Smashing Pumpkins: Neustart in Weiss
Wie gut kommen die Neunziger-Alternative-Heroen Smashing Pumpkins noch mit dem Zeitgeist klar? In Paris nahm Billy Corgan mit der neuformierten Band die erste Hürde. Ein erster Eindruck jenseits aller Spekulationen.
Am 22. Mai 2007 um halb neun ist es offiziell: Die neuen Smashing Pumpkins werden nur zu zwei Fünfteln die alten sein. Eben hatte Billy Corgan mit seinem ganz in weiß gewandeten Ensemble die Bühne des Pariser Grand Rex betreten und somit alle Spekulationen beendet: Jeff Schroeder, der seiner Shoegazer-Vergangenheit in der halbbekannten Band The Lassie Foundation mit detaillierten Griffbrettstudien alle Ehre macht, ersetzt James Iha. Die auch unter dem Namen Ginger Sling agierende Ginger Reyes (The Halo Friendlies) übernimmt den bei den Pumpkins offenbar dauerhaft quotengeregelten Job der hübschen Bassistin. Dritter Neuzugang: die Keyboarderin Lisa Harriton. Für keinen von ihnen ist eine tragende Rolle vorgesehen. Sie sind Handlanger bei der Erfüllung eines Traums, den Billy Corgan seit zwei Jahren wieder träumt und für dessen Vollendung heute mit dem ersten Konzert seit sechseinhalb Jahren der Grundstein gelegt werden soll. Das Grand Rex ist hierfür prädestiniert: Ein pittoresker Saal, dessen barockes Ambiente an eine Opernkulisse erinnert – komplett bestuhlt mit senfgelben Sesseln, in denen es niemanden lange hält. Natürlich waren die 2200 Karten minutenschnell ausverkauft. Bereits am frühen Nachmittag standen dann hunderte junger Menschen aus allen Teilen der Welt vor der Tür. Seit Monaten fiebern sie dem Ereignis entgegen und tauschen sich in diversen Fan-Foren aus.
Corgan eröffnet den Set mit dem Black-Sabbath-grundierten Doom-Rocker „United States“ vom neuen Album Zeitgeist, aber noch will die Begeisterung der Menge nicht auf die Bühne überschwappen. Ginger darf ab und zu was ins Mikro hauchen, bleibt aber blass. So konzentriert sich alles auf die Mittelachse aus Corgan und Ur-Pumpkins-Drummer Jimmy Chamberlin, die ja – so dringt das aus der Gerüchteküche – auch die neuen Songs im Alleingang aufgenommen haben dürften. Besonders Billy ist die Anspannung anzumerken – zu viel steht hier für ihn auf dem Spiel. Erst nach einer Stunde und zehn Minuten richtet er erstmals das Wort an die Pariser. So platzt der Knoten erst, als die Band zielsicher in die Greatest-Hits-Gerade einbiegt: „1979“, „Tonight“ – man hatte fast vergessen, wie viel diese Songs einem mal bedeuteten.
Mit über 25 Millionen verkauften Platten sind die Pumpkins eine der bedeutendsten Bands ihrer Generation. Es gab eine Zeit, da wurde es keinem so sehr zugetraut, die Lücke, die Cobain hinterlassen hatte, füllen zu können wie Billy Corgan. Zum Ende hin aber waren die kreativen Ressourcen der Truppe aufgebraucht. Traumatische Erfahrungen und zwischenmenschliche Zerwürfnisse taten ein Übriges: Im Mai 2000 verkündete Corgan, die Band sei „emotional und musikalisch am Ende“. Die Akte Smashing Pumpkins schien geschlossen. Danach hat sich Billy u. a. als Sportkommentator betätigt. Er schrieb einen Gedichtband, unternahm den großspurig angekündigten und letztlich gescheiterten Versuch, mit Zwan eine neue Band zu etablieren, und nahm ein gut gemeintes, aber überflüssiges Soloalbum auf. Das Wiederbeleben der Smashing Pumpkins wirkt vor diesem Hintergrund zunächst wie ein verzweifelter Versuch, den eigenen Bedeutungsverlust aufzuhalten. Hatte Corgan doch unbeabsichtigt einen alten Verdacht widerlegt: Dass die Pumpkins ohnehin nur eine Truppe austauschbarer Musiker unter seiner Regie waren. Zwar stammt ja tatsächlich nahezu der gesamte Songkatalog der Band aus seiner Feder, aber so ganz alleine kriegte er es offenbar auch nicht hin. So kam, was kommen musste: Im Sommer 2005 verkündete Corgan in einer Anzeige in der Chicago Tribüne: „Ich will meine Band zurück und meinen Traum“.
