Sisters Of Mercy


Die Verzweiflung in den Gesichtern der abgewiesenen Fans spricht Bände: Hier findet ein Popkonzert statt, das Leidenschaften weckt. In der ausverkauften Markthalle gibt es kaum noch ein freies Fleckchen; selbst auf den schmalen Kanten der Banklehnen stehen Leiber auf Zehenspitzen, an fremden Schultern Halt suchend, um nur ja einen Blick auf die Bühne erhaschen zu können. Der überraschende Aufstieg der Sisters vom Underground-Favoriten zu einer auch beim breiten Publikum erfolgreichen Band könnte keinen besseren Ausdruck finden als den spontanen Jubel, der das Ende der Cassetten-Musik begrüßt.

Sekunden später hüllt dichter Nebel die Bühne ein; hinter milchigweißen Schwaden nehmen die schwarzgekleideten Gestalten Position ein. Und als die programmierte Rhythmusbox namens „Doctor Avalanche“ präzise zu hämmern beginnt, als die ersten Akkorde von „First & Last & Always“ durch die Elektrik jagen, haben die Sisters sofort alles gewonnen: Das oft als „zu kritisch“ geschimpfte Hamburger Publikum zeigt sich von Beginn an begeistert. Im Gedränge vor der Bühne dezenter Pogo von Lederjacken und Hardcore-Fans; die seitlichen Ränge voller verzückter Depeche-Mode-entwachsener Mädchengesichter; weiter hinten die wohlwollend wippenden Fans gesetzterer Natur.

Sänger Andrew Eldritch und seine beiden Sidemen (der zweite Gitarrist Gary Marx ist nicht mehr dabei) tragen dunkle Brillen, Mescalero-Hüte und zerschlissene Jeans. Gitarrist Wayne Hussey und Bassist Craig Adams greifen präzise in die Saiten, lassen sich vom Rhythmus mitreißen, während Eldritch – spindeldürr und im knielangen Mantel unbewegt das Mikro umkrallt und bebende Worte ins Publikum schleudert.

Der klug aufgebaute Set beginnt mit Kostproben der Sisters-LP, gefolgt von den neueren Single/Maxi-Titeln „Walk Away“, „Body & Soul“, „No Time To Cry“. Die Songs folgen aufeinander fast ohne Pause; jedes Stück startet mit neuen Nebelschwaden, die sich in der überfüllten Halle ohnehin nur langsam verziehen.

Gespenstische Lichteffekte heizen die psychedelische Atmosphäre an; Highlights wie „Emily“, „Floorshow“ und „Alice“ bringen die Halle endgültig in Hochstimmung. Eldritchs morbide Lesung des Stones-Klassikers „Gimmie Shelter“ bringt gegen 23 Uhr rührende Endzeit-Stimmung. Mit der ultra-langsamen, depressiven Version von „Knockin‘ On Heaven’s Door“ als Zugabe machen sie demonstrativ klar, daß dieses Konzert jetzt zuende ist. Und nicht so schnell vergessen wird.

Nach dem Schlußakkord leuchtet das Sisters-Logo, ein Folter-Kopf im fünfzackigen Stern, auf mehreren Leinwänden auf. In die Nebelreste mischt sich Marihuana-Geruch.

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