Smashing Pumpkins: Das Leid mit der Freude
Sie sind jung, reich und erfolgreich. Und trotzdem können die Smashing Pumpkins nicht glücklich sein. Oder wollen sie es qar nicht?
ES IST EINER JENER TAGE, AN denen Manhattan wie ausgestorben wirkt. Um die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings zu genießen, flaniert ganz New York im Central Park, unternimmt Bootstouren oder schiebt Kinderwagen durch das East Village. Für William Patrick Corgan macht es hingegen keinen Unterschied, ob nun November oder April, Tag oder Nacht, Sommer oder Winter ist. Der kreative Kopf der Smashing Pumpkins hockt in einem abgedunkelten Raum im Büro seiner Plattenfirma, löffelt Hühnersuppe und wirkt bei flackerndem Kerzenlicht mit seinem kahlgeschorenen Schädel noch gespenstischer als ohnehin. Ein Riese mit bleichem Teint und starrem Blick, der seinen schlaksigen Körper in schwarzes Leder zwängt. Die Art, wie William Patrick, genannt Billy, Journalisten begegnet, ist stets die gleiche: dezent unterkühlt. Der 31jährige Antistar aus Chicago wirkt wie ein wandelnder Eisberg und ist dabei doch einer der faszinierendsten Musiker unserer Zeit. Ein begnadeter Songwriter, Sänger und Gitarrist, der es geschafft hat, die Wirren der frühen 90er unbeschadet zu überstehen,dessen Erfolgskurve stets nach oben zeigt und über den die Welt doch nicht viel mehr weiß, als daß er seine Band mit geradezu despotischer Strenge führt. Der Erfolg freilich legitimiert die Mittel. Und das weiß Corgans Personal, Bassistin D’Arcy (30) und James Iha (30) an der Gitarre, inzwischen nur zu gut. Beim Interview glänzen die beiden durch vornehme Zurückhaltung und beschränken sich lediglich auf ein paar verbale Steilpässe, die Spielmacher Billy anschließend zielsicher im Netz versenkt. Darauf sind James und D’Arcy geeicht, seit Billy ihren internationalen Durchbruch „Siamese Dream“ (1993) fast im Alleingang einspielte. Billy ist der Chef und duldet keine Widersprüche – schon gar nicht zu Fragen der Bandpolitik. Die einzige Chance, Corgan ein paar Statements zum Stand der Dinge zu entlocken, liegt in dem Versuch, dem sensiblen Meister auf eine Weise zu begegnen, die er für sympathisch hält. Und wer zu den Netten unter den ihm ans Herz gelegten Gesprächspartnern zählt, dafür hat Corgan in den letzten zehn Jahren einen geradezu animalischen Instinkt entwickelt. Als ehemals gebranntes Kind, das von der Presse immer wieder mit leidigen Grunge-Vergleichen geärgert wurde, besitzt Billy inzwischen einen siebten Sinn für die Intentionen seines jeweiligen Gegenübers. Er weiß, wer ihn mag und wer Ressentiments gegen ihn hegt. Und dieses Wissen wirkt sich in frappierender Weise auf die Mitteilsamkeit des eigensinnigen Querdenkers aus. Findet er seinen Gesprächspartner sympathisch, ist Corgan locker und zuvorkommend. Begegnet ihm sein Gegenüber mit Zweifeln, verschließt sich Corgan fast völlig. Dann lautet der Standardsatz „Don’t really wanna talk about this“. Frei übersetzt: „Darauf hab‘ ich nun wirklick keinen Bock. „Was insbesondere für drei wunde Punkte aus der Vergangenheit der Smashing Pumpkins gilt.