Sofort begann das große Rätselraten: Wer mit wem und wie und warum? Schnell war klar, dass das Unternehmen wohl ohne James Iha über die Bühne gehen würde. Der ehemalige Pumpkins-Produzent Flood deutete mir gegenüber vergangenen August an, dass „James das, nach allem, was zwischen ihm und Billy vorgefallen ist, wohl nicht macht“. Die Bestätigung kam Anfang des Jahres von Iha selbst in einem Interview mit dem US-Rolling-Stone. Noch eindeutiger schien der Fall bei D’Arcy zu liegen. Die blonde Bassistin hat sich nach einer Verhaftung wegen Crack-Besitz im Jahr 2000 und einer anschließenden Therapie aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Angeblich arbeitet sie an einer Pumpkins-Biographie. Ihre Nachfolgerin Melissa Auf der Maur erklärte grundsätzliche Bereitschaft, offenbar hat sie aber keiner gefragt. Corgan selbst äußerte sich nur in mitunter kryptischen Blog-Einträgen. Angeblich stünde die Tür offen für Gespräche mit allen ehemaligen Mitgliedern. Ob es solche tatsächlich gegeben hat, ist fraglich.
Mit der Rückkehr der Pumpkins ist auch der alte, enigmatische Billy Corgan wieder da. Bis zum heutigen Tage gibt er keine Interviews zu Zeitgeist. Dabei ist jedoch eher von einem Image-Schachzug als von einer wirklichen Rückbesinnung auf alte Verhaltensdefizite auszugehen. Sein divenhaftes Pumpkins-Alter-Ego kommt ihm entgegen, weil er weiß, dass sowieso alle nur nach der Legitimation für dieses Projekt fragen würden und er lieber Taten statt Worte sprechen lassen möchte. Und zur Rekonstruktion des Pumpkins-Sounds reichen zumindest im Studio Corgans Gitarre und Stimme und Chamberlins percussives Drumming. Den treuen Vasallen Chamberlin und Corgan verbindet eine große Männerfreundschaft, die all die Jahre über gehalten hat. Vor zwei Jahren sprach ich Jimmy auf die öffentliche Wahrnehmung Corgans als Despot an, worauf er erwiderte, das sei „nur die Art, wie die Medien Billy sehen wollen. Wenn jemand so eine starke Vision hat, erzeugt das immer auch Neid von Leuten, die keine Vision haben“. Zudem erkläre sich vieles auch aus dem damit einhergehenden Druck, mit Anfang 20 plötzlich zum Global Player aufgestiegen zu sein. Eine Einschätzung, die Corgan mit gegenüber bestätigte: „Große Teile meiner Medienpersönlichkeit sind erfunden. Diese Darstellung meiner Person hat dazu geführt, mich völlig zu isolieren. Auf den Druck reagierte ich, indem ich Tag und Nacht arbeitete und mich abschottete – während Jimmy sich beinahe umbrachte.“ Natürlich ist der Banddiktator Corgan mitnichten eine reine Medienerfindung. Aber dominante Menschen können ihre Wirkung auf Schwächere ja häufig nicht nachvollziehen und dass der Druck innerhalb der Band ungleich verteilt war, steht außer Frage. Da Corgan und Chamberlin nach der Trennung weiter zusammenarbeiteten und nun einfach wieder den vermeintlich profitträchtigeren Namen nutzen, machte schnell das böse Wort vom Etikettenschwindel die Runde. Es ist nun an Zeitgeist, das Gegenteil zu beweisen.
Im Sommer 2006 gingen Corgan und Chamberlin mit dem legendären Queen-Produzenten Roy Thomas Baker ins Studio. Später folgten weitere Sessions mit Terry Date (u. a. Soundgarden, Limp Bizkit, Dredg). In zwischenzeitlichen Wasserstandsmeldungen war von Titeln wie „Oceans Of Guitars“ und „Symphonie Majesty That Made Us All Smile“ die Rede. In der Tat ist Zeitgeist das beste Argument für die Wiedervereinigung geworden. Das sechste reguläre Studioalbum ist eine ordentliche, streckenweise gute Platte, die in Sound und Stil eine hundertprozentige Rückkehr der Smashing Pumpkins darstellt, insofern aber auch das Scheitern des experimentellen Corgan dokumentiert: Er, der ja schon früh den Anspruch erhob, die Grenzen der Rockmusik sprengen zu wollen, macht nun wieder hymnischen Nummersicherrock. Das filigrane, verletzliche Element, das die Band früher auch auszeichnete, wurde weitgehend durch einen bombastischen Hard-Rock-Gitarren-Wall-of-Sound ersetzt – man ist schier erschlagen.
Später, beim Fantreffen in einer Bar wird emsig diskutiert. Die ganz hartnäckigen Optimisten haben ihre Hoffnungen kurzerhand vertagt: Bei den anberaumten Konzerten in North Carolina soll angeblich der dort lebende James Iha zur Band stoßen. Der neue Gitarrist ist jedenfalls jetzt schon unten durch. Insgesamt überwiegt aber die Begeisterung. Nach dem letzten Song, „Muzzle“, war Billy vorhin noch einmal allein raus gekommen, hatte sich bedankt und unter tosendem Applaus ein kleines Tänzchen aufgeführt. Billy Corgan hat die erste Hürde genommen.
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