Spandau Ballet – Soul-Dandies aus der Vorstadt
Die Optik mag täuschen. Die Soulboys aus dem Londoner Vorort Islington ähneln zwar in ihrem Aussehen den neu-romantischen Schwärmgeistern, ihre Musik aber hat's in sich. Mit messerscharfen Bläsersätzen machen die Mannen um Tony Hadley und Gary Kemp (v.l.) Euro-Soul für die trendbewußten Disco-Kids.
„Interviews mit meinen Jungs fallen aus dem üblichen Frage-Antwort-Schlachtplan heraus“, raunt Spandau-Manager Steve Dagger geheimnisvoll in die Muschel. Nachdem Gary Kemp die Medien in den vergangenen Wochen beschäftigt hat ist, diesmal Tony Hadley an der Reihe.
Treffpunkt: Tuttons Pub, Covent Garden. Der hühnenhafte Tony ist wahrlich nicht zu übersehen. Giftgrüner Maßanzug, transsylvanisches Make Up, Gehstock und Uhrenkette, die fast bis zum Boden hinunterbaumelt. Er steuert zielstrebig auf mich zu, visiert meine Stiefel an und lächelt:
Johnsons, 39 Pfund, 80 Pence. Stimmt’s oder hob‘ ich recht?‘ (Mensch, wir zahlen Dir wohl zuviel Honorar! Die Red.) Zwei Cocktail-Bars und einige Cuba Libres später ist das Eis gebrochen.
Seitdem Johnny Rotten Englands TV-Moderator Bill Grundy ins Gesicht spuckte, schieden sich die Pop-Geister nie mehr so wie an der Selbstdarstellung der fünf extrovertierten Soulboys Gary, Steve, Martin, John und Tony, die sich vom Londoner Disco-Highlife über Nacht an die Spitze der nationalen Hitparade schwangen. Die ach so liberale Rock-Kultur reagierte auf das exotische Kuckucksei mit der Holzhammermethode, wehrte sich gegen die Hedonisten von heute mit ähnlichen Argumenten wie gegen die Punk-Nihilisten von gestern.
Spandau Ballet konnten bereits nach einer Handvoll Gigs und ohne Vinyl-Visitenkarte eine Publicity einheimsen, die anderen zeitlebens versagt bleibt. Wann purzelten die Kritiker je so erwartungsfroh übereinander, besessen von der felsenfesten Absicht, den „Nouveaux Playboys“ und ihren Disco-Extravaganzen schleunigst das Lebenslicht auszublasen. „Aye, aye, fünf smarte Modellathleten vom Bananenladen um die Ecke, kostümiert und für die Promo-Fotos mit Instrumenten bestückt, die man hinter verriegelten Studio-Pforten doch lieber anonymen Session-Profis überläßt. Neuer Glitter im Pop-Schlaraffenland – auf sie mit Gebrüll!“
Tony: „Thema verfehlt! Was die BOF’s von gestern einfach nicht verschmerzen- können, ist die Tatsache, daß wir es – ohne den ausgetretenen Rock-Trampelpfad zu benutzen geschafft haben. Wir sind nicht im Marquee oder in der Music Machine aufgetreten, sondern in Ibiza und St. Tropez. Wir stammen aus einem völlig anderen Milieu, sind und waren Soulboys, die die Disco-Import-Charts nächtelang rauf und runter tanzten. Und Industrie-Hype? Lächerlich. Spandau Ballet verfügt über eigene Designer. Wir haben unserer Plattenfirma Chrysalis unser ganzes Konzept gebündelt auf den Tisch geknallt und regeln von der graphischen Gestaltung bis zum Marketing alles in eigener Regie.“
Im Frühjahr 81 sind Spandaus Schotten-Kilts schlagartig en vogue, analog zu einer nie zuvor gekannten Hysterie für Ultrapop-Styling. McLarens „Worlds End“-Kollektion und Asnabella Lu Win, Antmusic und Stray Cats (lamentiere bloß keiner was von Revival): Ist der betagten Rock-Society tatsächlich der Absprung geglückt, sind Begriffe wie Disco und Mode ihren Schimpfwortcharakter los?
