Soundgarden


Soundgardens Nachbarn Pearl Jam und Nirvana kämpfen mit dem Erfolg. Die nächste große Band aus Seattle wählt den Weg der Vernunft: langsam nach oben und einfach warten. Der große Durchbruch kommt bestimmt.

„Weißt Du, ich verstehe Künstler nicht. Wie man soviel Zeit bei der Arbeit verplempern kann…“ Der Mann, der so spricht, ist jung, dynamisch, kommt aus Hollywood und arbeitet bei einer großen Plattenfirma. Seine Künstler sind gerade gelangweilt an ihm vorbei geschlendert. Raus aus ihrem Arbeitsplatz Aufnahmestudio, ohne ihn auch nur eines gelangweilten Blickes zu würdigen. Der Mann ist hier, um Interviews mit Soundgarden zu koordinieren. Mit seinem Zeitplan ist er etwa zwei Stunden in Verzug.

Seine erste Rettung kommt in Gestalt einer freundlich forschen Dame durch die Tür gestürmt. Susan Silver, Soundgarden-Managerin, die unter anderem auch Alice In Chains und Nirvana diszipliniert, sondiert in Begleitung zweier hopsender Pinscher und eines ältlichen Hunderiesen die Lage. Mit bescheidenem Erfolg: „Vielleicht geht ihr besser erst mal was Essen.“ Gegenüber des Bad Animals Studios in Seattle, Washington, im dezenten Ambiente eines Waschsalon-Cafes, dessen Inneneinrichtung anmutet wie die Sondermüllhalde der Star-Wars-Trilogie, erzählt der Mann von der Plattenfirma von einer beruflichen Reise nach Mexiko: „Ich fahre gerne dort hin, nur mein Telefon funktioniert da immer nicht richtig — sowas macht mich wahnsinnig.“

Einige neonfarbene Polyäthylen-Drinks später ist die Welt für ihn wieder in Ordnung. Im Hinterzimmer des Studios, wo die Seattle-Pioniere Soundgarden seit vier Monaten den Nachfolger zum platinveredelten 91er Erfolg „Badmotorfinger“ einspielen, trödelt die Band zum unbeliebten Frage-Antwort-Spiel herein. Allen voran Sänger Chris Cornell, baumlang und mit gemessenem Schritt: ein Typ, der sein Telefon wahrscheinlich öfter mal leise stellt und bei unambitionierten Fragen in der Aufwärmphase sein Hirn erst gar nicht anschaltet. Zur Arbeit am neuen Album: „Manchmal war es ganz einfach, manchmal war es schwer. Ich würde nicht sagen, daß es allgemein schwer war, aber direkt flott ging es auch nicht von der Hand.“ So.

Soundgarden sind die letzten im Seattle-Triumvirat, auf deren Album die Welt nach dem Kommerz-Knall in ihrer Heimatstadt noch wartet. Nirvana arbeitet mit „In Utero“ am Rückzug in den Untergrund, Pearl Jam sind mit „Vs.“ Amerikas Nr. 1 geworden —- was passiert jetzt mit Soundgarden? Zumindest in den Etagen ihrer Plattenfirma mag das eine beliebte Frage sein. Am runden Tisch vor Ort nicht, denn die logische Folge der Ereignisse ist eine andere. Cornell: „Wir waren die erste Band aus Seattle, die einen Major-Vertrag hatte. Damals (1989) waren wir der Hype, und so war es fast erleichternd, daß sich die Aufmerksamkeit auf andere verlagert hat. Außerdem: Wir haben einen festen Stamm an Fans, der langsam wuchs, ich glaube nicht, daß unsere Verkäufe etwas mit dem Erfolg von Pearl Jam und Nirvana zu tun haben.“

Verdammt unspektakulär, aber wahr. Die Band hat tatsächlich langsam aber sicher am Aufstieg gearbeitet — vom lokal üblichen Erstprodukt bei Sub Pop über ein Debüt beim Renommier-Indie Label SST („Weil da damals alle Bands waren, die wir bewunderten.“) bis zum Major-Vertrag bei A&M. Das frische Meisterwerk „Superunknown“ ist mittlerweile schon die dritte Platte für die Industrie. Weitere Normalitäten: Die Zusammenarbeit innerhalb der Band funktioniert ganz demokratisch, die Songwriter-Credits auf den Alben sind gerecht verteilt. Keines der Mitglieder pflegt medienwirksame Beziehungen oder Laster, kein prophetischer Frontmann verleiht Soundgarden überirdischen Glanz. Und kürzlich ließ sich Chris Cornell —- bislang mit wallender Mähne und vorbildlichem Körperbau wenigstens äußerlich dazu geeignet als Rock-Gott verehrt zu werden—, – auch noch die Haare abschneiden.

