Soul Asylum – Grave Dancers Union


Gratwanderung ohne Absturz: Nach langen Umwegen haben Soul Asylum die perfekte Route zwischen Kitsch, Krach und Country gefunden.

Wer hält nach Hüsker Du und den Replacements die Fahne der eigenwilligen Minneapolis-Szene hoch? Keine Frage, Soul Asylum werden’s schaffen. Ihre „Grave Dancers‘ Union“ dürfte manchen alten Fan verprellen, denn vom ungestümen Punk-Gestus vergangener Tage ist auf dieser siebten Soul Asylum-Scheibe nichts übriggeblieben. Stattdessen haben Soul Asylum ihr gigantisches Songwriting-Potential konsequent auf den Punkt genagelt: Absolut jeder Song auf dem Album ist in seiner direkten (Pop)-Art perfekt. Ihre effiziente Gitarren-Musik kommt immer auf den Punkt, das Zusammenspiel überzeugt durch druckvollen Sound (produziert von Michael Beinhorn), der durch atmosphärisch eingesetzte Keyboards zusätzliche Akzente bekommt.

Die beiden besten Songs des Album, „Runaway Train“ und „Without A Trace“ markieren die Säulen des Soul-Asylum-Sounds: „Runaway Train“ ist ein balladesker, raffinierter Pop-Ohrwurm, in dem der schneidende und hypnotische Gesang von David Pirner fast wie eine Mischung aus Chris Norman und Tom Petty klingt — eine einmalige Gratwanderung zwischen Country-Manierismus und Rock-Kunst. Wer kann, der kann sogar sowas, ohne in Peinlichkeiten abzustürzen. Daß sie noch mehr können, zeigt der zweite Glanzpunkt „Without A Trace“. Herbstlich dunkle Gitarren-Akkorde mit ultradezenter Hammondorgel beschwören die Melancholie großen Rock-Theaters. Diese beklemmend schönen Gitarren-Strecken, die raffiniert abgetönte Dramatik und abwechslungsreiche Songstrukturen kann man in jeder Komposition bestaunen. Manchen mag eine Lagerfeuer-Ballade wie „Homesick“ zu dick aufgetragen sein, doch „Black Gold“ oder „Keep It Up“ gleichen die Emotionsschwankungen mühelos mit Biß und Augenzwinkern aus. Ein rundes Dutzend Songs voller Inspiration, Dramatik und überreicher Melodik, dafür aber mit wenig Aufwand. Schlichtweg erholsam, (wt)

Die harte Schule der Straße

Minneapolis, Soul Asylums Heimatstadt, ist nicht gerade der Nabel der Rockwelt. Eher schon der Arsch. Los Angeles und New York liegen weit entfernt, ohne Prince wäre die Provinzmetropole auf den Landkarten des Showgeschäfts kaum mehr als ein weißer Fleck, musikalische Wüste eben. Doch die Wüste lebt! Ähnlich wie in Seattle hat sich auch dort schon vor Jahren eine Rockszene herausgebildet, die, unberührt von den schnellebigen Trends der Glitzerstädte, ein reges Eigenleben entwikkelt hat. „Wir brauchten nie Rucksicht auf die Wünsche und Anforderungen des Musikgeschäftes zu nehmen“, meint Soul Asylum-Frontmann Dave Pirner, „denn die dort oben wußten nicht einmal, daß in Minneapolis gerockt wird. Ich glaube, die Major-Companies in L.A. oder New York haben keine Ahnung, wie viele unglaublich gute Bands es auf dem platten amerikanischen Land gibt.“

Für solche Bands gibt es nur einen Maßstab: das Publikum in den Bars des Binnenlandes. Soul Asylum tourt seit gut zehn Jahren unablässig kreuz und quer durch die Staaten, und verirrte sich dabei „in die obskursten Nester, deren Bewohner in ihrem ganzen Leben nie weiter als einige wenige Meilen über die Grenzen des Heimatortes hinausgekommen waren. Für die Menschen dort sind die großen Städte an der West- und Ostküste wie Orte auf anderen Planeten.“ Und die Straße war für sie der beste Lehrmeister im musikalischen Werdegang. “ Was und wie wir sind, haben wir durch eigene Kraft und ohne fremde Hilfe errreicht. Und genau deshalb lassen wir uns auch heute von niemandem reinreden. „

Studio-Übung macht die Meister

Acht Jahre Vinylerfahrung legen Soul Asylum, auf ihrem mittlerweile sechsten Longplayer „Grove Dancer’s Union* in die Waagschale. Seit dem Debüt „Say What You Will Clarence“ und dessen Nachfolger „Made To Be Broker.“ ouf dem legendären lokalen Indielabel Twin Tone, auf dem sich vor allem Paul Westerburgs Replacements erste Sporen verdient haben, gilt die Band um den Irinkfreudigen Dave Pirner bei Eingeweihten als rechtmäßiger Erbe unprätentiösen Siebziger-Rocks ä la Neil Young. Zu Beginn noch unüberhörbar krachigem Punlcrock verbunden, kristallisierte sich bereits auf der überbordenden dritten LP „While You Were Out“ das wahre Talent Soul Asylums heraus: Hinter einem Wall tosender Gitarren lag eine Liebe für fragile Melodien und erdige Countryklänge verborgen, die 1988 auf der ersten Major-LP für A&M .Hangtime“ voll zum Tragen kam. Soul Asylum fanden ihren Weg zur Industrie lange, bevor jeder Artikel über Alternative Rock mit den Worten „Smells like …“ beginnen mußte — und ein Jahr vor Nirvanas Indie-Debüt! Über diesen Schritt enttäuschte Hardcore-Fans wurden mit „Glam Dip And Other Delights“, einer Twin Tone-Abschieds-Mini-LP gelröstet. Der Schritt aus dem behüteten Kreis befreundeter Twin-Tone-Bands in die weite Industriewelt war dornenreich: Erst zwei Jahre nach der überragenden .Hong Time“ erschien noch Schwierigkeiten mit A&M das erschreckend erschöpft klingende .And The Horse They Rode In On“. Noch einmal zwei Jahre später — Dave Pirner hatte eine schwere Krankheit zu überstehen, die beinahe das Ende der Band bedeutet hätte — findet man auf dem Columbia-Debüt .Grave Dancer’s Union“ zu alter Stärke zurück: So ausgeruht, souverän und erwachsen klang der Asylum-Rock noch nie.