Silkwood


Wer war Karen Silkwood ? Die heilige Johanna der Anti-Nuklear-Bewegung, die aufgrund dunkler Machenschaften einen Märtyrer-Tod starb? Oder eine egozentrische Drogenabhängige, die am Steuer ihres Autos einschlief? Seitdem die 28jährige Amerikanerin am 13. November 1974 bei einem Autounfall ums Leben kam, haben sich drei Bücher, ein Fernsehspiel, verschiedene Gerichtshöfe und allen voran die US-Medien immer wieder mit ihrem Leben und Sterben beschäftigt. Jetzt hat der gebürtige Berliner und Hollywood Regisseur Mike Nichols („Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, „Die Reifeprüfung“) einen Film über den Fall „Silkwood“ in die Kinos gebracht. Einen Film, den man so

schnell nicht vergessen wird.

Karen Silkwood arbeitet in einem Provinznest in Oklahoma. Ihr Arbeitgeber ist Kerr McGhee. ein Energie-Konzern mit einem Milliarden-Dollar-Umsatz. Karen. Mutter von drei Kindern, die sie bei deren Vater in Texas zurückgelassen hat, ist eine von vielen, die Plutonium-Staub für Brennstäbe aufbereitet, die in „schnellen Brütern“ Verwendung finden. Eine neue Industrie, ein Millionen-Geschäft für die Firma.

Für die Arbeiter ein mäßig bezahlter Job wie viele andere. Karen hetzt morgens mit ihrem Freund ins Werk, drückt die Stechuhr, hat Krach mit dem schleimigen Chef, flirtet mit Kollegen. Während die Arbeiter mit den radioaktiven Materialien hantieren wie ein Bäcker mit seinen Brötchen, erzählen sie sich vom Ehestreit am Wochenende, von Fußball und von Geldsorgen. Der eine reißt einen schmutzigen Witz, der andere möchte eine Schicht tauschen. Nichols zeigt Menschen, die manchmal von einem besseren Leben träumen, aber Tag für Tag die Grenzen ihrer Möglichkeiten erfahren.

Dafür hat Nichols eine Starbesetzung versammelt, die bis in die kleinste Nebenrolle lebendige Personen mit liebens- und hassenswerten Schwächen porträtiert. Allen voran die zweifache Oscar-Preisträgerin Meryl Streep, „Klapperschlange“-Star Kurt Russell als ihr Freund – und die große Überraschung: Sängerin Cher als Streeps (lesbische) Arbeitskollegin, die sich in „Silkwood“ unwiderruflich in die Reihe der großen amerikanischen Schauspielerinnen vorkämpft.

Meryl Streep als Karen Silkwood, das ist ein aufgewecktes Mädchen aus der amerikanischen Unterschicht, die mehr will, als ihr die Umstände zugestehen. Eine Frau, die nervös Kette raucht und sich zugleich über Lungenkrebs-Gefahren durch Plutoniumstaub informiert. Eine Frau, die egoistisch ihren Weg geht und doch zugleich Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen will. Ein Mensch, der lange über viele Dinge nicht nachgedacht hat und doch plötzlich gesellschaftliche Zusammenhänge deutlicher sieht als andere.

Karen muß erleben, wie Kollegen plötzlich radioaktiv verseucht sind, wie sie selbst in einer alptraumartigen Szene einen Warnanzeiger auslöst.

Sie gewinnt den Verdacht, daß die Firma Röntgenaufnahmen schadhafter Brennelemente retuschieren läßt. (Kerr McGhee lieferte übrigens tatsächlich auch Brennstäbe für den Atom-Meiler in Harrisburg, der später traurige Berühmtheit erlangen sollte.) Karens Privatleben geht neben ihren neuen Aktivitäten zu Bruch. Sie verliert alte Freunde, die um ihren Job fürchten. Karen trinkt, schluckt Tabletten. Als sie zu einem Treffen mit einem Reporter der „New York Times“ fährt, um Beweismaterial gegen den Konzern vorzulegen, verunglückt sie auf einer Landstraße tödlich. Unterlagen, die gegen ihren Arbeitgeber sprechen, können nicht mehr gefunden werden…

Mike Nichols zeigt in den letzten Szenen seines aufregenden Films die immer größer werdenden Scheinwerfer eines zweiten Wagens, der Karen folgt. Das Licht von der Leinwand blendet das Publikum wie ein Atomblitz. Dann folgt ein sachlicher Nachspann, der den Unfall nach dem Polizeibericht zitiert. Mord oder Unfall“ Die Frage des Films reichte der „Frankfurter Allgemeinen“, um schon vor der Filmpremiere in Deutschland amerikanische Quellen zu zitieren, die von „Tatsachenverdrehung“ und „Perversion des Journalismus“ sprechen. Mike Nichols ist kein Journalist. Er ist ein Spielfilmregisseur, der einen selten ehrlichen und bisweilen atemberaubenden Film gedreht hat. Er geht‘ nicht wohlfeil mit einer Ideologie hausieren, er gibt keine simplen Antworten zu einem vielschichtigen Problem. Er stellt Fragen, die uns beunruhigen sollen. Vor allem aber hat er – nach achtjähriger Pause vom Kino – ein Comeback mit einem Film, wie man sich ihn oft wünscht, aber selten sieht.

Kinostart: 6. April