Sonar Festival
ES IST ALLES EINE FRAGE DES ORTES. WER SCHON MAL IN Barcelona war, weiß, warum ein mehrtägiges Sommerfestival dort nicht wirklich schlecht sein kann. Eine 30 Grad warme, mediterrane Brise streichelt die Sinne und öffnet sie für alle Art von guter Unterhaltung. Sonar, das elektronische Großereignis des Sommers geht in sein fünftes Jahr und das, wie viele etablierte Festivals, noch größer und noch besser. Von drei Tagen und Nächten voller DJs und Live-Acts, Workshops und Seminare, Groß-Raves und Installationen ließen sich Menschen aus ganz Europa nach Katalanien locken. Und natürlich von Kraftwerk, die, auch wenn sie in den letzten Jahren ihre Live-Aktivitäten deutlich ausgeweitet haben, immer noch ein Garant für Spektakel sind. Ihr Auftritt – wie sollte es anders sein – läßt die ca. 6.000 Menschen in der prall gefüllten Sporthalle am Strand denn auch mit offenen Mündern dastehen. Er offenbart aber auch die hauptsächliche Problematik des Festivals: den Gegensatz von mediterraner Lebensfreude auf der einen und kühler Technologie auf der anderen Seite. Der Jubel zu Ehren der Mensch-Maschinen um Ralph Hütter und Florian Schneider verklingt denn auch entsprechend schneller als in Düsseldorf, London oder Stockholm. Zumal die Helden ihr dezent modernisiertes Greatest-Hits-Potpourri zur Zugabe in ein zunehmend beliebiges HouseSet überführen, das wieder einmal die Frage aufwirft, ob es wirklich wichtig und zeitgemäß ist, daß Kraftwerk dieser Tage nochmal eine neue Platte machen. Doch Sönar ist nicht der Ort für Selbstzweifel und Positionsbestimmung. Lieber liegt man im sonnendurchfluteten Innenhof einer Altstadtvilla und läßt sich von Mika Vainios (Pan Sonic) Dub sanft bedröhnen, um dann ab und an der Pflicht Genüge zu leisten und in dunklen Kellerräumen elektronischer Avantgarde zu lauschen. Einen ganzen Nachmittag hat an solch undankbarem Ort das vor einigen Jahren als Elektronik-Brutstätte wiederbelebte EMI-Label Harvest zu bestreiten. Ein Showcase, der fast geplatzt wäre, weil der rebellische Harvest-Clan gegen das Gesetz der Festival-Exklusivität verstoßen und am Abend zuvor zum Mißfallen der Veranstalter kurzerhand eine eigene Party organisiert hat. So stand bis zur letzten Minute alles auf der Kippe, doch dann glätteten sich die Wogen, und 800 Sonnenfeinde werden herausgefordert von Club Off Chaos (die ohne den erkrank-ten Vorstand Jaki Liebezeit zu zweit herben Industrial darboten), erhitzt durch Dr. Walkers Techno-Eskapaden, besänftigt durch Jörg „Modernist“ Burgers poppige Beats und eingegroovt auf den funky Konsens von Mouse On Mars.
Ein kurzes Nickerchen, dann auf zu frischen Beats: Laurent Garnier, Coldcut, DJ Vadim, DJ Hell, Porter Ricks, Whirlpool Productions.ge- und unterbrochen von willkommenen Ausflügen ins „handgespielte“ Entertainment: Jay JayJohanson und Jimi Tenor schenkten allen hoffnungslosen Romantikern eine Pop-Massage. Alles super also, bis beim finalen Gastspiel von Jeff Mills, des fingerfertigsten aller Techno-DJs, die spezielle Sonar-Note in Form von vier leicht bekleideten Samba-Tänzerinnen dazukommt und das Ganze in eine postmoderne Groteske verwandelt – mit einer gerade ob des offenkundigen Mangels an weiblichen Elektronikproduzenten äußerst fragwürdigen Rollenverteilung. Doch das ist ein anderes Thema.