ZUM EINEN DER DROGENTOD VON KEYBOARDER Jonathan Melvoin, der sich am 12. Juli 1996 den Goldenen Schuß setzte, zum anderen der Rausschmiß von Drummer Jimmy Chamberlin, der bereits zwei Reha-Aufenthalte hinter sich hatte und dennoch auf jenen Red Rum-Trip ging, von dem Melvoin nicht zurückkehren sollte. Und dann noch dieser tragische Vorfall in Dublin. Bei einem Konzert in der irischen Haupstadt starb eine 17jährige Pumpkins-Verehrerin an Kreislaufversagen. Corgan spricht in diesem Zusammenhang von Unglücken, die sich proportional zum wachsenden Erfolg der Band ereigneten. Kaum erreichten die Pumpkins mit „Mellon Collie & The Infinite Sadness“ ihren kreativen wie kommerziellen Zenit, hagelte es Rückschläge. „Natürlich geht es mir heute weit besser als noch vor drei Jahren, aber so richtig toll ist mein Leben noch immer nicht“, meint Corgan mit versteinerter Miene. „Klar, ich habe eine Freundin, bin sehr erfolgreich und verdiene jede Menge Geld. Trotzdem kann ich das alles nicht genießen. Die permanente Verantwortung und der ständige Druck lassen mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Jedesmal, wenn du denkst.diese Ruhe würde nun endlich einkehren, passiert irgendwas Schreckliches.“
Die schwarze Serie setzte sich auch in diesem Jahr fort. Um sie zur Verlängerung ihres auslaufenden Plattenvertrags zu bewegen, verklagte ihre Plattenfirma die Smashing Pumpkins Anfang Februar wegen Nichterfüllung eines Deals aus dem Jahre 1991. Darin hatten sich Billy Corgan und die Seinen verpflichtet, in sieben Jahren, also bis 1998, sieben Alben abzuliefern, was aus vielerlei Gründen nicht passierte. Mitten in den Aufnahmen zum ihrem neuen Epos „Adore“ (s. Besprechung auf Seite 62) legten die Pumpkins gegen das Ansinnen ihrer Plattenfirma Widerspruch ein. Am Ende kam es zu einer außergerichtlichen Einigung, über deren Wortlaut Stillschweigen vereinbart wurde. Nur so viel ist D’Arcy zu entlocken: „Das ist eine geschäftliche Angelegenheit, zu der wir nichts sagen. Wir bleiben aber weiterhin bei Virgin Records.“ Wohlwollendes Nicken von Master Billy.
Corgan blickt heute nach vorn, läßt die Vergangenheit hinter sich. Dabei erklärt gerade sie den heutigen Stellenwert der Smashing Pumpkins. Immerhin ging die Supergroup der alternativen Rockmusik aus den Trümmern des Grunge hervor und hat zudem berühmte Mitbewerber wie Soundgarden oder Alice In Chains locker überlebt. Und jetzt, ja jetzt legt Billy Corgan ein Album vor, das wie das exakte Gegenteil zu „Mellon Collie & The Infinite Sadness“ anmutet, wie Corgans finales Statement in Sachen Rock. Denn nach „Mellon Collie“ schienen Corgans Auffassung zufolge seine persönlichen Möglichkeiten innerhalb des Rockspektrums ausgereizt. Eine kreative Sackgasse, aus der es nur einen Ausweg gab: die völlige Neuorientierung. Und genau die vollzieht Corgan mit „Adore“, ein Plattentitel, der eigentlich mit „anbeten“ zu übersetzen wäre, den man aber genausogut wie „A Door“ (eine Tür) aussprechen kann. Aus gutem Grund. „Der Albumtitel steht für unseren Versuch, in einen anderen Raum oder auf eine andere Ebene vorzudringen“, erläutert Klangkünstler Corgan und fährt fort: „‚Adore‘ ist allerdings viel schöner als ‚A Door‘. Es klingt irgendwie… mystischer.“
DIE TÜR INS NÄCHSTE JAHRTAUSEND, AUFGESTOSSEN von einem Album, das mit Rock eigentlich nichts mehr zu tun hat? Wohl kaum. Denn auf eine bestimmte Facette des Pumpkin-Klangs mag Corgan auf „Adore“ denn doch nicht verzichten – auf das magische Midtempo schwermütiger Popsongs wie „1979“, „Tonight, Tonight“ oder“Thirty Three“, umgesetzt sowohl im High-Tech-Verfahren als auch mit herkömmlichen Instrumenten. Das Hörerlebnis gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen filigranem Naturklang und elektronischer Kälte. Natürlich hat „Adore“ zudem eine ganz bestimmte Aufgabe. Die Platte soll der altbekannten Erwartungshaltung gegenübertreten, soll Erfolgsdruck reduzieren und den Smashing Pumpkins die Möglichkeit zu einem Neubeginn bieten. „Es interessiert mich nicht, ob sich ‚Adore‘ nun verkauft oder nicht, solange wir nur mit unserer Arbeit zufrieden sind. Und das ist definitiv der Fall“, verkündet Corgan selbstbewußt, um gleich noch einen draufzusetzen: „Die Pumpkins waren noch nie eine einfache Band, die nette, kleine Popsongs für ein Massenpublikum geschrieben hat -jedenfalls nicht absichtlich. Wir rufen im Grunde nur zwei Reaktionen hervor: Liebe oder Hass. Ein Dazwischen gibt es nichts.“
