„Sound of Metal“: Bret Easton Ellis und Paul Schrader debattieren über „Opfer“-Darstellung eines Gehörlosen


Das Drama „Sound of Metal“ mit Riz Ahmed gilt als Oscarkandidat 2021. Nun hat Bret Easton Ellis eine gewisse „Opferideologie“ des Films kritisiert. Ist da etwas dran? Eine Analyse.

Achtung, dieser Artikel enthält Spoiler zu dem Film „Sound of Metal“.

Am Mittwoch teilte Paul Schrader eine Filmempfehlung auf Facebook. Das Werk mit dem Titel „Sound of Metal“ bewarb der „First Reformed“-Regisseur mit den Worten: „Ich mochte diesen Film sehr gerne. Das Ende war ein Fehlgriff, aber ansonsten hat dieser Film eine Menge toller Arbeit geleistet.“ Während zahlreiche Facebook-User*innen die lobenden Worte des 74-Jährigen teilten, stachen zwei kritische Stimmen aus der Masse heraus: Bestseller-Autor Bret Easton Ellis und dessen Lebensgefährte Todd Schultz. Beide sind Freunde Schraders; Ellis schrieb das Drehbuch zu dessen Film „The Canyons“.

In seinem Kommentar bezeichnete Ellis „Sound of Metal“ als „am Ende etwas klischeehaft und unerträglich“ und meinte: „Ein weiterer hochgelobter Indie-Film aus dem Jahr 2020, der in einer bestimmten Art von erbärmlicher Opferideologie versinkt, und was ihn noch edler macht: Er ist so gut wie unterhaltungsfrei!“ Die subjektive Einschätzung, ob ein Film nun unterhaltsam sei oder nicht, einmal außen vorgelassen: Was steckt hinter Bret Easton Ellis‘ Kritik? Handelt es sich bei „Sound of Metal“ tatsächlich um ein Werk, das eine gewisse „Opferideologie“ reproduziert?

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Im Fokus des Dramas steht der Schlagzeuger und ehemalige Heroin-Abhängige Ruben (Riz Ahmed), der mit seiner Freundin und Bandkollegin Lou (Olivia Cooke) in einem Wohnwagen durch die USA tourt. Ihre gemeinsamen Metal-Gigs unter dem Bandnamen „Blackgammon“ sind Rubens Lebenselixier – den Rausch der Sucht hat er schon lange durch den Rausch der Musik ersetzt. Als Ruben jedoch plötzlich sein Hörvermögen verliert, ändert sich alles: Während er weiterhin live spielen möchte, zieht Lou die Notbremse und sichert ihrem Freund einen Platz in einer abgeschiedenen, gehörlosen Wohngemeinschaft für ehemalige Suchtkranke – aus Angst, er könnte aufgrund des Schocks einen Rückfall erleiden. Ruben, der sich zunächst weigert, kann sich mithilfe des Einrichtungleiters Joe (Paul Raci) und der Lehrerin Diane (Lauren Ridloff) langsam an sein neues Leben gewöhnen, glaubt jedoch immer noch an eine Rückgewinnung seines „alten Lebens“. Um wieder mit Lou zusammen sein zu können, verkauft Ruben daraufhin all seine Besitztümer und investiert das Geld in Cochlea-Implantate, die es ihm zwar wieder ermöglichen, zu hören – allerdings mit starken phonetischen Einschränkungen. Dennoch bemüht, das Beste daraus zu machen, versucht Ruben die Störgeräusche seiner neuen Hörprothesen auszublenden, muss jedoch nach einem Besuch bei Lou in Paris einsehen, dass sich die beiden aufgrund der Umstände voneinander entfremdet haben. Zuletzt scheint es, als habe diese Erkenntnis in Ruben einen inneren Schalter umgelegt: Er legt die Cochlea-Implantate ab und akzeptiert somit den Umstand seiner Taubheit.

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Das Filmdrama von Darius Marder, dass im November 2020 in die US-Kinos kam, hat einen „Rotten Tomatoes“-Score von 96%, also fast gänzlich positive Kritiken erhalten. Als Hauptgründe hierfür werden das Sounddesign von Nicolas Becker angeführt, der die Zuschauer*innen stets hören lässt, was Ruben (nur schwach) hört, sowie Riz Ahmeds beeindruckende schauspielerische Performance. Doch das ist nicht alles: „Sound of Metal“ hat zudem viel positives Feedback aus der Gehörlosen-Community erhalten, in dem der Film für seine ehrliche, bedachte und respektable Darstellung eines Handicaps gelobt wird. So schreibt Mary J. auf „Letterboxd“: „Es ist ein gut gemachter Film, sowohl vom emotionalen als auch vom asynchronen Gefühl her, das die Figur mit dieser enormen viszeralen Veränderung durchmacht. Tief verbunden mit diesem Film, wie ich es bin, genoss ich auch die Schlichtheit seiner Endkrise zu etwas mitfühlend Schönem.“ Dass ein Film einmal für seine akkurate Repräsentation einer Behinderung von Seiten der Betroffenen gelobt wird, ist mehr als wichtig. Denn eins ist klar: Darstellungsformen eines Handicaps hat in Film und Fernsehen keine besonders respektable Vergangenheit.

