So imitiert Lady Gaga auf ihrem neuen Album Taylor Swift
Julia Friese erklärt in ihrer Kolumne, warum wir dank AI bald keinen originellen Content mehr brauchen.
Drei Beobachtungen:

1. unsere Gesichter, unsere Hände
Als Conan O’Brien die Oscars 2025 anmoderierte, sagte er „Willkommen zu den Long-Form-Content-Awards“ und traf in das Zielscheibenschwarze des Zeitgeists. Als Timotheé Chalamet, der an diesem Abend keinen Oscar für seine Bob-Dylan-Darstellung in „A Complete Unknown“ bekam, noch Hoffnungen hatte, sagte er im „This Past Weekend“-Podcast auf YouTube, er würde sämtliche Podcasts besuchen, einfach, weil die Menschen zu sehr auf YouTube rumhingen und folglich kaum noch Zeit fürs Kino hätten. Dass der derzeit gefragteste und bekannteste junge Schauspieler der westlichen Hemisphäre das Gefühl hat, er, also nicht sein Gesicht, sondern sein Film, würde nicht genug gesehen, da die Menschen online hypnotisiert irgendwem zugucken, der nichts anzubieten hat als zwei Hände und ein Gesicht, die dabei sind, fröhlich wie schambefreit einen ungesunden als gesund vermarkteten Proteinshake zuzubereiten, ist ein Zustand tieffallender Traurigkeit. Man kann ihn in „Verzweiflungen“ von Heike Geißler (Suhrkamp, 2025) nachlesen, oder in SCHWARZE MAGIE von Die Heiterkeit nachhören.
Stella Sommer, also eben jene Heiterkeit, postete ihre Single „Im kalten Februarregen“ gleich mehrmals auf Instagram, und schrieb dazu, dass sich das Veröffentlichen von Songs heute anfühle, als würde man sie in einen digitalen Abgrund werfen, denn Meta drossele ihre Reichweite, sobald sie ihre Songs bewerbe. Die Plattform will keine externen Inhalte, keine Tür raus. Sie will uns gefangen nehmen, unsere Gesichter, unsere Hände.
2. und die Hand vor den Mund
Berühmte Menschen, wie eben jener Timothée Chalamet und seine Freundin Kylie Jenner, müssen gerade eine alte Geste wieder salonfähig machen. Es ist die Hand vorm Mund beim Sprechen an öffentlichen Orten. Tuscheln ist zurück, ohne jedoch Tuscheln genannt zu werden. Der Grund ist auch hier: soziale Medien, TikTok. Dort gibt es Menschen mit Accounts, wie tismejackieg – nach eigener Beschreibung „ur local deaf“, also „dein örtliches Gehörlosi“ –, die die Kunst des Lippenlesens beherrschen und es sich zur Aufgabe gemacht haben, öffentliche Interaktionen zwischen Berühmtheiten lippenlesend zu vertonen. So weiß man nun, dass der Smalltalk von Menschen mit viel Geld auf dem Konto ähnlich billig ist, wie der von Menschen mit wenig bis mittelmäßig viel Geld auf dem Konto. Fraglich bleibt, ob sich die Hand vor dem Mund bei Gesprächen in der Anwesenheit von Kameras auch bei nicht-berühmten Menschen durchsetzen wird.
Eigentlich müsste es so sein, denn alle wollen doch berühmt sein. Ein „Perfect Celebrity“! So hätte das neue Album von Lady Gaga erst hätte heißen sollen, dann entschied sie, es aufgrund der Gesamtsituation doch weniger tone deaf MAYHEM – also bedrohliches Chaos – zu nennen. Ihr Konzept sieht dennoch vor, Celebrities wie Michael Jackson, Prince oder Taylor Swift zu imitieren, ohne das Album – wie zuletzt etwa Halsey mit THE GREAT IMPERSONATOR (2024) – aber gleich so zu vermarkten.
3. aber haben wir nicht zu viele Finger an den Händen und zu viele Zähne in den Mündern?
In „How Bad Do U Want Me“ zwängt Gaga sich in ein Taylor-Swift- Kostüm, komplett mit gesprochener Bridge, hohen Chorus-Backing-Vocals und cuten High-School-Lyrics mit zerschlissenen Jeans. Moment, Gaga in zerschlissenen Jeans? GAGA in JEANS??? Beim ersten Hören denkt man: Ach, ein Taylor-Swift-Song, der von einer Lady-Gaga-AI gesungen wird. Irgendwie gut, aber auch gut seelenlos.
Das Internet stellt dann in etlichen Reels fest, dass der Song Tatsache Gaga-Original ist und lässt ihn dann von einer Swift-AI einsingen, der dann – how original! – „How Bad Do U Want Me (Taylor’s Version)“ heißt. Währenddessen streitet sich Deutschland darüber, wie viele Schulden es für Militärausgaben aufnehmen will, und fast niemand bestreitet mehr, dass die Kultur weiterhin stark, stärker, am stärksten beschnitten werden muss. Denn wir brauchen ja nichts mehr. Wir haben ja alles. Die AI wird sämtlichen Content schon so vermischen, als dass er uns wie immer brandneue Verzweiflung vorkommen wird …
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 5/2025.