Slash


Eigentlich wollte Axl sprechen. Doch prompt sagte die paranoide Primadonna das Interview in letzter Minute ab. Ganz anders Erz-Rivale Slash: Er macht aus einem Herzen keine Mördergrube und plaudert über Teufel und die Welt. Vor allem aber über Axl. ME/Sounds-Mitarbeiterin Sylvie Simmons sprach mit Slash in London.

ME/SOUNDS: Früher gab es den kleinen Unterschied zwischen Pop und Rock: Pop war risikolos und neu, Rock war eine Bedrohung. Heule ist Rock, trotz all dem Leder und den martialischen Posen, so ungefährlich wie schon lange nicht mehr. Guns N’Roses sind eine der A usnahmen …

SLASH: Am merkwürdigsten war es, als Punk gesellschaftsfähig wurde und brave Hausfrauen plötzlich Sicherheitsnadeln in der Nase trugen. Das ist der Haken bei dem ganzen Geschäft: Alles ist so berechenbar. Du darfst dies nicht machen und das nicht sagen, mußt immer nett lächeln und die Presse gut behandeln. Darum geht’s im Rock doch gar nicht. Für mich stand Rock einmal für Freiheit, Rebellion, Rückzug von all dem Mist, mit dem du dich täglich herumschlägst. Er muß ehrlich sein und ein bißchen aggressiv und vielleicht auch ein paar Leute schockieren, kurzum: so konsequent wie möglich gegen die Norm verstoßen.

ME/SOUNDS: Selbst dann, wenn das, wie bei eurem Konzert in St. Louis, zu Gewalt und Blutvergießen führt?

SLASH: Dieser Gig hat uns wirklich die Augen geöffnet. Wir hatten bis dahin nicht gewußt, daß wir soviel Macht besitzen. Damals standen eine Menge Menschenleben auf dem Spiel, und dabei war es doch nur ein Rock ’n‘ Roll-Konzert! Da wird dir auf einmal klar, wie ernst die Sache eigentlich ist. Der Gig in Donington hatte uns sowieso schon zu denken gegeben. (In Donington wurden 1988 zwei Roses-Fans von der Menge erdrückt — Red.) Nach dem Vorfall in St. Louis haben sie uns die Schuld gegeben, wir hätten das alles bewußt angezettelt, aber das ist einfach nicht wahr.

ME/SOUNDS: In den drei Jahren, die ihr für USE YOUR ILLUSION gebraucht habt, gab es eine Menge Schlagzeilen: Ärger mit der Polizei, mit Ex-Frauen und Nachbarn, Drogen, Zqff innerhalb der Band. Hat es deswegen solange gedauert?

SLASH: Naja, wir waren so verdammt lang auf Tour, und als wir endlich nach Hause kamen, waren wir auf einmal Megastars. Du läufst immer noch herum und versuchst, dir beim Pinkeln nicht die Hose zu versauen, während die ganze Welt dich behandelt, als würdest du auf einem Podest sitzen. In einem Moment waren wir Nobodys und im nächsten diese unglaublich berühmte Band.

Als sie uns nach der Tour in die Freiheit entließen, wußte ich nicht, wo ich hingehen sollte. Und wenn ich nichts zu tun habe, knall ich mir eben die Birne voll, so ist das bei uns nun mal — vielleicht nicht so sehr bei Axl, aber bei mir definitiv.

Das Schlimmste war, daß wir nicht mehr alle zusammen lebten, daß auf einmal jeder sein eigenes Zuhause hatte. Du rufst an und fragst: „Duff, kann ich mal rüberkommen“, und kriegst zu hören: „Weißt du, heute kommt bei mir der Gärtner…“. Es dauerte lange, bis ich mich daran gewöhnt hatte.

Zuerst nahm ich mir ein Appartement, das billigste, das ich finden konnte. Ab und zu kamen Duff oder Axl vorbei, aber in den Tagen und Wochen dazwischen versank ich in Dope und Kokain und all dem beschissenen Zeug und verlor völlig den Halt.

Also riß ich mich zusammen und kaufte ein Haus. Und dann saß ich in dem Haus und haßte es. Ich lag den ganzen Tag auf dem Bett und starrte an die Decke. Es gab einfach nichts zu tun, und ich fing an, so übel auszuklinken, daß es zu ein paar unguten Begegnungen mit den Bullen kam und alle sich Sorgen machten. Deshalb trat ich nach den Stones-Gigs zur großen Entgiftung an. (Am Ende des Auftritts in Los Angeles hatte Axl verkündet, er würde die Band wegen Drogenproblemen auflösen.) Und dann war Steven an der Reihe.

