Southside Festival


Tuttlingen/Neuhausen ob Eck Milchaufschaumer in rock! Crowdsurfende Mülltonnen! Unansehnliche Männer!

Wie viele Schlagzeugsachverständige benötigt man für ein Wilco-Konzert? 17. Einen, der spielt und 16, die vor dem Konzert ca. drei Tage an dem Instrument herumdaddeln und jede Mikroeinstellung noch beim letzten Kuhglockchen unter die Lupe nehmen. Wer Wilco immer noch für eine bessere Countryrock-Combo gehalten hat, dürfte bei dem extensiven Soundcheck-Geschraube von Jeff Tweedys momentan sechsköpfigem Ensemble am Sonntagnachmittag stutzig werden. „Gut, dass nicht Talk Talk spielen“, sagt der Kollege von wegen der langen Wartezeit; aber es kommt ja bekanntlich auch nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern auf wen. Und bei Wilco sind das so viele Jahre seit ihrer letzten Tour hierzulande, dass es fast unwirklich scheint, als sie jetzt auf die Bühne kommen und mit glasklarem Sound „Company In My Back“ lospuckert. Sogleich fängt es an, leicht zu regnen, wobei aber die Sonne unverdrossen weiterscheint; auflergewöhnliche Bands verlangen außergewöhnliche Wetterkonditionen. Dann gleißt ein Regenbogen und Jeff Tweedy grient und sagt „It’s part of our show, enjoy ‚. was ungefähr das Maximum an Flockigkeit ist, das man von dem Introvertierten erwarten darf. Aber heute ist er sehr offensichtlich bestens gelaunt und sorgt für einen der seltsamsten Anblicke des Festivals, als er nach „Ashes Of American Flags‘ die Gitarre abnimmt und tanzbärig hopsend und grinsend das wundervolle „Hummingbirds‘ singt. Sichtlich wohl fühlt sich Tweedy im Kreise seiner grandiosen Band und man freut sich mit ihm, wieersich immer wieder in Solo-Duelle mit Avantgarde-Gitarrenmeister und Momentan-Wilco-Mitglied Nels Cline wirft, der ansonsten eine Schau für sich ist, wie er sein Instrument mit allen möglichen Gerätschaften bearbeitet iMilchaufschäumer!?]. Zwar packen sie ganze elf Songs in den einstündigen Set, aber trotzdem kann das so nicht weitergehen: Die müssen jetzt endlich mal auf „richtige‘ Clubtour kommen.

Wie auch Graham Coxon, der am früheren Nachmittag bei seinem deutschen Solo-Livedebüt im Kreise einer tighten Band aus alten Freunden gegen seine Komplexe ankämpfte und -wortkarg, dafür physisch umso entfesselter – eine bratzende, ohrwurmige Best-Of-Auswahl seiner vierSolo-Alben auftischte, dass man jetzt ruhig mal aufhören kann, ihn immer mit dem Attribut „Ex-Blur-Gitarrist“ zu versehen. Der Mann steht mittlerweile sehr gut alleine da. Ein Ehren-Salut gebührt I Am Kloot. denn sie sind gut. Das reimt sich a] und gehört sich b). weil es erfrischend ist, wie John Bramwell und Kollegen unspektakulär, aber mit lauter tollen Songs erstaunliche Menschenmengen erfreuen. Allerdings, wie gesagt: unspektakulär, drum schnell weiter… Moment: Jetzt doch noch Show! Zwei Frauen in „Kloot“-T-Shirts kommen auf die Bühne, tanzen und tragen dann den Sänger hinaus. Na also.

Als Showtiere par excellence, als Siegfried & Roy des Indierock, hatten sich abends zuvor die Pixies empfohlen. Nicht. Die undisputed unansehnlichste (drei kahlgeschorene Männer – vorne dran the artist jetzt wieder known as Black Francis, der mittlerweile Dreifachkinn trägt – und Kim Deal, die seltsam aus dem Leim gegangen scheint, aber zum Knuddeln sympathisch wirkt), doch mit am meisten Spannung erwartete Band des Festivals entzog sich der Verlegenheit, in Ansagen auf ihre vieldiskutierte Reunion eingehen zu müssen, dadurch, dass einfach 60 Minuten lang ohne Pause Hit um Hit rausgeballert wurde. Dann nach einer Stunde der erste ausklingende Schlussakkord und Jubel,der eine Minute lang huldvoll entgegengenommen wurde – und zack! die Zugaben. Groß. Und jetzt bitte schnell wieder auflösen, bevor’s blöd wird.

Den harten Job, nach den Pixies anzutreten, übernahmen Placebo Idie offenbar kein Zuhause haben] mit einem gewohnt soliden Set. wobei Brian Molko das tolle „Without You Im Nothing“ David Bowie widmete, der seinen Auftritt aufgrund eines „Bandscheibenvorfalls“ Iheute weifi man, dass es ein Beinahe-Herzinfarkt war. verdammt; god bless himl abgesagt hatte.

Zurück zum Sonnntag und siehe da, da spielt gerade PJ Harvey und sieht aus und ist toll wie stets. Nach ihrem minimalistischen Trio-Auftritt letztes Jahr beim Terremoto-Festival hat sie ihre Band um einen Gitarristen aufgestockt und wieder hat man das bestimmte Gefühl, dass man diese Frau endlich mal wieder in einem Club sehen muss und nicht nur ständig bei „exklusiven“ Gigs auf riesigen Festivalbühnen.

Und hier. hahaa!, the Hives. Knorke Anzüge, tolle Halsschleifen, the Hives! Ausfransende Grofimäuler, crowdsurfende Mülltonnen. THE HIVES! „Which band came and stopped the rain? The Hives!“. postuliert Pelle Almqvist freimütig. Stimmt zwar gar nicht, weit das Wilco waren, du Hänfling, aber Pelle darf Blödsinn erzählen und ist immer noch der beste Mann auf dem Platz. Und wenn er quäkt, dass der nächste Song WAHNSINN ist, dann IST der nächste Song WAHNSINN, auch wenn er vielleicht vom neuen Album und in der Realität nur so mittel ist. Hives live hat gottlob nichts mit der Realität zu tun und man tut sehr gut daran, sich dem zu fügen. Und im Übrigen immer mit einem Auge auf Gitarrist Nicholaus Arson zu achten, der die tollsten Posing-Tricks kann. Was für eine grandiose Liveband. Bald auf – na. es geht doch – Clubtour!

Und dann sind da noch The Cure. Robert Smith stapft wie ein großer, schlecht frisierter Bär über die Bühne, lacht oft mit seinen Kollegen und gibt ein Cure-Konzert. Ein Cure-Konzert eben. Da mögen sie von Ross Robinson produziert worden sein, live klingt das wie immer, semi-fiese Gothpop-Keyboards inklusive. Manchmal eiert das so dahin, dann steht plötzlich wieder ein mächtiges Riff oder ein Hit da, dass es auch dem Nicht-Hardcore-Fan schummerig ums Herz wird. Und wenn sie „In Between Days‘ spielen, möchte man weinen, weil es so schön ist. Was will man mehr? Ach, Bright Eyes? Gern. Die haben am Nachmittag gespielt und Conor Oberst war – im Gegensatz etwa zum Auftritt letztes Jahr beim Frequency in Salzburg – bestens disponiert [d.h. nicht komplett betrunken) und spielte auch ein paar neue Songs. Und wenn die auf einem der zweii!) Alben sind, die im kommenden Januar erscheinen sollen, dann: ist doch alles gut.