1995 befand Corgan sich auf dem Höhepunkt einer Phase, die er rückblickend als „Saturn Return“ bezeichnet – frisch geschieden, unzufrieden mit sich und der Welt, unsicher ob der eigenen künstlerischen Zukunft. Er rasierte sich den Schädel, schlüpfte in die Rolle des Underdog („Zero“) und sang „The world is a vampire“
(„Bullet With Butterly Wings“). Doch heute, drei Jahre und acht Millionen verkaufte Alben später, wirken Corgans unverhüllte Melancholie und sein gebündelte Weltschmerz fast ein wenig aufgesetzt.Tatsächlich wird der aufmerksame Zuhörer das Gefühl nicht los, daß „Adore“ unter der tieftraurigen Oberfläche bereits eine Spur positiver und lebensbejahender ist als sein Vorgänger. So ergeht Corgan sich in einer Reihe von Liebeserklärungen – an russische Seeleute („Ava Adore“), einen legendären Baseballspieler („The Tale Of Dusty & Pistol Pete“) oder an seine Freundin Annie („Annie-Dog“). Romantische Anwandlungen? Corgan winkt ab: „Liebe und Glück heißt bei uns auch immer Tod und Verlust – zwei Kontrastpunkte, die sehr eng miteinander verknüpft sind. Schließlich ist nichts für die Ewigkeit bestimmt. Alles ist temporär und vergänglich, also quasi nur dazu geschaffen, um irgendwann unterzugehen oder zu scheitern. Das ist der Lauf der Dinge, und wir haben keinen Anlaß, das irgendwie schönzufärben. Liebe ist etwas Großartiges, aber Liebe kann auch jede Menge Schmerz verursachen. Das ist jedenfalls meine ganz persönliche Erfahrung.“
CORGAN LÄSST SICH NICHT IN DIE KARTEN GUCKEN. UND so käme die Mutmaßung, seine Schwermut sei nicht mehr als eine verkaufsfördernde Maßnahme, dem vorzeitigen Ende des Gespräches gleich. Da kommt D’Arcys Selbsterkenntnis gerade recht: „Es ist so, als wären wir verflucht. Wir können als Band einfach nicht richtig glücklich werden, auch wenn wir das privat längst sind. Für viele ist es einfach unvorstellbar, plötzlich so etwas wie euphorische, positive Songs von uns zu hören. Wie würde das klingen? Ich jedenfalls kann es mir kaum vorstellen.“ Was wohl soviel bedeutet, als daß die Smashing Pumpkins Gefangene ihres eigenen Sounds sind. So erklären sich denn auch Corgans Experimente mit Samples, Loops und Sequenzern nachzuhören auf „The End Is The Beginning Is The End“ aus dem „Batman & Robin“-Soundtrack, dem später noch Beiträge zu „Random“ und „Lost Highway“ folgten. Auch wenn die klanglichen Ergebnisse noch so stimmig sind: Stets kehrt Corgan zurück zu seinem angestammten Pathos: „Es ist nett, den ganzen High-Tech-Kram auszuprobieren, aber auf Dauer tendiere ich doch eher zum klassischen Songwriting.“Ein Begriff, der im Falle Corgan mit Vorsicht zu genießen ist. Schließlich sind seine großen Idole nicht nur Black Sabbath, Judas Priest, Cheap Trick oder Led Zeppelin, sondern vor allem die New Wave-Helden der letzten Dekade. Deren Einfluß auf das Schaffen der Pumpkins ist längst eine Art Running Gag, der sich wie ein roter Faden durch sämtliche Alben zieht. So auch auf „Adore“. Die Erklärung liefert Corgan gleich mit: „Ich verstehe gar nicht, was die Leute an den 80ern auszusetzen haben. Das war doch eine tolle Zeit, in der viel mehr interessante Musik entstanden ist als beispielsweise in den 70er Jahren. Selbst die Sixties, die gemeinhin als goldene Zeit angesehen werden, haben jede Menge Müll hervorgebracht. Okay okay, es gab schon ein paar lächerliche Modeerscheinungen wie zum Beispiel die New Romantics, aber rein musikalisch waren die 80er eine großartige Zeit. Cure, Echo & The Bunnymen, Depeche Mode, die Cars, Joy Division, R.E.M. – wirklich tolle Bands.“
