedliche Background der Musiker bringt die verschiedensten Einflüsse in die Hootie-Songs ein. „Ich bin stark von schwarzem Sound beeinflußt“, erklärt Darius. „Meine Plattensammlung besteht hauptsächlich aus alten Stax-Scheiben, Sachen wie Al Green, Gladys Knight & The Pips und Otis Redding. Aber mein größtes Vorbild ist dennoch eine weiße Band: Ich bin ein R.E.M.-Fan der ersten Stunde.“ Dean gerät ins Schwärmen: „Jeder von uns hat sich schon mal gewünscht, ein Mitglied von R.E.M. zu sein. Darüber hinaus haben wir auch Vorbilder aus härteren Gefilden wie Iron Maiden oder Van Haien.“ Jim: „Aber auch Weichspüler haben ihren Reiz. Ich stehe auf Air Supply.“ Schallendes Gelächter. „Air Supply, das ist doch ein Witz“, kichert Dean. Spaß beiseite: Ohrwürmer wie ‚Hold My Hand‘ können einen gewissen Romantik-Faktor nicht verbergen. „Wir sind keine Message-Band“, erklärt Darius. „Unsere Intention liegt nicht darin, irgendeine Lehre zu verbreiten. Uns geht es nur um die Musik, wir wollen Gefühle transportieren. Wenn dieser Funke überspringt, sind wir glücklich.“ In den USA sprang der Funke millionenfach, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Lunte auch in Europa zündet. Und damit die Zündschnur lückenlos brennen kann, kommt jetzt die Auflösung einer ungemein wichtigen Frage: Der Name Hootie & The Blowfish hat – allen Mutmaßungen zum Trotz keinen tieferen Sinn. Er leitet sich aus den Spitznamen ab, die Darius zwei seiner Schulfreunde verpaßte: Hootie, das war das Vierauge mit der Glasbaustein-Brille. Und Blowfish war der Kumpel mit den babyspeckigen Pausbacken. Noch Fragen offen?