Sinead O’Conner – München, Schlachthof


Satte zwei Stunden stand die 22jährige Tina vor der Tür im Schneematsch, um eine junge Irin auf der Bühne zu sehen, die sie nicht einmal dem Namen nach kannte. In der Konzertankündigung stand etwas von „irischen Folklore-Einflüssen“ — das war ihr die 18 Mark wert, und da störte es auch kaum, daß Sinead O’Connor eine Stunde länger für ihren Soundcheck brauchte als geplant.

In der darauffolgenden knappen Stunde wurde Tinas Gesicht immer länger: Unerbittlich hämmerte Sinead ihre schrägen Popsongs von der Bühne, die mit irischer Volksmusik ungefähr soviel gemeinsam haben wie ein Synthesizer mit einem Klavier: Die Grundstruktur ist noch erkennbar, aber die Ausführung geht weit über Traditionen hinaus.

Wohlgemerkt: Schräg werden die Songs erst und ausschließlich durch das markante Organ der 20jährigen Irin. Stünde sie nicht am Mikrophon, dann könnten die Smiths-Überbleibsel Mike Joyce (Schlagzeug) und Andy Rourke (Baß) samt den anderen drei Musikern noch so intensiv spielen — das Publikum würde wohl kaum von seinem Bier aufschauen.

Sinead dagegen fasziniert die Augen und beglückt die Ohren. Die magere Gestalt wird von schwarzen Springerstiefeln am Boden gehalten, die fast so groß sind wie der kahlgeschorene Schädel. Mit ihren riesigen dunklen Augen und dem schwarzen Stoppelschimmer auf dem Kopf erinnert sie an ein verschrecktes Kind aus dem Warschauer Getto.

Reißt sie aber den Mund auf, um in bester Punkmanier ins Mikrophon zu schreien, sieht sie aus wie ein bösartiger Köter: Stirn und Nase sind eine einzige wütende Falte. Sinead O’Connor kann unglaublich weich singen und im nächsten Moment die Stimme jodelnd überschlagen. Krächzen, Flüstern, Motzen, alles drin —- ein permanenter Kontrast zwischen Zierlichkeit und Härte.

Nur schade, daß in der Live-Mischung der Hall für die Stimme versagte. Das erklärte zwar die lange Wartezeit vor dem Konzert, minderte die Ausstrahlung der O’Connor aber beträchtlich. Den Medien-Profis in den hinteren Reihen mag das Konzert irgendwie fad vorgekommen sein. Über die Laurie Anderson-Anleihe wurde gelästert (zwei Minuten gesampeltes Monoton-Stöhnen), die zweimalige Darbietung der aktuellen Single „Mandinka“ moniert, das unstimmige Preis-Leistungs-Verhältnis beklagt. Doch das Publikum in der vorderen Hälfte ließ sich überzeugen —- und von Sinead O’Connor in ihre brutal zarte Welt verführen.