Slave to the Rhythm & Blues


Es war Ingas heutige Plattenfirma „Pläne“, die mit einer (vorerst noch unverkäuflichen) Cassette Erinnerungen wachrief. Erinnerungen an eine Musikerin, die in den vergangenen 20 Jahren die Rockmusik in Deutschland mehr geprägt hat als jede andere Frau.

Sicher, ihre letzten Projekte waren wenig erfolgreich. Doch das jüngste Album TWO IS ONE ließ aufhorchen. Da hörte man eine Stimme, die noch immer Leidenschaften und facettenreiche Gefühlswelten widerspiegelt wie kaum eine andere. Und das in einem musikalischen Rahmen, der keinerlei Patina, keinerlei Revival-Beigeschmack angesetzt hatte.

Wie lebt und arbeitet die inzwischen 39jährige, über die ihr Kollege Jean-Jacques Kravetz in jenen fernen Atlantis-Tagen äußerte: „Inga prägt unsere Band wie Rod Stewart die Faces. „

„Nachdem wir damals mit Frumpy Europa erobert hatten, mit Atlantis den deutschen Rock in die Staaten gebracht hatten, brauchte ich erstmal eine Pause, eine Phase der Neuorientierung. Ich bin viel rumgereist, um einfach mal zu sehen, was es sonst noch so gab an Musik. „

Reisefreudig ging’s ganze 14mal in die USA und auch zweimal in die UdSSR. Mit dem Blues- und Boogie-Pianisten Vince Weber fuhr sie den Mississippi hoch, um den Wurzeln des Blues nachzuspüren und „um mal zu sehen, ob der Blues überhaupt noch dort war.“

Das Gespräch mit Inga, die heute in einer ausgebauten Hinterhof-Fabriketage mit ihrem Lebensgefährten Niko MüUer lebt, zieht schnell weite Kreise. Ein Leben voller Impressionen, begleitet von zahlreichen Musikern und wechselnden Formationen, ein Leben auch mit vielen Ups und Downs.

Das spärliche Interieur ihrer Behausung, die kahlen, weißen Wände, die leeren Räume, all das verrät neonmodischen Geist. Man fühlt sich erinnert an eine Vernissage mit dem kosmopolitischen Touch. Auch eine Art von Blues.

1973 nannte die „FAZ“ Inga Rumpf „das größte Individualtalent der bundesdeutschen Rockszene“, für „Sounds“ waren Inga und ihre damalige Band Atlantis schlicht „die ‚englischste‘ der deutschen Gruppen“ — was damals noch als fraglose Auszeichnung galt!

Anerkennungen und Ehrungen zuhauf: „Gesangssolist des Jahres“, „Beste deutsche Sängerin“, „Beliebteste deutsche Sängerin“ — und auch das honorige Goethe-Institut entdeckte den Blues: Im Juli 1976 ging Inga auf Einladung der Rennomier-Institution auf Rußland-Tournee.

Mäßig erfolgreiche Solo-LPs ließen den Ruhm schnell verblassen. Ingas Suche nach dem Blues wurde zu einer schier endlosen Irrfahrt. Die Prägnanz und musikalische Einheitlichkeit ihrer Formationen City Preachers, Frumpy und Atlantis konnte von ihr im Alleingang nie wieder eingeholt werden.

Als am 23. Februar 1983 Atlantis noch einmal in Urbesetzung mit Karl-Heinz Schott, Frank Dietz, Jean-Jacques Kravetz, Curt Cress und Inga Rumpf in der Hamburger Fabrik (zum zehnjährigen Jubiläum des Musikalien-Marktes Amptown) auftraten, waren die Besucher begeistert. Tagelang war dieses musikalische Ereignis Stadtgespräch. Zu einem Zeitpunkt, als die „Neue Deutsche Welle“ ihrem Ende entgegenging, als sich aufstrebender Nachwuchs wieder über schnieke Schlagerharmonien definierte, wirkte das Atlantis-Konzert wie ein reinigendes Gewitter. Die Begeisterungsstürme im Publikum deuteten an, daß sich wieder Mehrheiten für traditionelle, virtuose Rock-Sounds finden ließen.

Und so baten und flehten einige Kritiker die Band nach diesem Konzert an. es sich doch nochmals zu überlegen und der Einmaligkeit Tournee und Platte folgen zu lassen.

Doch nichts dergleichen. Insbesondere Inga war längst auf einem anderen, neuen Trip. Unmißverständlich gab sie gleich nach dem Konzert zu verstehen:

„Es gibt keine weiteren Auftritte von Atlantis. Ich mache jetzt ein neues Projekt. ,Wilde Ehe‘ heißt es, und zusammen mit Niko Müller und meiner letzten Band Reality will ich das realisieren.“

Der Hinweis eines Kritikers, der seine Begeisterung so formulierte: „Die Musiker, zehn Jahre erfahrener, gewiefter, schlitzohriger, waren einfach noch besser als damals. Die Gruppe bot ein musikalisches Ganzes, wie ich es in den letzten zwei Jahren von deutschen Gruppen nicht mehr gehört habe“, konnte sie nicht mehr irritieren.

