Soulsavers – „Nur weil wir elektronisch sind, heißt das nicht, dass wir keinen Soul haben.“


Dave Gahan ist seit Jahrzehnten auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Antwort hofft der Sänger von Depeche Mode jetzt bei den Soulsavers zu finden. Das Elektro-Duo und der Superstar haben zusammen ein Album aufgenommen. Ein Gespräch mit Gahan und dem Soulsavers-Kopf Rich Machin.

Der Soulsavers-Komponist Rich Machin und Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan geben auf den ersten Blick ein seltsames Paar ab. Hier der Studiotüftler, der mit Mütze und Bauchansatz wie ein großer Junge wirkt, dort der tätowierte Rocksänger. Wie sie so dasitzen, sehen sie aus wie der Stubenhocker von nebenan und sein Superhelden-Freund, der gerade einem Comic entstiegen ist. Und doch eint beide die musikalische Entwicklung. Depeche Mode näherten sich 1989 mit der Single „Personal Jesus“ und vier Jahre später dem Album Songs Of Faith And Devotion Blues und Gospel an. Ähnliche Wege beschritten die Londoner Soulsavers (Rich Machin und Ian Glover), die als Elektro-Duo anfingen und sich mehr und mehr zu Roots-Musikern entwickelt haben. Auf ihrem letzten Album, Broken (2009), klangen Soulsavers nicht mehr wie Studioarbeiter, sondern wie eine Band aus den Südstaaten der USA. Dave Gahan und Soulsavers veröffentlichen nun das gemeinsame Album The Light The Dead See.

Mister Machin, Ihr Projekt Soulsavers ist in Deutschland noch relativ unbekannt. Für Ihr aktuelles Album, The Light The Dead See, arbeiteten Sie mit Dave Gahan zusammen, einem der bekanntesten Sänger überhaupt. Wie kam es dazu?

Rich Machin: Dave lud uns als Vorband für Depeche Mode ein, wir supporteten sie bei ihrer „Tour Of The Universe“ 2009. Hinter der Bühne redeten wir über gemeinsame Pläne. Und nach dem Ende der Tour mailten wir uns die ersten Soundfiles zu.

Dave Gahan: Ich bin Soulsavers-Fan seit dem Debüt (Tough Guys Don’t Dance, 2003). Das dritte Album, Broken, mit Mark Lanegan als Gastsänger gefällt mir besonders gut. Nach ein paar Monaten „Tour Of The Universe“ bin ich in mich gegangen. Ich hätte Lust auf etwas mehr Musik. Lust auf eine Zusammenarbeit.

Vorbands haben bei Depeche Mode einen schweren Stand. In der Regel werden sie von der Bühne gepfiffen.

Gahan: Besonders in den 90er-Jahren war das so. Unsere Vorbands wurden mit Gegenständen beworfen. Mit Münzen, Flaschen, Steinen. In Griechenland ist das damals passiert. Den Soulsavers dagegen hat unser Publikum zugehört …

Machin: Wir wurden vorher auch von anderen Bands gewarnt: „Ihr wollt den Support machen für die? That’s a rough gig!“

Gahan: Selbst hartgesottene Bands hatten es nicht leicht mit uns. Spiritualized etwa. Sie spielten ein paar Auftritte für uns. Dann sagten sie: „Nope – nichts für uns!“ Eines Abends steckte ich meine Nase in ihren Umkleideraum: „Hey, wo sind Spiritualized hin?“ – „Sie sind weg.“ Aber Depeche Mode sind erwachsener geworden. Unsere Fans auch, sie besuchen unsere Konzerte seit 30 Jahren, da werden keine Steine mehr geworfen. Auch von den jüngeren Fans nicht! Depeche Mode haben ja auch aus ihren Fehlern gelernt. Es gab eine Zeit, in der weder meine Band noch ich Einfluss auf die Auswahl der Vorgruppen hatten. Zu oft sah ich sie mir an und dachte: „Fucking Rubbish, forget it!“, und ärgerte mich, dass das Booking über unsere Köpfe hinweg gemacht wurde. Hinter der Bühne waren uns solche Situationen dann oft peinlich, wir versuchten, den anderen Musikern aus dem Weg zu gehen.

