So eine Chance gibt’s nur einmal


Wie oft hat der Einfaltspinsel im Märchen nicht schon über den Gerissenen gesiegt. Ohne es zu merken, freilich. In Jerzy Kosinskis Novelle „Chance“ spielt sich dieses Phänomen sogar im modernen Amerika ab. Jetzt schrieb er selbst das Drehbuch für die Verfilmung unter dem Titel „Being There“ (deutsch: Willkommen, Mr. Chance“). Unter der Regie von Hai Ashby spielt der unlängst verstorbene peter Seilers den arglosen Trottel, der mit gleichnishaft beschränkten Phrasen sogar Mr. President um seine Nachtruhe und um einiges mehr bringt. Unser Held ist nicht etwa ein Tolpatsch, der durch Plumpheit für peinliche Situationen sorgt. Kein Jerry Lewis-Syndrom also. Peter Seilers verleiht diesem Charakter eine derart glaubwürdige Souveränität, daß man seltener über ihn als über die Situation lacht, nein, meistens eher schmunzelt. Er ist nicht offensiv, sondern einfach da (Being There). Es entgeht ihm sogar, wie er die anderen zu Affen, zu Marionetten macht und damit natürlich auch der Genuß des Triumphierens. Aber solche Gefühle kennt er sowieso nicht. Chance, der Gärtner muß nach dem Tode seines „Herrn“ das Haus und den Garten verlassen. Er war nie zur Vordertür hinausgetreten, solange er denken kann. Ein Analphabet, der nicht einmal die Uhr kennt. Das einzige, was er von der Außenwelt weiß, kennt er bekanntlich aus dem Fernseher. Der Flimmerkiste bis zur Hypnose verfallen, benutzt er die Fernbedienung wie ein Süchtiger die Nadel. Leider versagt sie auf dem Weg ins reale Leben, als Chance, die erste bedrohliche Situation einiach wegzudrücken will: das Messer vor seiner Nase und die rotzfreche Straßengang halten dem magischen Gerät stand. Doch schon der nächste kleine Unfall wird alle Probleme lösen. Eine Limousine fährt ihn an. Eve (Shirley McLaine), Ehefrau einesder reichsten und politisch einflußreichsten Männer, natürlich mit dem Präsidenten befreundet, lädt ihn gleich in das Luxusgefährt ein und nimmt den distinguierten, grauhaarigen Gentleman mit heim ins Schloß. Um den kleinen Bluterguß kann sich der Hausarzt kümmern, der den todkranken Benjamin Rand (Melvin Douglas) ohnehin rund um die Uhr betreut. Das Spiel hat begonnen, nen Bluterguß kann sich der Hausarzt kümmern, der den todkranken Benjamin Rand (Melvin Douglas) ohnehin rund um die Uhr betreut. Das Spiel hat begonnen. Eve verstand Chancey Gärtner, als dieser sich mit Chance, der Gärtner vorgestellt hatte. Und schon zwei Tage später rotiert halb Washington auf der Suche nach Unterlagen über den geheimnisvolen Menschen, der unergründlich (idiotisch?) lächelnd mit infantilen Leitsätzen für den Gartenbau-Anfänger seiner erlauchten Umgebung auf neue Erkenntnissprünge hilft. Im Handumdrehen sieht sich Chance, der noch immer mit Vorliebe ausgeprägte Gebärden vom ¿ Bildschirm abnimmt und kultiviert, in Beraterfunktion auf höchster Ebene. Mit dem Gemüt eines Kindes, dessen Intelligenz noch nicht ausreicht, um Gefahren, Rangordnungen oder gar irgend welche Taktiken zu erkennnen, verblüfft Chancey/Chance durch entwaffnende Direktheit. Die Lüge ist ihm fremd, wie es scheint, auch die Angst, normalerweise immerhin ein Grundinstinkt. Der Schutzwall seiner Beschränktheit ist so dicht, daß ihn einfach nichts irritieren kann. Weder Eves sexuelle Extase noch die Tatsache, daß er während der Beerdigung von Rand übers Wasser schreitet. Er stellt eben nichts in Frage. Seiler ist auf beängstigende Weise Chance. Es ist sein Film. Abgesehen davon, daß diese Geschichte natürlich den Kult um hohle Redensarten ad adsurdum führt, verzichtet Kosinski nicht auf kurze Spots, die den Washingtoner Klüngel ausleuchten. Auf der Leimspur, die der Gärtner mit seinen Orakeln in der edlen Dekoration auslegt, zappeln genarrte Presseleute, betrügen karrierebessene Aufsteiger ihr Ehefrauen, stehen sich die Geheimdienste gegenüber, spinnen die Macher schon längst wieder an ihren Intrigen, verliert der Präsident nicht nur im Bett seine Potenz. Fernsehprofis ist Mr. Mr. President/lack Warden übrigens als Verlierer vertraut und zwar in der Gestalt des Trainers Buttermaker, der eine Horde altkluger Baseball-Lümmel am Halse hat. („Die Bären sind los“.) Für mich gab es selten einen Film, der über gut zwei Stunden seinen Reiz behielt, soviel Vergnügen, so wenig Langeweile, eine derart ausgeglichene Dramaturgie, soviel unaufdringlichen Witz und so viel gute Atmosphäre verbreitet hat. Nur: was wäre auch Chance geworden, wäre er nicht ins Auto gelaufen? Das beunruhigt mich.