Kein Wunder. Denn auch heute, seit Inga nunmehr schon drei Jahre mit Niko Müller zusammenarbeitet, überläßt diese erfahrene Frau ihre Entscheidungsfindung, ihre musikalische Marschroute einem anderen: „Das Analysieren überlasse ich lieber Niko. „

Mit der LP LIEBEN. LEIDEN. LEBEN. trat Inga 1984 im neuen Zweisamkeits-Styling erstmals unter dem Firmennamen „Der Bund“ ans Licht der Öffentlichkeit. Und die musikalisch-kreative Gemeinschaft, die sich da ausgerechnet den Rufnamen unserer Bundeswehr zugelegt hatte, fungierte bereits unter der Fuchtel des theoretisierenden Kapellmeisters Niko Müller.

Niko, dessen Jugendtraum es wohl schon immer gewesen war, einmal als Popstar auf der Bühne zu stehen, erfüllte sich an der Seite der theorieschwachen Inga nun seinen langgehegten Wunsch. Die vertonte Beziehungskiste „Wilde Ehe“ ging auf 103-Konzerte-Tour und ließ so manchen Kritiker verzweifeln: Da tänzelte Herr Müller reichlich linkisch über die Bühne, immer auf der Suche nach einem Instrument, auf dem sein Dilettantismus nicht allzu offenkundig wurde.

Die Band, die ansonsten bei der Einspielung der neuen Titel aus hervorragenden Musikern wie Udo Dahmen oder Benjamin Hüllenkrämer bestand, hatte es wohl mit ihrem Angestellten-Status auch nicht verhindern können, daß der stadtbekannte Musikamateur im Namen von Inga Rumpf das Wort ergriff und den Karren zielstrebig in den Graben manövrierte. Denn der erhoffte Erfolg, eine vergleichbare Publikumsresonanz, wie Inga sie in früheren Jahren gewohnt war, die blieb aus.

Aus der „Wilden Ehe“ wurde eine längerfristige kreative Zweisamkeit, bei der bis heute die Tochter eines Hamburger Seemanns das Sagen lieber ihrem Partner überläßt. Doch während sich Nikos Fähigkeiten aufs Theoretische beschränken, ist Inga die totale Praktikerin. Freunde sagen ihr eine zupackende Selbständigkeit nach, die sich unter anderem auch darin ausdrückt, daß sie ihre Kostüme selber näht.

Nach der wenig einfallsreichen Namensbastelei „OKINGA“ blieb das Duo nun erstmal bei „Unity“ hängen. Und Niko definiert: „Wir realisieren das Konzept einer Mann-Frau-Einheit: Unity. Im kreativen Prozeß, sprich Produktion, Arrangement usw., im Aufnahme-Prozeß und bei der Präsentation live. Wir verzichten völlig auf Studiomusiker, die mal hier, mal da spielen — und die eigentliche kreative Ideen nicht nachvollziehen können oder wollen. „

In die gleiche Kerbe haut Inga, wenn das bei ihr auch ein wenig anders klingt. Sie spricht dabei eher bedauernd von den alten Zeiten, als die Musiker fortwährend zusammen waren; auf einer Tournee auch beim gemeinsamen Wohnen und Leben. Doch das ist für sie ein scheinbar fernes, abgeschlossenes Kapitel.

Die Frage bleibt. Ihre Stimme ist ein markantes Signum, ein erinnerungsträchtiges Zeichen einer eigentlich ganz anderen Welt. Einer Welt, die ohne Styling und übertünchende Performance auskommt. Inga braucht keine schrillen Videos und auch nicht die blasse Philosophie des „Leben als Gesamtkunstwerk“. Diese Stimme lebt durch ihre Intensität; alles was versucht, von ihr abzulenken, disqualifiziert sich selbst. Immerhin vertröstet Ingas Musikalität und läßt darauf hoffen, daß sich vielleicht Niko Müller eines Tages auf ein gesundes Maß zurechtschrumpft, sich vielleicht mit der bereits angenommenen Rolle des Produzenten bescheidet und Musik lieber Musikern überläßt.

TWO IS ONE heißt das Album, das Anfang Oktober auf den Markt gebracht wurde, diesmal nur unter dem Namen Inga Rumpf. Unter Zuhilfenahme des PPG-Wave-Computersystems (also der Möglichkeit, mit digitalisierten Naturklängen zu arbeiten) und mit überwiegend von Inga eingespielten Tracks wird der „Unity“-Gedanke weiterhin unters Volk gebracht.

Und das überzeugender denn je. So schrieb Christiane Rebmann in ME/ Sounds zur jüngsten LP: „Was die Schattierungen, die Variationsmöglichkeüen im Gesang betrifft, steckt Frau Rumpf ihre deutschen Kolleginnen glatt in die Tasche. TWO IS ONE könnte Ingas Ruf als Deutschlands Tina Turner festigen.“

Wie überzeugend das live klingen wird, das wird ausschließlich von Ingas musikalischer Inspiration abhängig sein. Und davon, wie weitgehend sie sich von zweifelhaften Beratern freischwimmen kann.

Inga Rumpf. Mit Niko Müller verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden.

„Meine Zukunft? Die Musik! Ich werde komponieren, Platten machen, Tourneen, ich werde singen und spielen. Allein, mit Niko und mit Bands. Wie’s kommt — Hauptsache, es ist Musik. Meine Musik. „