So harmlos – die deutschen Popstars des Jahres
Die deutschen Popstars des Jahres waren jung und hatten nichts zu sagen.
Vielleicht lernt man das heutzutage in der Schule: Man darf kreativ sein, aber nur mit auswaschbaren Stiften. Man darf seine Haare ein bisschen länger tragen, seine Hosen ein bisschen weiter als der Rest. Man darf sein Ikea-Möbelstück customizen, was bedeutet, dass man es grün lasiert. Und man darf auch mal einen Abend lang traurig sein. Was man nicht darf: es mit alldem übertreiben.
Der deutschsprachige Pop, der 2011 die Hitparaden dominierte, klang genau nach diesen Richtlinien. Nach jungen Menschen, die zwar einen Facebook-Account haben, aber nicht so etwas wie Ansichten.
Zum Beispiel Tim Bendzko. Ein junger, hübsch gelockter Oberstüfler-Typ, der seine Single „Nur noch kurz die Welt retten“ nannte, aber natürlich ganz andere Dinge im Sinn hatte, etwa das Checken seiner E-Mails. Ein anderer, noch erfolgreicherer Song von Bendzko hieß „Wenn Worte meine Sprache wären“. Wir können nur hoffen, dass er eine andere Sprache als Worte hat, denn in jenem Song sang er tatsächlich vom ersten Sonnenstrahl nach dem Regen und dem Himmel auf Erden und der Mauer und der Kälte und lauter ähnlichem Blödsinn.
Das Schlimme: Bendzko hatte Komplizen. Wer den Pop-Wettbewerb „Bundesvision Song Contest“ anschaute, sah und hörte das Grauen: Da war zum Beispiel Andreas Bourani, dessen Hit „Nur in meinem Kopf“ baugleich mit Bendzkos Siegertitel war. Aber auch Bands wie Glasperlenspiel oder Frida Gold zeigten, dass 2011 von Bands offenbar erwartet wird, nirgendwo anzuecken. Ein bisschen Soul der Naidoo-Schule, ein bisschen Schlager. Etwas Knyphausen, ein paar Schlafzimmerblicke. Dass die letztplazierten Juli, die jenen Wettbewerb einige Jahre zuvor gewannen, noch die beste Band des Abends waren, sagt eigentlich alles.