„Die Art und Weise, wie man unser Auftreten kommentiert“, erwidert Tony, “ läßt nicht darauf schließen. Du bist doch Reggae-Advokat“ – er deutet auf meinen Steve Biko-Button – „hast du schon mal einen Rasta gefragt, warum er eigentlich Dreadlocks trägt? Ich bin diese blödsinnige Fragerei allmählich leid, deswegen setze ich mich mit der britischen Presse prinzipiell nicht mehr zusammen. Wer unseren Tanz nicht mittanzen will, soll’s bleiben lassen!“
Bahn frei für die messerscharf gestylte Soul-Revolution aus Londons elegantesten Clubs. Fünf Soulboys aus Islington, überwältigt von der Idee eines Sounds, der mit dem Terminus White Funk etwas unglücklich umschrieben wäre.
Ihren bizarren Namen verdanken sie Robert Elms, Ex-Konkurrent auf dem Disco-Parkett und heute sein kleines Funk-Einmaleins beim britischen Insider-Blatt „Face“ verkündend, der den Begriff auf einer Reise nach – na, wohin wohl? – aufschnappte.
Spandau machen aus einer durchtanzten Disco-Nacht keinen Hehl, ebensowenig wie aus dem völlig natürlichen und klassenlosen Bedürfnis, gut und attraktiv auszusehen. Ihr Faible für klassischen Soul und das enthusiastische Bestreben, maximum danceability zu kreieren, ist beileibe nicht als Zeitvertreib gelangweilter Wohlstandswunderkinder einzustufen – sie alle entstammen einem sozial keineswegs abgesicherten Elternhaus. Die Essenz von wahrem Soul ist seine positive, lebensbejahende Energie und das selbstverständliehe Verhältnis gegenüber Werten wie Körperlichkeit und Erotik. Tony & Co operierten als lose Gang schon lange vor ihrer Existenz als Band in den Soul-Discos – allerdings mit einer Unterbrechung. Tony: „Ende 76, der Punk-Urknall. Aber – to cut a long story short – ein halbes Jahr später war der Zauber passe. Punk war unfähig, sich zu entwickeln, auf Veränderungen zu reagieren …“
Die fortschreitende Punk-Uniformierung, der individuelles Styling rasch zum Opfer fiel, trieb die Soulboys bald wieder auf angestammtes Terrain zurück. Danach ging alles zu schnell wie viele meinten.
Tony: „Purer Neid. Da erscheint einfach eine Band auf der Bildfläche und schüttelt ein Top Ten-Album aus dem Handgelenk. Für die Rock-Welt ein Affront, angesichts der Tatsache, daß andere Bands jahrelang landauf, landab System konform durch die Landschaft tingeln. Wir haben bewiesen, daß es unnötig ist, die diktatorischen Rock-Verhaltensmaßregeln einzuhalten.“
Spandau Ballet erhoben sich in der Tat wie der Phoenix aus der Asche – wenn auch das selbstherrlich JOURNEYS TO GLORY getaufte Debüt noch weit von der angepeilten Euro-Disco-Allianz entfernt war, trotz drei phantastischer Singles: „To Cut ALong Story Short“, das elegische „The Freeze“ und das marschähnliche, von antiphonischen russischen Chorälen durchsetzte „Muscle Bound“.
