Sie leuchten wieder


Die Sterne sind wieder wichtig. Der Neubeginn hat die Hamburger Band komplett umgekrempelt. Nach dem Ausstieg von Frank Will schien alles zu zerbrechen - kein Keyboarder, der Plattenvertrag ausgelaufen, Angst vor dem Scheitern. Doch mit Richard von der Schulenberg wurde alles anders: Neuer Mann am E-Piano, neuer Produzent, neue Plattenfirma, neue Lust an der Musik - die Sterne haben drei Jahre nach ihrem letzten Album den Spaß wieder entdeckt. O Astrid Dobmeier

Zurück ins Jahr 1999: „Wo ist hier, die wohl schwierigste Platte der Sterne, erscheint- damals beim Major-Label Epic. 1998 waren Die Sterne noch im Auftrag des Goethe-Instituts in den USA, Kanada und Mexiko unterwegs. Erlebnisse, die die Band zusammenschweißen. Ende 1999 dann der große Bruch: Keyboarder Frank Will steigt aus. Seine Entscheidung ist nicht als „Sabbancal“, als Ausstieg auf Zeit mit Anspruch auf Wiederkehr, zu verstehen, sondern für immer. Schlecht das Timing: Frank Will offenbart seinen Plan kurz vor Beginn der Tour zu „Wo ist hier“ – Schock beim Rest der Band. Die Enttäuschung – oder ist es Ratlosigkeit? – ist den Sternen bei ihren Auftritten deutlich in die Gesichter geschrieben. Sie wirken ausgelaugt, nicht ganz bei der Sache, scheinen keine Lust mehr am Musikmachen zu verspüren. Ein Burn-Out-Syndrom? Zuerst das schwierige Album, okay, man war von den Sternen Experimentierphasen gewohnt, doch dann auch noch die schwachen Liveshows. Viele fragen sich schließlich: „Was ist los mit den Sfen?en?“Ihre Konzerte wirken gegen Ende wie ein Pflichtprogramm, das sie noch zu absolvieren haben, bevor…ja, bevor was eigentlich? Trennungsgerüchte sind die logische Schlussfolgerung. Eine schwierige Zeit für die Hamburger Band, die nach damals acht Jahren Existenz und fünf Alben intern zusammengewachsen war und nach außen als Einheit, als fester Bestandteil der deutschen Musikszene gesehen wird. Stets kreativ, auf der Suche nach neuen musikalischen Herausforderungen, immer der oktruierten Marke „Hamburger Schule“ trotzend. Frontmann Frank Spilker zum Ausstieg von Frank Will: „Wir drei anderen hatten die Band immer hauptberuflich verstanden, doch für Frank gab es noch wichtige Dinge nebenher. Er wollte sich für die eine oder die andere Karriere entscheiden nachdem unser Dealmit Epic am Auslaufen war, tat er es dann. Er macht jetzt Landschafts- und Gartenbautechnik.“ Spilker sagt das, ohne dabei gekränkt oder beleidigt zu wirken. Ein bisschen verlegen eher, er kuckt zu Boden, hätte lieber, sein Kumpel könnte seine Position selbst vertreten, will ihm nichts Falsches in den Mund legen.

Die Sterne sind eine durch und durch demokratische Band. Jeder soll seine Meinung äußern dürfen, die anderen müssen Meinungen gelten lassen – das Gruppenprinzip „Gleichberechtigung“ ist bei den Sternen einer der wichtigsten Punkte im Band-Regelwerk. Doch als Frontmann Frank, dessen Augen nicht mehr so müde wirken wie noch vor zwei Jahren, den Satz zu Ende spricht, atmet er tief durch, ein wenig so, als wolle er mitteilen: „Aber es war gut so.“ Und tatsächlich fügt er an: „Dieganze Atmosphäre in der Band bei der letzten Tour war extrem angespannt. Irgendwie hatten wir alle das Gefühl, dass das ein schlechter Zeitpunkt ist. „Ein schlechter Zeitpunkt, so einfach mir nichts, dir nichts abzuhauen, mit der Band „Schluss zu machen“? „Ich meine, bei der ,Wo ist hier‘-Tour war die Stimmung in der Band einfach scheiße, man hat das dann nur noch so professionell durchgezogen wir haben wirklich überlegt, den letzten Teilder Tourabzusagen.“