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In dem Artikel „What do you think of how people with disabilities are portrayed in films and on TV?“ nimmt die Autorin Shannon Kelly von der Website „disability horizons“ das Thema genau unter die Lupe. Kelly vermerkt zunächst, dass einige Filme dazu neigen, falsche oder problematische Ideen davon zu verstärken, was es bedeutet, mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung zu leben; so werde beispielsweise häufig suggeriert, eine Behinderung sei ein Zustand, der überwunden werden müsse. Ein für diese Darstellung beispielhafter Film ist James Camerons Blockbuster „Avatar“ (2009), in dem der Hauptprotagonist Jake Sully unter seiner körperlichen Behinderung leidet und letztendlich einen neuen Körper – und damit ein glücklicheres neues Leben – erhält. Bei „Sound of Metal“ wiederum kann dieser Kritikpunkt gänzlich negiert werden. So ist die Enttäuschung der Bewohner*innen der Einrichtung groß, als sie erfahren, dass sich Ruben für die Implantate entschieden hat, also glaubt, seine „Behinderung“ ablegen zu müssen. Es ist der Hauptprotagonist selbst, der bei seiner Gehörlosigkeit zunächst von einem bezwingbaren Zustand ausgeht – bis er letztendlich versteht, dass ihm die Akzeptanz seiner neuen Lebensumstände inneren Frieden schenkt.

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Eine weitere Problematik liegt laut Kelly darin, dass Filme häufig die unterschwellige Überzeugung verstärken, ein gehandicapter Mensch sei in einem bitteren, unglücklichen Leben gefangen. Zudem werde dadurch oft suggeriert, die körperliche oder geistige Einschränkung sei mitunter das einzige Identitätsmerkmal des/der Protagonist*in. Auch dieser Faktor kann bei „Sound of Metal“ ausgeschlossen werden. Wie Glen Weldon in seiner Filmkritik bei „NPR“ passend zusammenfasst: „Es gibt hier Gefühle, aber keine Sentimentalität, kein Streben nach unverdienten Emotionen, kein Bedürfnis, Ruben als Subjekt unseres herablassenden Mitleids oder pauschalen Lobes darzustellen.“ Ja, es kann nicht bestritten werden, dass Ruben auf seinem Weg eine Vielzahl an Emotionen durchläuft – von Panik, über Unglaube, Verweigerung, bis hin zu Wut, Trauer und Akzeptanz. Dennoch versteckt sich der Film nicht hinter falschem Mitleid: Nachdem der ehemalige Schlagzeuger seinen Platz in der Einrichtung gefunden hat, zeigt ihm sowohl die Arbeit mit Kindern als auch die Freundschaften, die er dort schließt, dass ein gehörloses Leben nicht gleich ein trauriges Leben bedeutet.

I really liked this movie. The ending was a false note but there was otherwise a lot of great work in this film.

Gepostet von Paul Schrader am Dienstag, 19. Januar 2021

Als dritten Kritikpunkt führt Shannon Kelly den Fakt auf, dass gehandicapte Protagonist*innen nach wie vor häufig von nicht eingeschränkten Personen gespielt werden. Man denke in diesem Fall nur an Eddie Redmaynes Performance als Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ (2014), Tom Hanks als „Forrest Gump“ (1985) oder Craig Roberts in dem Teen-Drama „Umweg nach Hause“ (2016). Diese Kritik ist bei „Sound of Metal“ definitiv angebracht; schließlich schlüpft der Hauptdarsteller Riz Ahmed in die Rolle eines tauben Menschen, obwohl er es selbst nicht ist. Paul Raci wiederum – der in dem Film den Einrichtungsleiter und Kriegsveteran Joe spielt – wurde für die Rolle aufgrund seiner Authentizität ausgewählt. So ist Raci als Sohn gehörloser Eltern aufgewachsen und beherrscht die amerikanische Gebärdensprache fließend. Und auch bei „The Walking Dead“-Darstellerin Lauren Ridloff handelt es sich um eine in Wirklichkeit taube Schauspielerin.

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Unter Bezugnahme von Shannon Kellys Kritikpunkten kann man sich also nun fragen: Ist Bret Easton Ellis‘ und Todd Schultz‘ Vorwurf einer „Opferideologie“ bei „Sound of Metal“ gerechtfertigt? Die erstmal enttäuschende Antwort: Eine simple „Ja“- oder „Nein“-Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Ob die Zuschauer*innen Ruben nun als „ein völlig hilfloses Opfer“ wahrnehmen – wie Todd Schultz den Protagonisten in seinem Facebook-Kommentar bezeichnet – oder nicht, liegt einzig und allein an ihrem subjektiven Befinden. Dieser Faktor ist vor allem deshalb nicht unwichtig, weil es sich auch bei körperlicher oder geistiger Behinderungen immer um eine individuelle Erfahrung handelt. Somit steht es mir als nicht-gehandicapte Person überhaupt nicht zu, über eine „richtige“ oder „falsche“ Darstellung von Handicaps im Film zu urteilen. Da der Film jedoch durchaus positiven Anklang bei der Gehörlosen-Community erhalten hat, kann seine Darstellung so realitätsfern und problematisch nicht sein. Und das ist das, was am meisten zählt.

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