St. Gallen Open Air – Sittertobel, Hamburg


Kulturschock am Auftaktnachmittag des St. Gallener Jubiläumsfestivals. Der Festivalfreitag begann nämlich für viele mit Verspätung. Schuld, wie so oft in diesen Tagen, war die Fußball-WM. Während da also die letzten Sekunden des Elfmeterschießens zwischen Deutschland und Argentinien nachschwangen, tönte schon „I Like Birds“ quer über das Festivalgelände. Mark Oliver Everett im grünen Ganzkörperanzug und Fliegerbrille, ein „Bodybuilder“ mit Security-T-Shirt, Sprühsahne an das Publikum verteilend, und eine „behelmte“ Band machten den Auftritt der Eels zwar einzigartig, doch leider nicht zum erhofften Highlight. Das kam auch noch nicht am Abend, als Massive Attack auf der Hauptbühne passend zu den lauer gewordenen Temperaturen einen stilvollen Chill-out-Set ablieferten (den die eindrucksvollen Lichtinstallationen des Zürcher Künstlers Gerry Hofsteller in den Baumkronen rings um die Bühne ergänzten) – die Intensität ihrer Hallenkonzerte erreichten die Briten unter offenem Himmel freilich nicht. Die gab es dann aber fast simultan im heuer viel größeren Sternenzelt, wo Maximo Park mit einem straffen Set und drahtigen neuen Songs viel Vorfreude auf ihr fürs Frühjahr 2007 angekündigtes zweites Album wachriefen. Kurz nach Mitternacht schließlich bescherten Franz Ferdinand mit einem imposanten Auftritt dem Festival sein erstes großes Highlight. Spätestens von da an lag über dem idyllischen Almgelände eine entrückt-entspannte Partystimmung, die sich bis zum Schluss nicht mehr verflüchtigte.

In der Samstagnachmittags-Sonne erlebte das Open Air seine erste dicke Überraschung: Da trat plötzlich ein Großaufgebot auf die Sitterbühne, ein Frontmann mit Schnauzer und klimperndem Kopftuch um die Hüften, dem zunächst nur einige Standhafte Aufmerksamkeit schenkten. Die ersten Takte verrieten ungewöhnlichen, ukrainischen Ska-Punk, der zum Mittanzen zwang. Und während sich eine riesige Staubwolke vor der Bühne bildete, hüpfte und sprang Sänger Eugene Hütz mit ungebrochener Energie. Die inzwischen beachtliche Menge tobte, die Band schwang noch einmal ihre Waschbretter, und Gogol Bordello ging mit neuen Fans der Sonne entgegen. Auf ähnlich hohem Energielevel stürmten bald darauf Mando Diao über die gleichen Bühnenbretter, schwedische Fahnen tauchten plötzlich im Moshpit auf, und Björn Dixgard, Gustaf Noren & Co. deuteten mit ersten Songs aus dem neuen Album ODE TO ochrasy an, dass die allgemeine Mando-Mania wohl noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hat. Wer sich dennoch gegen halb acht von den Mando Diaos loseisen konnte, wurde belohnt. Auf der Sternenbühne machten Clap Your Hands Say Yeah die Zuschauer zum Chor. Vor allem Sänger Alec Ounsworth entfaltete unter seinem Schlapphut beachtliches Charisma.

Bullenhitze hing am frühen Sonntagnachmittag über dem Sittertobel, der Kettcar tapfer trotzten. Die stetig wachsende Crowd vor der Hauptbühne zeigte, daß der spröde Charme der Hamburger durchaus auch Schweizer Ohren erreicht. Leichter hatte es gleich darauf Donavon Frankenreiter im schattigen Sternenzelt mit seinem relaxten Surferfunk. Manu Chao, in der Schweiz noch immer ein Volksheld, sorgte für den energiegeladenen Abschluss eines Festivals, bei dem die über 30 Bands und die Fans Bilderbuch-Atmosphäre genossen hatten.