Dies ist nicht Amerika —- seit Seattle bald von jedem Volksmusik-Konsumenten korrekt ausgesprochen wird, suchen arbeitseifrige Kommentatoren das gewisse Etwas, das in der fast-schon-Kleinstadt soviel kreative Kraft freizusetzen wußte. „Es war einfach immer sehr gemütlich hier. Bevor sich die Plattenindustrie und die Medien auf diese Stadt stürzten wie die Geier, war Seattle eine eigene kleine Welt. Hier hättest du ohne Hosen die Straße ‚runterlaufen können, und keiner hätte sich was dabei gedacht.“ Soundgarden-Schlagzeuger Matt Cameron, sonst eher der kühle Kopf der Band, wird fast schwermütig, wenn er von alten Zeiten redet. Denn wenn heute jemand unbekleidet seine Runden um Seattle’s Space Needle dreht, dann „ist es wahrscheinlich eine von den hunderttausend wahnsinnigen Tussen, die Eddie Vedder heiraten und ihm ein Kind schenken wollen. Oder einer von den unzähligen Jungs, die hierher kommen, um eine Band zu starten, einen Deal bei Warner Brothers zu bekommen und Millionen zu verdienen. Sie laufen hier zu tausenden ‚rum. Ich hasse sie, die blutsaugenden Parasiten!“

Gitarrist Kim Thayül verdreht gefährlich die Augen und gefällt sich in seiner besten Rolle als Scherz-Zombie und Pausenclown. Der Halb-Asiate gehört zusammen mit Cornell zu den Gründungsmitgliedern von Soundgarden. (Matt Cameron wurde 1986 kurz vor den Aufnahmen zur ersten EP rekrutiert, Bassist Ben Shepherd stieß erst 1991 zu Zeiten von „Badmotorfinger“ dazu.) Und er ist Hauptschuldiger an dem Verdacht, den diverse US-Medien vor zwei Jahren hegten: daß die Männer von Soundgarden sexistische Macho-Idioten sind. Da hatten kluge Köpfe genau hingehört und in den zentnerschweren Soundgarden-Riffs, die weit entfernt von hübschen Nirvana-Refrains oder melodischem Pearl Jam-Rock dröhnen, eine männliche Ader erkannt. Und auf die unvermeidliche Frage: ‚Warum ist harter Rock immer noch von Männern dominiert?‘ antwortete Thayill überzeugt: „Das ist nur richtig so. Es gibt genug offene Stellen für Kellnerinnen.“

Das amerikanische Teenie-Mädchen-Magazin „Sassy“ kürte Soundgarden daraufhin empört zur „häßlichsten und sexistischsten Band Amerikas“. Dem Sprücheklopfer ist das natürlich egal:

„Klar sind wir zu männlich für Teenies. Warum sollten sich vierzehnjährige Mädchen, die mit der eigenen Sexualität noch nicht umgehen können, von Schwanz tragenden Angebern wie uns verunsichern lassen. Das stößt sie doch nur mit der Nase darauf, daß sie kleine Mädchen sind, die noch nicht richtig vögeln können, und das Gefühl mögen sie nicht.“

Klare Worte, die vor allem eines sagen: Soundgarden lassen sich von nichts und niemandem vereinnahmen. Nicht vom abgestandenen Seattle-Hype und auch nicht vom Mediengetöse um die Erfolge der amerikanischen Alternativ-Rockkultur. Cornell: „Heute ist doch eher White Snake alternativ, weil die nicht soviel Platten verkaufen wie Nirvana. Und außerdem: Ich konnte wimmernden College-Rock noch nie leiden.“ Noch weniger, seit, so Bassist Ben Shepherd, die Alternative zum kommerzialisierten Patentrezept verkommen ist: „Man nehme ein paar Retro-Elemente und verpacke sie modern. Die meisten Bands denken wohl tatsächlich, sie machen da was Neues. Dann werden sie noch passend vermarktet, sind politisch korrekt und umweltbewußt. Nur, mit Musik hat das alles nichts mehr zu tun.“

Die Soziologen-These vom milieugeschädigten Musiker der Generation X, der mit Löchern in der Hose von kaputten Familienverhältnissen singt und damit das Herz der heutigen Jugend erobert, paßt nicht ins Soundgarden-Konzept: „Man sollte nicht aus Selbstmitleid heraus Musik machen, sondern weil man Talent hat.“

Auch die trendgerechte Angst vor der Masse ist für sie ein fremdes Gefühl. Hinterbliebene im Indie-Lager von Sub Pop erinnern sich: „Die wollten immer schon berühmt werden.“ Angeblich sei man dort heilfroh gewesen, als Soundgarden das Label wechselte. Die anfallenden Produktionskosten für ein Soundgarden-Produkt waren damals schon viermal so hoch wie für alle anderen Sub Pop-Bands. Vom Gesparten hat Sub Pop damals übrigens Nirvanas erstes Album „Bleach“ finanziert.

Cornell ist sich sicher: Falls Soundgarden wie alle ihre Freunde zu mehrfachen Milionensellern werden sollten, werden sie dennoch Herr der Lage bleiben: „Wir haben schon alles gemacht, was man heutzutage nicht darf. Wir sind mit Guns N’Roses getourt und haben Interviews für den Playboy gegeben. Und wenn wir jetzt aufs Titelblatt vom Rolling Stone kommen würden, wäre das für uns und unsere Karriere nur gut und sicher kein ideologisches Problem.“ Der Herr von der Plattenfirma wäre ihm für diese Worte dankbar, doch bald wird er es ohnehin merken: Bei Soundgarden geht alles, nur ein bißchen langsamer.