Tony: „Es war schon geradezu pervers, wie unser olympisches Cover-Artwork die Phantasie der Öffentlichkeit anstachelte, die schließlich in den m ärch enh öftesten A uswüchsen gipfelte. Oder kannst du dir erklären, wie man eine griechische Plastik mit Faschismus in Verbindung bringt! Altägyptische oder griechische Statuen repräsentieren für mich schlicht und ergreifend Zeitlosigkeit. Und JOURNEYS TO GLORY soll unvergänglich wirken, symbolisiert unsere Ausgangsbasis. Wir sind noch immer stolz darauf, auch wenn Spandau Ballet heute aus dieser Phase ebenso hinausgewachsen sind wie aus den Schotten-Kilts.“
Spandau Ballet beweisen, daß es sehr wohl möglich ist, auch ohne Engagements in abgetakelten viktorianischen Theatern zum Ziel zu kommen. Sie sind damit möglicherweise „alternativer“ als viele selbsternannte Szenen-Theoretiker. Weil sie neue Wege aufzeigen, weil ihr Beispiel Schule machte. Jede dritte Band beispielsweise, die sich heute in „Top Of The Pops“ präsentiert, hat sich offensichtlich von ihnen inspirieren lassen. („Ein dreifaches Pfui! auf unsere offensichtlichsten Nachahmer, Duran Duran“
Ihre Praktiken als elitär zu empfinden, ist eine symptomatische Affekthandlung von Leuten, die sich auf abgesegnete Schubladen verlassen, die, Moderesistent und unverdrossen, ihre „Working Class“-Philosophie in Rockmusik hineininterpretieren. Spandaus Publikum besteht in erster Linie aus den Stammgästen ihrer Wirkungsstätten, und gerade in den Soul-Clubs haben Kids die Chance, sich zu profilieren, miteinander zu konkurrieren – Individualismus, der andernorts kleingeschrieben wird.
„Soulboys tanzen lieber, als passive Zeugen einer Live-Show zu mimen, an der sie letztlich kaum partizipieren können „, sagt Tony. „Wenn wir auftreten, dann muß es eine ganz extravagante Sache werden. Wir wählen unsere Lieblingsclubs aus, wo Rahmen und Dekoration unseren Vorstellungen entsprechen. Und wir verzichten auf Inserate, verlassen uns auf Mundpropaganda, wodurch die Show zu einer intimen und exklusiven Angelegenheit wird. Es ist übrigens bemerkenswert, wie viele Teenager mittlerweile dabei sind, 15, 16-jährige für die „Glow“ oder „Chant Nr. 1″ möglicherweise die ersten Gehversuche in Sachen Soul sind.“
Spätestens seit „Chant Nr. 1“ sind Spandau Ballet dem hochtrabenden „White Funk“-Attribut gerecht geworden. Die schmetternden, mehrfach techno-gedoppelten Horn-Stöße der geliehenen Bläser-Sektion, Beggar & Co., formen den Song eine gelungene Kombination, die auch für die Zukunft einiges verspricht. Reiht die Spands ein unter die produktivsten Funkateers im UK. Nennt sie in einem Atemzug mit Linx oder Light of the World!
Tony: Beggar & Co. sind auch bei unserem neuen Album mit von der Partie. Und wenn ich noch etwas vorwegnehmen darf: Wir haben den ganzen Synthie-Ballast über Bord gekippt – nichts, aber gar nichts mehr erinnert an JOURNEYS TO GLORY. Und ich hoffe, daß wir nicht in die obligaten Fallen des Genres hineintappen. Wir wollen keine schwarze Spielform nachäffen, sondern Soul mit Euro-Groove verbinden. Ich z. B. kann es ja wohl schlecht mit Otis Redding aufnehmen …“
Spandaus ewige Metamorphose, die Angst, sich selbst zu parodieren und auf der Stelle zu treten, erscheint wie eine Versicherung, kein musikalisches Muster, und sei es noch so erfolgversprechend, zu plagiieren. Ich traue der Band beim Erkennen dieser Sackgasse, allen kommerziellen Gesichtspunkten zum Trotz, den sofortigen Split zu.
„Das wäre auch nicht weiter tragisch“ stimmt Tony zu, „denn ich habe nicht die Absicht, mit 28 noch auf der Bühne zu stehen und mich wie ein 19-jähriger zu produzieren, geschweige denn Songs aufzuwärmen, die möglicherweise schon nächstes Jahr keinen Bezug mehr zu meiner Umwelt haben. Wir sind intelligent genug, um zu wissen, daß uns nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung steht…“
Ein Hauch von Dekadenz bleibt unüberhörbar. Aber ich glaube, Tony steht zu diesem Schwur.