Soundgarden
Soviel ist sicher: Wegen Blind Melon sind an diesem Dienstagabend etwa acht oder neun der schätzungsweise 1.500 Zuschauer – zumeist End-Teenager – in das Terminal gepilgert. In der Tat wirkt das Quintett schon allein vom Härtegrad her zwischen den Vorbands Sponge und Reef und all den lauten Herrschaften, die erst noch kommen sollten, reichlich deplaziert. Zumal der Großteil des Programms doch sehr beliebig und ohne Feuer dahindudelt. Was die Melonen trotzdem im Line-Up des INTOTHE SUPERUNKNOWN-Festivals zu suchen haben, wird wohl das superunbekannte Geheimnis des Veranstalters bleiben. Denn schon bald werden weitaus heftigere Töne angeschlagen: Die kalifornischen Surfpunks Pennywise rotzen sich durch einen rund 4ominütigen Set aus rauh-melodischen Pogo-Hymnen, einziger Ausrutscher ist lediglich eine ebenso sinn- wie witzfreie Oi-Version von Ben E. Kings Soul-Heuler ‚Stand By Me‘. Für mittelschweres Ohrensausen sorgen anschließend Kyuss. Deren notorisches Soundchaos hält sich diesmal in Grenzen, man kommt in den Genuß der wahren Werte der Kalifornien ein extrem psychedelischer Phonsturm aus extrem übersteuerten Verstärkern, extrem faszinierend für die einen, extrem anstrengend für weniger belastbare Gemüter.
Kyuss haben ihre Abmischungsprobleme heute also im Griff, und so darf man auch für die Headliner des Abends guter Hoffnung sein. Doch schon nach den ersten Takten ist klar, was das primäre Problem von Soundgarden war und ist: die offensichtliche Unfähigkeit ihres Mischpult-Mannes, aus vorangegangenen vermurksten Gigs zu lernen, gepaart mit offenbar zu großer Herzenswärme von Seiten der Band, den Herrn endlich vor die Gartentür zu setzen. Da dröhnen psychedelische Improvisationen bisweilen nur noch völlig indifferent aus den Boxen, hört sich Chris Cornells Stimme vor allem in höheren Lagen eher wie ein Störgeräusch denn wie Gesang an oder geht im Zweifelsfalle ganz unter. Dabei könnte alles so schön sein. Sieht man vom Wummersound nämlich einmal ab, wird da doch zumindest Solides geboten. Was nicht zuletzt am überdurchschnittlichen Songmaterial der Grungepioniere liegt. Songs wie ‚Spoonman‘, ‚Superunknown‘ und schwere Psychedelia wie ‚Black Hole Sun‘ oder ‚Head Down‘ entfalten auch in der Lo-Fi-Liveversion eine Kraft, die so manche Nacheiferer mehr als schmalbrüstig erscheinen läßt. Dazwischen streut man älteres Material wie das furiose ‚Rusty Cage‘ oder das hektisch-wüste ‚Jesus Christ Pose‘, gekrönt von einer gewaltigen Version des Doors-Klassikers ‚Waiting For The Sun‘.
Die Band selbst vermittelt dabei aber alles andere als den Eindruck sorgloser Spielfreude. Cornell, der die Rolle des hyperaktiven Action-Frontmanns schon lange abgelegt hat, verläßt nur einmal seinen Posten am Mikro, um sich seltsam unmotiviert in die Massen zu stürzen, die er vorher umständlich zum Hinsetzen aufgefordert hatte. Für gediegene Verwirrung sorgt auch die Entscheidung des stimmlich offenbar noch immer etwas angeschlagenen Meisters, den Gesangspart von ‚Fell On Black Days‘ gänzlich dem Publikum zu überlassen – das allerdings bestenfalls des Refrains mächtig ist. Während Cornell eher zynisch über den Dingen stehend als mit Herz bei der Sache wirkt, gibt einer das enfant terrible, der immer als ruhiger Pol in der Band galt: Den Baß am Knie, tobt Ben Sheperd durch die Szene, als wolle er mit Gewalt Bewegung in die statische Bühenpräsenz seiner Band bringen, legt sich mit dem Publikum an oder liefert sich einen handgreiflichen Kleinkrieg mit seinem Roadie. Einen Song lang verschwindet er, um vom Backstage-Bereich aus – Verstärkersender sei Dank – mitzumischen. Das ist alles kurzweilig mitanzuschauen und auch irgendwie „echt rock’n’roll“. Spätestens aber, wenn Sheperd sich bemüßigt fühlt, nach dem letzten Song des regulären Sets die von Cornell liegengelassene Gitarre noch einmal kräftig auf die Bühnenbretter krachen zu lassen und in minutenlangem Alleingang das verwaiste Schlagzeug auseinanderzulegen, fragt man sich mulmig, worauf diese offensichtliche Aggressivität zurückzuführen sein könnte. Berichte vom Konzert in Offenbach, wo tags zuvor ein betäubt wirkender Cornell und eine lustlose Band kaum etwas auf die Reihe bekommen hatten, lassen über den momentanen Zustand der Gruppe ohnehin auf nichts Gutes schließen. Es wäre den Herren zu wünschen, daß sie die Kurve kriegen, in der sie da offenbar gerade hängen. Wie an diesem Abend, dessen finales Feedback-Gewitter noch am nächsten Tag in den Ohren heulte.