Simple Minds – Einfallspinsel mit Köpfchen


The Skids, The Zones und jetzt auch noch Simple Minds — ist Schottland auf dem besten Wege, ein neues Dorado der großbritannischen New Wave-Szene zu werden? Das zweite Album der Simple Minds, genannt „Real To Real Cacophony“ läßt ebenfalls allerlei hoffnungsvolle Prognosen zu, die sich übrigens auch auf andere „Provinzen“ des britischen Königreiches anwenden lassen. London tot? Dies und andere Fragen standen im Raum, als die fünf ganz und gar nicht einfältigen Gemüter aus Glasgow einem Fernsehauftritt in „Stop Pop“ und Interviews in München absolvierten. Der Redefluß von Sänger und Texter Jim Kerr und Gitarrist Charles Burchill in bestem schottischen Akzent war kaum zu stoppen. Noch scheinen sie voller Enthusiasmus, Mitteilungsbedürftig und Neugierde der eigenen, erst zwei Jahre alten Musikerkarriere gegenüberzustehen, so daß sie begeistert und kooperativ die Medienarbeit unterstützen. Bei ein paar Colas berichteten dann Jim und Charles den kurzen Weg von Johnny And The Seif Abusers, dem Quartett, mit dem alles in Glasgow und mit einer Single begann. Neben ihnen gehörten da schon Derek Forbes, Bass, und Brian McGee, Schlagzeug, dazu. Als sich Keyboardspieler Micheal McNeil einfand, war Simple Minds perfekt – eine Gruppe, deren Mitglieder allesamt nur geringe Erfahrungen in Freizeitbands gesammelt hatten. Jim: „Zu der Zeit passierte in Glasgow eine Menge. Zahlreiche New Wave-Bands gaben Konzerte und das war sehr inspirierend für uns. Etwa sechs Monate haben wir versucht, unsere eigene Sache zu entwickeln uns spielten nur in Schottland.“ Und Charles ergänzt: „Wir waren inspiriert durch das Feuer, das Punk entfacht hatte, wollten aber bereits darauf innovativ eigene Ideen entwickeln.“ Es dauerte nicht lange, da wurden Presse und Plattenfirmen auf Simple Minds aufmerksam. Das Rennen machte ein kleines lokales Label namens „Zoom Records“ im Vertrieb der renommierten Arista Company. Eine ungewöhnliche Sache, die Jim als Wendepunkt innerhalb der englischen Musikbranche sieht: „Generell war’s doch bis vor ein paar Jahren so, daß alles aus London kam oder man nach London ziehen mußte wegen der Plattenfirmen und Presse. Jetzt tendieren die Bands immer mehr dazu, in ihrer Heimatstadt zu bleiben und dort eine eigene Szene aufzubauen. Kehren wir nochmals zur Geschichte der Simple Minds zurück. Ohne die Veröffentlichung einer Single oder LP kamen sie als Vorgruppe bei einer Englandtournee von Magazine unter. Das Debutalbum LIFE IN A DAY erschien dann im April 1979 und wurde ein beachtlicher Anstandserfolg für eine Newcomerband. Sie selbst haben an dieser, auch meiner Meinung nach etwas indifferenten LP heute eine Menge auszusetzen.Charles: „Daserste Album enthält Songs, die wir über einen gewissen Zeitraum hinweg immer wieder korrigiert haben, also die Arbeit von etwa eineinhalb Jahren. Das reflektiert diese erste LP und man sollte sie nicht überbewerten, denn wir haben uns seitdem sehr verändert, ja fast eine neue Richtung eingeschlagen, in die wir uns augenblicklich weiterbewegen.“ Es folte eine weitere, ausgedehnte Englandtournee, fünf Konzerte in Deutschland, und im August ’79 die Aufnahmen zur zweiten LP REAL TO REAL CACOPHONY (vergl. ME 2/80). Und die ist in der Tat, um es mal ganz nüchtern auszudrükken, meilenweit von der ersten entfernt und für mich persönlich eines der interessantesten Alben der letzten Zeit. Jim: „Wir hatten überhaupt kein Konzept, nichts vorbereitet, als wir für das zweite Album ins Studio gingen. Es sollte wirklich aus der Studioarbeit entstehen. Es gab zwar so etwa fünfzehn Melodien, aber keine Texte und keine Arrangements. Für mich besteht das Album auch weniger aus Songs, sondern eher aus Effekten, die vielleicht einem Filmbild vergleichbar für ein bis zwei Minuten wirken. Das ist der Unterschied zur ersten LP, für die wir uns nur noch auf den Klang fertiger Songs konzentrieren mußten. Das war o.k., aber man spürt keine Identität, dafür zu viele Einflüsse. Demwollten wir auf diese Weise entkommen.