Sonic Youth
Vor Grunge waren Sonic Youth: Seit über einer Dekade schlagen ihre Feedbackstürme die Brücke zwischen Avantgarde, Dada und Punkrock.
Die Grungemeister Thurston Moore und Lee Ranaldo sitzen im typischen Hotel für hochdotierte, doch platinlose Prestigebands: viel Chrom, wenig Stil. Moore ist der lange Blonde, dessen pechschwarze Sonnenbrille den bleichen Teint noch bleicher macht. Ranaldo ist der Dunkle, der kaum stillsitzen kann und wie ein eifriger Schüler wirkt.
Meister Moore liegt quer übers Sofa und hält Hof: Kuriere bringen ihm die neuesten Produkte aus dem tiefsten Londoner Underground. „Ach, die neue von Cornershop!“ ruft er. „Bestimmt ihre schlechteste. Man veranstaltet ja momentan einen solchen Rummel um die…“ Ein derartiges Interesse für obskurste Untergrund-Mucker ist bei Popstaxs selten, doch aus Moore spricht der Plattenprofi: „Wer beruflich mit Newcomern aus dem Untergrund zu tun hat, muß sich die Neuerscheinungen eben anhören – auch wenn’s manchmal schwerfällt.“ In New York führt er sein eigenes Kleinstlabel: „Ich habe nur Vinyl-Singles im Programm“, schwärmt er, „denn die beste Musik erscheint momentan auf schwarzen 45ern.“
Als Sonic Youth – Moore, Ranaldo, Basserin Kim Gordon (im Augenblick hochschwanger) und Drummer Steve Shelley – in den computerverrückten Achtzigern der New Yorker „No Wave“-Szene entwuchsen, waren kreischende Gitarren so passe, daß sie fas: schon wieder unter die Rubrik Avantgarde fielen. „Wir hatten unheimliches Glück, zu der Zeit da zu sein“, erinnert sich Ranaldo. „Die Stadt war ein wunderbarer Nährboden für Ideen, und wir erlebten, wie sich aus verschiedenen Strömumgen neue Ausdrucksformen entwickelten. 1981, genau einen Monat bevor wir Sonic Youth formierten, organisierte Thurston in einer Kunstgalerie sein ‚Noise-Fest‘, bei dem jeder auftreten durfte, der Experimente wagte.“ So hatten Sonic Youth von Anfang an Nach über zehn Jahren landet die ewige Insider-Band bei MTV: Steve Shelley, Lee Ranaldo, Kim Gordon und Thurston Moore einen heißen Draht zur Szene, nach nur drei Monaten wurde das selbstbetitelte Debütalbum produziert, kurz darauf folgte die erste Europa-Tour. Eine gute Dekade später ist die Kombination aus Feedbacks, politisch korrekter Haltung und rotzigem Rock sogar MTV-kompatibel. „Die Musikgeschichte ist zyklisch“, erklärt Ranaldo. „Jede Generation entdeckt die Kombination von Feedback und harten Rhythmen für sich neu.“
Sonic Youth nehmen es amüsiert zur Kenntnis, daß ihre Musik plötzlich hitparadenträchtig geworden ist. „Darum auch der Titel der neuen LP“, grinst Ranaldo, „,Experimental Jet Set. Trash and No Star‘. Es ist doch erstaunlich: Da Jetten wir aus den USA herüber, damit wir hier mit ME/Sounds reden können! Eigentlich müßte Axl Rose hier sitzen. Es ist doch unfaßbar, daß uns mit unserer Musik sowas überhaupt passieren kann.“ Nach dem Rocksturm des Vorgängeralbums „Dirty“ ist die Musik des aktuellen Werks deutlich spröder, manchmal geradezu beschaulich. Ranaldo: „Wir legten immer darauf Wert, einen Bogen zur nächsten Generation zu spannen. Darum gingen wir mit jungen Bands auf Tour, die wir respektierten – Nirvana und Mudhoney etwa. Da wurden reichlich Energien ausgetauscht, die unsere Musik immer härter machten. Wir wollten von denen ja schließlich nicht von der Bühne gepustet werden, fetzt hatten wir einfach Lust, mal nieder unsere poetische Seite herauszukehren.“