In den 90ern galten Sie als über alle Maßen exzessiv – dass Sie Konflikten aus dem Weg gegangen sein sollen, kann man sich nur schwer vorstellen.

Gahan: Es kann schon sein, dass ich zu den Musikern ging und ihnen ins Gesicht sagte: „You suck.“ Ich war ein Arschloch. Bei den Soulsavers aber lag etwas Besonderes in der Luft, gleich nach ihrem ersten Supportauftritt. Als die 2009er-Tournee vorbei war, wollte ich zunächst Ruhe haben, ich wollte Zeit mit meiner Familie verbringen. Dieser Wechsel zwischen Musik und Familie ist aber oft schwer. Als Rich mir dann die ersten Soundfiles schickte, hat sich in mir sofort etwas gerührt. Nach eineinhalb Jahren hatten wir fünf Stücke fertig. Erst dann wurde uns klar, dass wir damit längst an einem Album arbeiteten.

Machin: Ein Album war ja nie wirklich in Planung. Es ging uns mehr um Gefühle, die raus wollten. „Das fühlt sich gut an“, „diese Richtung gefällt mir“, „lass uns das weiter machen“. Die Musik hat funktioniert wie ein Stimmungsbarometer.

Wie kann die Chemie zwischen zwei Musikern stimmen, wenn sie nicht gemeinsam in einem Studio arbeiten, sondern sich stattdessen per E-Mail Soundfiles hin- und herschicken?

Machin: Ich möchte unsere Arbeitsweise ja auch nicht als „nicht seltsam“ bezeichnen, dennoch ist diese Art der Zusammenarbeit zwischen Musikern nicht ungewöhnlich. Die Zeit spielte keine Rolle. Wir hatten alle Zeit, die wir brauchten, keinen Druck durch Studiotermine, kein „das muss heute sitzen“.

Gahan: Es gab keinen einzigen Moment, in dem ich vor dem Computer ausharrte, Nägel kaute, minutenlang bangte und auf Antwort wartete: Wie wird er meinen Text finden? Rich und ich gehen eben denselben Weg. Und warum ist das so? Who knows! Bitte, hier haben Sie die Antwort auf alle Ihre Fragen! (lacht)

Die bestimmenden Themen Ihres gemeinsamen Albums The Light The Dead See sind Sünde und Vergebung.

Gahan: Finden Sie? Religion hat mich schon immer beschäftigt. Ich würde The Light The Dead See als ein spirituelles Album bezeichnen. Es geht um menschliche Seelen, die nach Erkenntnis suchen. Das bezieht sich auch auf die Frage nach den Verbindungen zwischen Rich und mir. Und dass es keine Verbote gegeben hat. Kein „das gefällt mir nicht“, kein „probiere etwas anderes aus“ – Anweisungen solcher Art wären wie atmosphärische Störungen zwischen uns gewesen.

Lief das alles so einfach? Der Sänger der weltberühmten Depeche Mode traf ja auf einen Elektro-Produzenten, der sich zunehmend dem Blues zuwendet.

Machin: Da ich den Gastsängern keine fertigen Songs vorlege, verleihen sie den Ideen auch erst die Seele. Das trifft auf Mark Lanegan zu, genau wie auf Jason Pierce von Spiritualized und Mike Patton von Faith No More – und jetzt Dave Gahan. Da hatte ich ja größere Probleme, wenn ich aus dem Fenster schaute und mich fragte, wie ich je mit dem miesen Wetter fertigwerden soll.

Gahan: Ha!

Machin: Danke.

Denken Sie bei Aufnahmen nicht manchmal: Das klingt jetzt zu sehr nach Depeche Mode?

Gahan: Gute Frage. Ich habe großes Vertrauen in mein Instrument, die Stimme. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass ich jetzt ungewohnteres Terrain betrete. Der Song „Gone Too Far“ zum Beispiel hat etwas Anklagendes, gleichzeitig zeigt er mich sehr schutzlos. Ansonsten stellen sich mir technische Fragen: Passt dieses oder jenes Wort zu dem, was ich ausdrücken will? Songs für Depeche Mode zu schreiben, ist dennoch etwas anderes. Zunächst einmal müssen Lieder für Depeche anders präsentiert werden. Ich muss sie zwei anderen Menschen zeigen, die mit mir in einer Band spielen. Glauben Sie mir: Wenn ich Depeche Mode einen Song vorstelle, und dieser nicht ordentlich präsentiert wird, dann bekomme ich dort noch nicht mal einen Fuß in die Tür. Gleichzeitig wird mir in meiner Band auch immer wieder gezeigt, was ich am besten kann: die Songtexte.