“ War das denn kein Risiko für eine junge Gruppe? Charles: „Klar, manche Leute erklärten uns für verrückt, die dachten an die Kosten und meinten auch, das müßte das helle Chaos werden. Wir wollten versuchen, daß diese Album wirklich impulsiv klingt. Und wir finden es gut, weil es einen ziemlich irritierenden, konfusen Sound hat. Und der reflektiert genau unsere Stimmung im Studio, das, was die Kritiker als „dramatisch“ bezeichnet haben. Und das konnte nur so entstehen.“ Sowohl Simple Minds als auch Skids und Zones unterscheiden sich von den britischen New Wave-Bands durch einen melodischeren, ja geradezu bombastischen Sound, der sie in manchen Momenten fast in die Nähe von Bands wie Queen rückt. Hat das was mit dem schottischen Gemüt zu tun?, frage ich Charles: „Ein Grund ist sicher der, daß wir uns hier ganz besonders anstrengen müssen, was Ideen und Originalität betrifft, um von den Plattenfirmen überhaupt wahrgenommen zu werden.“ Jim, der sich ja mehr um den Gesang als um die Musik kümmert, sieht noch einen anderen Grund: „Punk hat natürlich erst mal die Leere der überarrangierten Musik der 70er Jahre auf eine vernünftige Basis zurückgeschraubt. Das war eine Zeitlang notwendig und in Ordnung. Jetzt aber wollen Bands wieder mehr Atmosphäre, Rhythmus und Arrangement einbringen. Und für sie ist das im Gegensatz zu etablierten Rockbands ein Experiment, ein Abenteuer und deshalb auch wesentlich kreativer, solange sie dabei nicht so nachlässig und gleichgültig wie ihre Vorgänger werden. Und die Bands, die den Mut haben, neue Sachen auszuprobieren, bekommen augenblicklich auch die meiste Aufmerksamkeit in der Presse, was in England auch nicht immer selbstverständlich war.“ Immerhin hat die amerikanische Musikbranchenbibel über die Schotten geschrieben: „Auf Schallplatten wie dieser bauen sich Kults auf.“ Und daß sich ein Produzent wie John Leckie, der unter anderem auch für den Sound der ersten beiden XTC-Alben verantwortlich zeichnet, dem schüchternnen Quintett angenommen hat, spricht, zumindest bei Eingeweihten, auch für sich. Was nicht für sich spricht, sind die Texte. Sie sind schwer verständlich und auch auf dem Cover nicht abgedruckt. Jim lacht erst und meint: „Also, ich kann dir höchstens erzählen, wie sie entstanden sind. Beim zweiten Album war das eine Art Spiel, da kein Song, fertig war, ehe wir ins Studio gingen. Wir haben so gearbeitet, als ob du zu einem bestimmten Thema ein Buch aufschlägst und bestimmte Wörter herauspickst. Also ganz ähnlich, wie wir auch die Soundeffekte geschaffen haben, ohne uns dabei Grenzen zu setzen. Zu den fertigen Basis-Tracks versuchten wir die entsprechende Atmosphäre auch in Wort einzufangen. Meist endete das bei Impressionen, die anstelle einer Botschaft entstanden. Wir betrachteten unsere Songs eher wie Gemälde. Wenn mir zur Musik ein bestimmtes Bild in den Kopf kommt, dann schreibe ich das hin. „Premonition“ dagegen, besitzt viel mehr Sound und Gefühl und ergibt viel mehr Sinn als etwa .Real To Real‘. Da gibt es nur eine monotone Stimme, keine menschlichen Gefühle, alles ist maschinell, weil es zur Musik paßt. Auf manchen Songs ist die Stimme also nur ein weiteres Instrument, und es ist völlig egal, was nun gesungen wird.“ Zum Abschluß des Interviews, bei dem sich der konzentrierte Gesicht sausdruck von Jim und Charles selten entspannte, muß ich sie doch fragen – haben die Simple Minds Humor? Und darauf folgt ein wirklich amüsiertes Lachen. Charles: „Viele Leute glauben wirklich, die Band wäre sehr kalt, sachlich und seriös. Aber da ist Humor vorhanden, der ist nur nicht so leicht konsumierbar gemacht, nicht offensichtlich.“ Und Jim: „Dieser Irrglaube entsteht vielleicht, weil wir auf der Bühne dazu neigen, ein sehr angespanntes Gefühl zu vermitteln, eine starke Konzentration und Unbeweglichkeit. Aber ich kann Bands nicht ausstehen, die zwischen jeder Nummer Pausen machen, sinnloses Zeug runterquatschen und damit so eine Showbusiness-Note reinbringen. Zumindest, wenn es konträr zu ihrer Musik läuft. Wir halten nicht sehr viel von Mitsingen und -klatschen. Ich würde uns eher als intensiv und nicht unbedingt als kalt bezeichnen.“