ME/SOUNDS: Steven Adler, euer erster Schlagzeuger, der vor einiger Zeit durch Matt Sorum ersetzt wurde, hat euch gerade verklagt, weil ihr ihn angeblich in die Heroinsucht getrieben habt …

SLASH: Wir haben uns mit Steven wirklich alle Mühe gegeben. Er war immer der kleine Junge in der Band, machte immer einen drauf — Sex, Drogen und Rock ’n‘ Roll, mehr gab es nicht für ihn. Er konnte nicht verstehen, daß ihn die Drogen dem Rock immer mehr entfremdeten. Warum kann man als Junkie nicht in einer Rockband spielen? Weil es irgendwann einfach nicht mehr funktioniert. Du mußt auf dich selbst aufpassen, du kannst dich nicht darauf verlassen, daß andere dir ständig den Hintern abwischen. Als Steven nach einem Jahr immer noch nichts begriffen hatte und jede Menge Geld durch den Schornstein ging, weil er im Studio nichts auf die Reihe kriegte, sagte ich ihm schließlich: „Steven, du mußt gehen.“

Ich fühl mich immer noch nicht gut damit. Aber es ist nun einmal so, daß Matt der Band irgendwie einen Kick gegeben, uns weitergebracht hat. Wir sind jetzt konzentrierter, ernsthafter bei der Sache … Was ich aus diesem ganzen bescheuerten Zirkus gelernt habe ist, daß ich mich hinsetzen kann und weiß, wir sind wirklich gut. Nicht nur gut, sondern einzigartig. Und wenn ich heute eine Nacht im Kronleuchter verbringe — das stammt von Keith Richards, zugegeben — dann kann ich am nächsten Morgen runterklettern und trotzdem spielen.

ME/SOUNDS: Es ist ein offenes Geheimnis, daß es seit Beginn dieser Tour eine Menge Spannungen in der Band gibt. Einer fehlt kurz vor dem Auftritt immer, und der Rest der Band ist damit beschäftigt, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen — vor allem an Axls Kehle. Warum ist das so?

SLASH: Weil sich solche Konflikte nun einmal aufbauen, wenn du auf einer Tour dieser Größenordnung mit all den Zwängen und all dem Geld und all den riesigen Hallen bist. Du fühlst dich, als ob ganze Heerscharen von Menschen an dir herumzerren, und manchmal wird es einfach zuviel, und alles, was du denkst, ist: „Fuck ihis!“ Auf der anderen Seite trägst du eine Menge Verantwortung. Du kannst nicht einfach aufkreuzen, wanns dir paßt, weil die Leute sonst den Laden auseinandernehmen — und ich habe selbst gesehen, was dann los ist.

Bei Axl hat sich soviel aufgestaut… Er will immer alles perfekt machen und arbeitet wie ein Pferd. Ich hab viel Zeit mit Axl verbracht, aber ich kann dir trotzdem nicht sagen, was er gerade durchmacht — sicher hat es viel mit seiner Vergangenheit zu tun. Und obwohl wir auf Tour sind und angeblich so schrecklich erfolgreich, sind wir doch so ungeheuer verletzlich, und es kommt soweit, daß du denkst: „Mein Gott, versuch bloß, dir ein Quentchen Sicherheit in deinem Privatleben zu erhalten“, und gleichzeitig fühlst du dich, als würdest du den Haien zum Fraß vorgeworfen — und du wolltest es ja auch so! Wir sind eben ein bißchen cholerischer als andere Bands, weil keiner bereit ist nachzugeben und zu sagen: „OK, ich mach das so, wie du willst, um des lieben Friedens willen.“

ME/SOUNDS: hl Guns S“Roses Axb Band?Könntet ihr ohne ihn auskommen?

SLASH: Steven zu verlieren war schon hart genug. Wenn irgendeiner aus der Band, Matt eingeschlossen, gehen würde, wären wir nicht mehr die Guns. Guns N‘ Roses sind nicht nur ein Name. Wir sind eher eine Familie — nicht so wiebeiBonJovi!