Über eine Trennung hatten Die Sterne allerdings nie ernsthaft nachgedacht. Viel eher haben sie nach diesem Cut, nach dem Ende einer Ära, die von der Formation Frank Spilker (Gitarre, Gesang), Thomas Wenzel (Bass), Christoph Leich (Schlagzeug) und eben Frank Will (Keyboard) geprägt wurde, einen neuen Weg gesucht. Eine neue Richtung, in die die Sterne gehen konnten – auch ohne ihren ehemaligen E-Piano-Spieler. Sie hatten alle Möglichkeiten offen, der Vertrag mit ihrer Plattenfirma Epic lief aus, eine weitere Option „hielt die neue A&R-Abteilung nicht für möglich“ (Spilker). Zurückspulen, back to den Anfängen, völliger Neubeginn für eine Band, die ihren etablierten Status zwischen Blumfeld und Tocotronic mit einem Mal neu definieren musste. Doch die Tatsache, dass die Sterne plötzlich ohne Plattenvertrag dastanden, veränderte auch ihren ->

kreativen Output. Plötzlich arbeiteten sie ohne zeitlichen Druck, ohne die Ermahnungen der Industrie. Doch noch waren Die Sterne nicht „Die Sterne“ in ihrer gewohnten musikalischen Besetzung. Mit Frank Will fehlte nicht nur ein langjähriges Mitglied, sondern auch die für die Sterne so wichtig gewordenen Keyboard-Sounds. Wer könnte diese Rolle übernehmen, dieses Loch, das nun mit dem Weggang von Will entstand, stopfen? Ein Zufall führt Richard von der Schulenberg zu den Sternen. Im Juni 1999 ist Thomas Wenzel bei einem der Konzerte von Top Banana Trio, der damaligen Band Schulenbergs, im Publikum. Richard von der Schulenberg: „Wir lernten uns kennen, und bei einer Benefizveranstaltung hatten wir sogar über einen Support des Top Banana Triosfiir Die Sterne diskutiert. Das kam aber nicht zustande. Später hatte sich dasTop Banana Trio aufgelöst, Frank stieg bei den Sternen aus – undThomas hat mich dann eben gefragt, ob ich einsteigen möchte. Das kamgenau zum richtigen Zeitpunkt.“

Eine Herausforderung für den jungen von der Schulenberg, der mit seinen 27 Jahren knapp zehn Jahre jünger ist als der Bandälteste der Sterne. Richard:

„Dieses Angebot kam für mich völlig überraschend. Erst konnte ich nicht schlafen, war aufgeregt, aber auch unheimlich neugierig. Das Kennenlernen und die Neugier standen erst mal im Vordergrund, nicht so die Zweifel. Ich war ja immer Sterne-Fan.“ Seine Lieblingsplatte ist auch die vieler anderer Sterne-Anhänger: „Posen“ – die hörte Richard einen ganzen Sommer lang. Also – Richard, der Retter der Sterne?

Frank: „Na ich weiß schon, was sich als Überschrift für den Artikel anbietet: Richard, der Retter. Aber im Prinzip stimmt es irgendwo auch. Mit Richard haben wir einen neuen Weg gefunden. Wir haben uns viel Zeit genommen, erst mal gekuckt, ob die Chemie stimmt, und wollten einige Konzerte spielen und erst danach weitersehen.“

Die Chemie stimmte von Anfang an.

Richard von der Schulenberg hat den Sternen wieder Freude am Spielen gegeben, durch seine optimistische, unverbraucht wirkende Art haben sich positive Vibes in die angeschlagene Stimmung der Band eingeschlichen. Wenn Schulenberg über Musik redet, tut er das euphorisch, mit leuchtenden Augen und immermit einer großen Bewunderung für das Schaffen der Sterne. Vom Fan zum Bandmitglied. Dennoch möchte er seine Eigenständigkeit bewahren. Beim Top Banana Trio war Schulenberg Songschreiber und Texter, bei den Sternen fungiert er nun „nur“ als ein Viertel der Band. Richard: „Die Songs, die ich bei Top Banana Trio gesungen habe, die gibt es nach wie vor, ich möchte das Ganze solo nebenher aufrechterhalten. Andererseitsfinde ich es total wichtig, in einer Band zu spielen. Das schockt live viel mehr als solo. Alleine muss ich mehr als Entertainer fungieren, in der Band konzentriere ich mich aufs Spielen.“ Richards Soloqualitäten empfindet Frank Spilker als sehr angenehm, vor allem die Tatsache, dass Richard „bereits eine eigene Bühnenpersönlichkeit entwickelt hat“. Bei Auftritten ist der junge Neue hinterm Keyboard bereits ein wichtiger Sympathiefaktor. Ein Jahr lang haben Die Sterne alleine mit Proben zugebracht – sie wollten auch wirklich sichergehen, dass Die Sterne mit Richard funktionieren und Richard mit den Sternen kann. Man kann. Frank: „Es war für uns wichtig, seinen Einßuss zuzulassen, zu sehen: Hey, was magst dufür Musik und wie finden wireinen neuen Konsens.“

Jahreswechsel 2000/2001 : Das neue Band mitglied ist integriert, Die Sterne arbeiten an neuen Songs. Doch einen Plattenvertrag haben sie bis dato nicht. Ein ungewöhnlicher Zustand für eine der renommiertesten deutschen Bands der 90er Jahre. „Irres Licht“ produzieren Die Sterne schließlich ohne richtigen Vertrag und treten erst dann mit ihrem Demo an Firmen heran, die Münchner Virgin bekommt später den Zuschlag. Frank: „Wir wussten, dass die Songs gut werden. VAgeD’Or hat die Funktion als unser Verlag übernommen, und damit hatten wir sie auf jeden Fall im Rücken, wussten, dass sie die Kosten tragen würden.“