Für Depeche Mode sind Sie unverzichtbar. Wer könnte Ihnen beim Songschreiben auch reinreden?

Gahan: Meine Frau, da können Sie sich sicher sein. Vor allem, wenn sie denkt, ich hätte einen Song über sie geschrieben. (lacht) Manchmal ist es so schwer, in einem Lied auszudrücken, was man fühlt, und dann gehen die Missverständnisse los. „It’s much bigger than that“, habe ich zu ihr gesagt, das ist wohl nicht das, was man in solchen Momenten hören möchte! Schöner ist es, wenn man selbst nicht mehr zuordnen kann, über wen man eigentlich singt. Den Fremden, den man vor Jahren mal auf der Straße gesehen hat oder im Café und der jetzt aus dem Bewusstsein wieder nach oben drängt.

Zu welchem Zeitpunkt wurde Ihnen klar, dass The Light The Dead See zum Teil ein Gospelalbum werden würde?

Gahan: Sehr früh. Jeder Song, den Rich mir gab, war geprägt von einem Gefühl der Sehnsucht. Ich wollte Teil davon sein und verstehen, was er fühlt.

In „Just Try“ singen Sie: „You’ll have to believe in something. Something bigger than you. Like the great wide open spaces. There’s religions too.“ Das klingt nach einem Zwang nach Sinnsuche.

Gahan: Es ist das einzige Mal auf der Platte, dass ich überhaupt das Wort „Religion“ benutze. Religion verkörpert für mich alles, was wundersam ist an der Welt, aber auch fragwürdig. Wenn sie dir Lösungen bietet für deine Probleme, go for it. Mein Weg ist das aber nicht. Aber ich spüre die Anwesenheit einer höheren Macht, wenn ich an der Ozeanküste stehe. Dann geschehen Dinge in mir. Wow! Wir leben doch meist nur unter einer kleinen Glocke. Ich will, dass die großen Dinge mich erfassen. Und das macht Angst. Aber es ist okay.

Müssen Sie an Gott glauben, um diese Erfahrungen zu machen?

Gahan: Religionen faszinieren mich, und es ist doch wohl klar, dass jeder Mensch sich einer Sache zugehörig fühlen will. Dass dieser Sache dann ein Etikett angeheftet wird, liegt auf der Hand. Es ist daher viel schwerer, keine Kategorisierungen vorzunehmen, die Religionen nicht zu unterscheiden, sondern einfach nur den Geist zu spüren. Deshalb: „Just Try“. Gespräche über diese Themen habe ich schon so viele in meinem Leben geführt. Auch solche, in denen ich am Gesicht der Gesprächspartner ablesen konnte, was sie dachten: Der spinnt doch! Nicht, dass ich ein Pfarrgewand tragen möchte! (lacht) Ich probiere mich aus. Es gibt in mir eine selbstzerstörerische Ader; die Wege, die ich jetzt gehe, bringen mich jedoch nicht mehr in Gefahr.

Depeche Mode und die Soulsavers haben eine Gemeinsamkeit. Beide Bands begannen als rein elektronische Acts und wandten sich dann mehr und mehr dem Arrangement mit akustischen Instrumenten zu. Songs Of Faith And Devotion von 1993 dürfte die erste Gospel-Elektro-Platte überhaupt gewesen sein.

Gahan: Bevor ich mit meiner Band ins Studio gehe, sage ich: „Nur, weil wir elektronisch sind, heißt das nicht, dass wir keinen Soul haben sollten.“ Wir arbeiten uns daran jedes Mal aufs Neue ab. Mal schaffen wir es, mal nicht.

Ihre Songs für die Soulsavers klingen, als suchen Sie Erlösung in irdischem Glück, dem Meer, mit einer Frau, Kindern. Die Texte für das vorangegangene Depeche-Mode-Album Sounds Of The Universe dagegen hören sich an, als würden Sie in das Weltall Fragen brüllen, die nie beantwortet werden.