ME/SOUNDS: Bei vielen großen Rockbands — den Stones, Led Zeppelin, Aerosmith — gibt es diese Haßliebe zwischen dem Leadgilarristen und dem Sänger.

SLASH: Ich könnte die Liste stundenlang fortsetzen! Ja, die Beziehung ist sehr, sehr intensiv. Mal ganz oben, mal völlig im Keller. Aber irgendwo zwischen dieser Intensität und der Reibung ist so etwas wie Chemie. Und wenn die Chemie stimmt, dann ist da ein Funke, weißt du, ein gemeinsames Bedürfnis, das die ganze Sache zusammenhält. Natürlich kloppt man sich auch. Die schlimmsten Auseinandersetzungen finden zwischen mir und Axl statt. Aber genau dieser Konflikt hält die Sache auch am Laufen. Axl und ich sind so verschieden, daß wir uns gegenseitig anziehen.

ME/SOUNDS: Was ist los mit Axl? SLASH: Schwere Frage. Ich kann nur sagen, daß ich es verstehe. Ich weiß, wie verdammt hart es ist. Ich weiß, wie schwer es für ihn ist, jeden Abend zu singen. Er hat versucht, es mir zu erklären — als ob du eine Gitarre hättest, und alle Saiten sind gerissen. Wie sollst du da die Show beenden? Für mich ist das kein so großes Problem, ich habe Ersatzgitarren, Ersatzsaiten, es ist nicht ganz so schlimm, wenn ich mal nicht so gut drauf bin. Aber wenn er da rausgeht, und sein ganzer Körper meldet Protest an, oder er verliert seine Kontaktlinsen, oder ihm wird schwindlig… Wenn du da draußen stehst, bist du ein Übermensch, du darfst dir nicht den kleinsten Fehler erlauben.

Axl ist sehr sensibel, und auf der Bühne geht es ganz schön rauh zu. Von links kommt eine Flasche geflogen, auf der anderen Seite geht eine Rakete hoch … Vielleicht sind wir nicht professionell genug, aber wir können einfach nicht ; ständig grinsen und so tun, als wäre nichts passiert. Manchmal denkst du dir, wie beschissen ,

das alles ist. Ich hab’s am liebsten, wenn alle ihren Spaß haben und mit einem Lächeln nach Hause gehen.

ME/SOUNDS: Mit eurem abgefuckten Benehmen auf der Bühne — vor allem Axl — und den brutalen Texten: Fordert ihr dazu nicht gerade auf?

SLASH: Wir waren schon immer eine abgefuckte Band. Und die Zeiten sind nun mal brutal. Außerdem sind nicht alle Texte so. Bei vielen kannst du richtig zuhören. Sie sind nicht alle negativ, manche sind richtig komisch. Eine Menge Leute übersehen das.

ME/SOUNDS: Werden Guns N’Roses zu ernst genommen — oder nicht ernst genug?

SLASH: Manche nehmen uns zu ernst und manche nicht ernst genug — und immer aus dem falschen Grund. Aber ich habe mittlerweile keine Lust mehr, mich da noch groß drüber aufzuregen.

ME/SOUNDS: Die Presse nimmt euch als jugendgefährdende Elemente ja augenscheinlich sehr ernst.

SLASH: Ich glaube nicht, daß die von uns noch gutes Benehmen erwarten. Die sehen uns mehr als ihre Marionetten. Das ist Sensationshascherei, weiter nichts. Wenn ihnen nichts mehr einfällt, schreiben sie eben über unsere neuesten Missetaten. Wenn diese Leute mich persönlich zu Gesicht bekommen, sind sie oft ziemlich nervös, als ob sie erwarten, daß ich ihnen im nächsten Augenblick eine Flasche über den Schädel ziehe. Manche von ihnen wollen das sogar! Ich wünsche mir, daß wir irgendwann mal soweit kommen, daß die Musik wichtiger wird als der ganze Hype. Aber die Jahre gehen ins Land, und jedesmal, wenn du einen Fuß vor die Türe setzt, steht da einer mit seinem verdammten Knipskasten.

ME/SOUNDS: Wie ist es gekommen, daß aus Guns N’Roses nicht nur eine Band mit ein paar Millionen verkaufter Platten, sondern ein Phänomen geworden ist? Hast du da eine Theorie?