Auch bei der Wahl des Produzenten Olaf Opal (unter anderem The Notwist, Miles und Liquido) lassen sich Die Sterne nicht von alten Mustern leiten. Frank: „Dadurch, dass wir ein neues Bandmitglied hatten, sollte alles gleichwertig sein. Wir wollten uns nicht in die Situation begeben, in der wir vorher waren da wären dann drei alte Hasen mit einem neuen Mitglied zu einem alten Muster zurückgekehrt. Das war psychologisch für die Band wichtig. Obwohl Olaf Opal nicht so zu unserer Szene oder unserem Bekanntenkreis gehört, hatten wir ihn neben Tobias Levin (Kante, Surrogat; Anm. d. Red.) sofort in der engen Auswahl.“ Wenn Frank, „der Alte“, und Richard, „der Neue“ über ihren gemeinsamen Neustart reden, schwingt dabei immer eine beinahe kindliche Begeisterung in ihrer Stimme mit. Das klingt dann so, als würde man über den Anfang einer neuen Beziehung reden. Euphorisiert von den Ideen des anderen, willig, vom anderen zu lernen, die neuen Seiten eines fremden Wesens kennen zu lernen, um sich später als „neue Einheit“zu definieren. Zu einer Neudefinition gehört für Die Sterne auch das Scheitern. Auf der Suche nach neuen Songs landete eine Menge Material auf dem Müll. Richard: „Ich finde es wichtig, Müll zu produzieren. Man muss einfach aussortieren, damit etwas richtig Gutes übrig bleibt. Wenn man nur Stücke schreibt und produziert und nicht mehr auswählen kann, dann ist das nicht gut.“ Frank führt Richards Gedanken weiter: „Wenn man ’nen Stock im Arsch hat, halt. Wenn man nur das rauslässt, was ganzklar nicht schief gehen kann, das ist nicht gut. Da finde ich es schon besser, mal was auszuprobieren, mit dem man auch auf die Nase fallen kann.“

2002, neue Songs und neue Platte: „Irres Licht“ bewegt sich musikalisch auf einer Pop-Ebene, die osich zwischen unterhaltsamer Tanzmusik und ernsthaften Inhalten befindet. Textlich beherrschen Die Sterne noch immer die Kunst der Lücke, Sterne-Texte lassen stets interpretatorischen Spielraum. Bestes Beispiel: „Du hast die Welt in deiner Hand“. Diesen Song könnte man gut und gerne als Globalisierungskritik interpretieren. Frank: „Das ist schon der Anti-Globalisierungsschlager in meinem Kopf, aber natürlich auch immer mit einer anderen möglichen Interpretation. Es geht mir beim Schreiben darum, etwas auf das Wesentliche zu reduzieren. Ich möchte nicht die Globalisierung einfach nur anprangern, sondern vielmehr damit in Frage stellen, warum man protestiert. Ich möchte anregen, darüber nachzudenken, dass sich innerhalb des Globalisierungsprozesses nicht nur Firmen zusammenschließen, sondern dass auch Werte und Grundsätze überall gleich gelten müssen, damit das möglich ist. Ich würde mich auch ganz deutlich von einer Agitprop-Position abgrenzen. Wenn es auf eine Art cool ist, ist es gut. Aber bitte nicht so nach dem Motto .Wir sind Marxisten und essen kein Fleisch‘.“

Das Album Schließt mit einem sehr melancholischen Song: „Alles vergeht“. Inwiefern verändert das Älterwerden das Pop-Denken der Sterne? Pop hat ja immer etwas mit Vergänglichkeit zu tun, mit dem Ausdruck von kurzen, schnellen und schönen Momenten. Diese Frage der Interviewerin mündet wie so oft bei diesem Gespräch in einen angeregten Dialog zwischen Mastermind Frank Spilker und Richard, dem Neuen, dem Adligen, der „überfünf Ecken “ mit Viktor von Bülow alias Loriot verwandt ist. Ein Dialog zwischen zwei Musikern, die die Position des anderen respektieren und Spaß dabei haben, „miteinander“ zu sein. Frank: „Bei,Alles vergeht’geht es nicht nur darum, dass alles vergeht, woran man hängt, sondern eben auch darum, dass das, was man hasst, vergeht.Alles, wasstarkist, vergeht.“ Richard: „Das ist so wie mit allen melancholischen Stücken, die immer irgendwie auf ihre Art ein Stück Hoffnung in sich bergen.“ Trank: „Ein zutiefst christlicher Gedanke, eigentlich. Das hast du schön gesagt. „Richard: (lacht) „Du bist doch Atheist /’Frank: „Trotzdem schön.“ www.diesterne.com