Gahan: Und endlich sind die Signale wieder aus dem All zurück! Nein, im Ernst, ich erkunde jeden Song neu, ob für Depeche Mode oder für mich. Ich nehme mir das Lied und atme darin. Manchmal mögen Martin und Andrew (Gore und Fletcher, Depeche Mode) das nicht. Das ist doch das Interessante an Depeche Mode: Es entsteht immer eine Auseinandersetzung, sobald ein Song präsentiert wird. Andere Bands schaffen diesen Kompromiss nicht, deren Platten werden auch nicht fertiggestellt. So einfach ist das, man muss die Platte fertigkriegen.

Zuletzt arbeiteten die Soulsavers mit amerikanischen Images: den Südstaaten, Countrykneipen, Baumwollfeldern. Woher kommt die Faszination, das Spirituelle mit dem Süden der USA zu verbinden?

Machin: Gospel, der Blues, die Ursprünge davon stammen aus den Südstaaten. Ich bin mit den Büchern William Faulkners aufgewachsen. Alles, was nicht meiner damaligen Lebenswelt entsprach, hat mich fasziniert. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für einen Songwriter: sich dem zuzuwenden, was er kennt, oder sich dem großen Unbekannten zu widmen: Was zum Teufel ist das, was sich dort unten abspielt? So ging es mir früher zum Beispiel auch mit Public Enemy. Okay, dachte ich, sie stammen aus New York. Aber alles andere an ihnen war mir so fremd und gleichzeitig so faszinierend, dass ich sie mit nichts beschreiben konnte, was ich bisher kannte. Sie waren wie Aliens für mich.

Gab es Bedenken seitens des Labels, dass die Zusammenarbeit mit Soulsavers jetzt, da ein neues Depeche-Mode-Album zu erwarten ist, „zu viel Gahan für den Hörer“ sein könnte?

Gahan: Nein.

Machin: Mein Label in Europa hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden. Nur in den USA hieß es: „Warum wechselst du ständig die Gastsänger? So wirst du nie Erfolg haben.“ Europa tickt da anders. Ich koste meinem Label nicht viel, also lassen sie mir dort auch alle Freiheiten.

Gahan: Nur mit meinem Management gab es wegen The Light The Dead See ein ernstes Gespräch. Sie sagten: „Verliere bitte deine andere Band, also Depeche Mode, nicht aus den Augen.“ Ich antwortete: „Wie meint ihr das?“ Mich hat das gestört. Ich finde, Rich und ich sollten mit der Platte auf Tournee gehen.

Glauben Sie, dass das Album ein Erfolg in den USA werden wird?

Gahan: Unsere Songs werden sicher von den Country-Radiostationen im Süden gespielt. (lacht) Wenn sie nur wüssten, wer wir sind. Eine Bande weißer Jungs aus England.

Albumkritik S. 91

Mehr zu Dave Gahan und Depeche Mode

in „Das Archiv – Rewind“

ME 2/2005 Dossier „25 Jahre Depeche Mode“ ME 2/2009 Optimismus à la Depeche Mode

Soulsavers

In ihren Anfängen waren die Soulsavers ein klassisches TripHop-Duo – eines, das nach seiner Gründung im Jahr 2000 dem zugehörigen Trend der 90er eigentlich nur noch hinterherhecheln konnte. Doch Rich Machin und Ian Glover aus dem Norden Englands fanden einen Weg, zuerst Kritiker und dann auch das Publikum für sich zu vereinnahmen: Sie reicherten ihren Downbeat-Sound immer weiter mit Rock, Gospel, Soul und Country an und verpflichteten als Gastsänger ihrer ersten drei Alben Größen wie Mark Lanegan, Bonnie „Prince“ Billy, Mike Patton, Richard Hawley, Jason Pierce (Spiritualized), Jimi Goodwin (Doves), Gibby Haynes (Butthole Surfers) und Josh Haden (Spain). Dave Gahan von Depeche Mode ist nicht nur Gastsänger auf ihrem vierten Album, The Light The Dead Sees; er hat auch seine Texte allesamt selbst geschrieben.