SLASH: Wenn ich darüber ernsthaft nachgedacht und eine Antwort gefunden hätte, wäre die Sache ein bißchen zu vorhersehbar, oder? Aber eigentlich ist es ganz einfach: Wir spielen zufällig gut zusammen, wir sind eine prima Band, und damit hat sich’s. Es ist etwas ganz Natürliches, genauso natürlich, wie auf die Toilette zu gehen. Selbstanalyse ist Zeitverschwendung.

ME/SOUNDS: Für die Bewohner von Los Angeles ist Analyse aber eine belieble Freizeitbeschäftigung, fast ein Muß…

SLASH: Ach, Therapeuten … Ich weiß nicht, was so ein Seelenklempner sagen würde, wenn du ihn fragst, warum ich soviel trinke, aber die Antwort ist ganz einfach: aus Langeweile und um mich zu entspannen. Am schlimmsten ist es für Leute, die leicht aufbrausend und gleichzeitig sehr schüchtern sind. Mein größtes Problem war immer, daß ich dieser eher zurückhaltende Typ bin und andererseits jeder Schritt von mir von der Öffentlichkeit ausgiebigst beäugt wird. Zum Schluß trinkst du dir die Hucke voll, nur um aus deinem Schneckenhaus rauszukommen.

Kokain ist wirklich übel. Du wirst es nicht mehr los und fängst an, wegen allem und nichts zu streiten. Und wenn du viel kokst, trinkst du auch viel!

Heroin? Ich mochte es einfach und hatte keine Ahnung, daß man süchtig wird, wenn man es vier oder fünf Tage hintereinander nimmt.

ME/SOUNDS: Nehmen wir an, dich hält jemand auf der Straße an und sagt: „Ich mache Sie dafür verantwortlich, daß meine Kinder drogensüchtig sind.“ Was würdest du denken?

SLASH: Ich bin der Meinung, daß wir nie irgendwelche Sachen angepriesen haben. Wir sagen nicht: Tu dies oder laß jenes. Wir singen nur über das, was wir selbst erleben. Wenn die Leute zu blöd sind, um das zu begreifen, kann ich ihnen auch nicht helfen — obwohl ich mich wirklich mies fühlen würde, wenn ich wüßte, daß ich dafür verantwortlich bin. Aber ich weigere mich, diese Verantwortung zu übernehmen. Ob das jetzt Ozzy ist oder Judas Priest (beide wurden in den USA verklagt, weil ihre Texte angeblich Fans in den Selbstmord getrieben haben) oder Guns N‘ Roses — es ist immer nur eine Band, eine gottverdammte Rock ’n“ Roll-Band, und wenn man sich ansieht, was auf diesem Planeten sonst noch so alles passiert, ist das, was so eine Band sagt oder tut, doch nun wirklich nicht wichtig. Daß jemand sich selbst oder einen anderen wegen eines Stücks Vinyl tatsächlich umbringt, das gibt mir aber doch zu denken.

ME/SOUNDS: Guns N‘ Roses haben in relativ kurzer Zeit ganz schön für Wirbel gesorgt. Axl kündigt das Ende der Band von der Bühne aus an, Mötley Crüe fähren ein drogenfreies Leben, seitdem ihr Bassist nach einer Party mit euch nur mühsam wieder zum Leben erweckt werden konnte, Clint Eastwood heuert euch für einen Film an, Dutzende von Musikern, von Bob Dylan bis Lennv Kravitz, laden euch ins Studio ein…

SLASH: Hey, ist das nicht toll? Ich bin 25 und kenne jeden!

ME/SOUNDS: Machst du dir Gedanken, welchen Platz Guns N‘ Roses einmal in der Rockgeschichte einnehmen werden?

SLASH: Du sprichst da etwas an, worüber ich tatsächlich nachdenke. Stimmt, wir haben die Szene ganz schön aufgemischt, aber an was wird man sich in 20 Jahren erinnern? Ich frage mich sowieso, ob die 90er irgendwelche Bedeutung haben, denn in punkto Musik ist so gut wie gar nichts passiert, : finde ich. Was werden sie also ‚ mit uns anstellen? Werden sie ‚ uns einen Heiligenschein verpassen wie Led Zeppelin? Oder wird uns aas gleiche Schicksal ereilen wie Aerosmith — eine Megaband. die sie irgendwann ganz

schnell wieder vergessen? Ja, ich habe darüber nachgedacht. Aber eine Antwort habe ich nicht gefunden.