„TOLLE“ MUSIKER KENNT BILLY INZWISCHEN ZUHAUF. SO begleitete er Pink Floyd zur Aufnahmezeremonie in die Rock’n’Roll Hall Of Farne, sang bei David Bowies 50. Geburtstag und tourte mit den Rolling Stones. Zum illustren Bekanntenkreis von Herrn Corgan zählen darüber hinaus Popgrößen wie Kiss, R.E.M., die Beastie Boys und Courtney Love: „Ich habe in den letzten zehn Jahren viele Leute getroffen, aber Courtney übertrifft wirklich alle.“ Wohl auch deshalb half Billy bei den Aufnahmen für das kommende Album von Courtneys Band Hole. Zwei weitere Projekte hat Corgan bereits ins Auge gefaßt. So möchte er als Produzent für die Schockrocker von Marilyn Manson („nette Spinner“) tätig werden und in gleicher Funktion eine japanische Band namens SmaPum unterstützen: „Die haben uns irgendwann mal ein Tape geschickt. Was soll ich sagen? Ich war völlig aus dem Häuschen. Die spielen unsere schwierigsten Stücke nach. Und das machen sie wirklich gut.“
Doch, bei diesen Worten blitzt Bewunderung auf in Billy Corgans starrem Blick. Genauso, wie wenn er seiner Begeisterung für die Chicago Bulls um Superstar Michael Jordan freien Lauf läßt oder auch für den Sport im allgemeinen: „Oh Mann, ich bin ein regelrechter Sportfanatiker. Nicht nur, was Basketball betrifft. Ich mag fast alle Sportarten – auch Fußball. Ich war zum Beispiel bei der WM 1994 in Chicago und habe mir die deutsche Nationalmannschaft angesehen. Ein tolles Team, vor allem dieser Stürmer – Klinsmann. Ja, und zu den Bulls gehe ich eigentlich immer, sofern ich Zeit dazu habe. Ich stamme nun mal aus Chicago, und das macht mich zum Fan unserer Mannschaft – für immer.“ Für ein paar Augenblicke redet da ein völlig anderer Billy Corgan. Nicht der kalte, unnahbare Künstler, sondern ein großer Junge, der stolz ist auf seine Stadt und die sportlichen Spitzenleistungen, die sie hervorbringt. Bloß, wie paßt das zusammen mit Corgans Image, nichts und niemanden wirklich an sich heranzulassen? „Die Leute sehen in mir eben gern das arrogante Arschloch. Bitte.damit habe ich kein Problem. Zumindest akzeptieren sie mich auf diese Weise. Ich würde es auch sehr befremdlich finden, wenn mich plötzlich alle lieb hätten. Das heißt aber noch lange nicht, daß ich keinen Humor habe. Verdammt! Ich bin kein Eisberg, sondern ein Mensch. Und was das Image betrifft: Es hält die Leute auf Distanz – ich hab‘ halt gern meine Ruhe.“
Und wenn sie ihm denn vergönnt ist, diese Ruhe, konzentriert Corgan sich aufs Schreiben neuer Songs. Allein aus den Arbeiten an „Adore“ sind 30 bis 40 Tracks übriggeblieben. Insofern war es keine Überraschung, als der Pumpkins-Kopf vor wenigen Wochen laut über ein erstes Soloalbum nachdachte. Ein Überlegung, die nach dem kürzlichen Alleingang von Gitarrist James Iha nur allzu logisch erscheint. Bei unserem Gespräch jedoch befindet Corgan sich noch in einer Phase des Abwägens: „Es wäre toll, die aus den ‚Adore‘-Sessions übriggebliebenen Songs in irgendeiner Form zu veröffentlichen. Andererseits bin ich mir nicht ganz sicher, ob dies der richtige Zeitpunkt ist. Ich möchte erst mal abwarten, wie das eigentliche Album läuft und dann entscheiden, ob und wann die restlichen Songs auf den Markt kommen.“ Ein Hauch von Unsicherheit? Billy betont erneut, es sei ihm letztlich egal, ob sich „Adore“ nun verkaufe oder nicht. Doch D’Arcy räumt ein, daß der Übergang vom kommerziellen „MellonCollie“-Album zum künstlerisch komplexen Nachfolger „Adore“ alles andere als leicht war: „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie wir uns mit diesem Album gequält haben. Ich konnte nächtelang nicht schlafen, weil ich ganz einfach nicht wußte, wie es weitergehen sollte.“
Ähnliches gilt auch, wenn es heißt, „Adore“ auf die Bühne zu bringen. Denn die Musik ist viel zu fragil, anmutig und ruhig, um in den großen Rockarenen dieser Welt bestehen zu können. „‚Adore‘ paßt eher ins Theater“, meldet sich James Iha zu Wort und erzählt, daß man gerade nach geeigneten Lokalitäten suche: „Hallen mit ganz besonderer Akustik, nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Mehr wollen wir aber jetzt noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird euch umhauen.“