Sensibel bis zum Ohrensausen


In England sind sie everybodys Darling. Und auch hierzulande wächst das Interesse. Machen Senser wirklich Sinn?

Die englische Pop-Presse hat wieder mal ein neues Lieblingskind – und das ausnahmsweise schon seit Monaten. Sein Name: Senser, eine junge Crossover-Kapelle aus Wimbledon. Aus jenem Teil Londons also, den man gemeinhin eher mit Tennis als mit Rock’n’Roll verbindet. Dennoch: Senser besitzen einen ausgeprägten Sinn für rauhe Rhythmen. Ihre ersten beiden Singles, „Eject“ und „The Key“, stürmten in Windeseile die britischen Independent-Charts. Was den „Melody Maker“ veranlaßte, über „Großbritanniens wichtigste Band“ ausführlich zu berichten. Und auch die anderen Musikblätter im Vereinigten Königreich geizten nicht mit wohlmeinenden Worten. Bleibt die Frage, was nun wirklich dran ist an dieser Band, die in Britannien mit Hilfe der Presse zu everybodys darling avancierte und angeblich Promis wie die Red Hot Chili Peppers, Ministry und Rage Against The Machine in den Schatten stellen soll. Sensers gelungene Mixtur aus HipHop, Psychedelic Rock, Metal-Breitseiten, Techno-Tönen , Dub-Rhythmen und flirrenden Space-Sounds verrät das eingehende Studium alter Aufnahmen von Can und Hawkwind – was die englische

Szene schon lange vor Erscheinen der Debüt-CD „Stacked Up“ zu schätzen wußte. Bei fast 200 Konzerten in einem Jahr durften Senser sich oft über volle Häuser freuen.

Kein Wunder, denn auf der Bühne gleicht die Band einem mittleren Erdbeben. Gitarrist Nick Michaelson, Bassist James Barrett, Drummer Johnny Morgan und ihre vier Mitstreiter stehen für einen Sound, der auch Verzagte auf die Beine bringt. So rappt Frontmann Heitham Al-Sayed in einer Art und Weise, die selbst seinen amerikanischen Kollegen einigen Respekt abnötigen würde. Während Al-Sayed so grimmig wirkt wie ein US-Sergeant beim Drill, sorgt Sängerin Kerstin Haigh mit ihrer sphärischen Vokalakrobatik für das nötige Kontrastprogramm. „Auf der Bühne fühlen wir uns alle am wohlsten“, erklärt Texter Heitham Al-Sayed. „Live geben wir wirklich alles. Daß wir gerade auf der Bühne so gut sind, liegt wohl daran, daß wir unsere Songs in allererster Linie für den Konzertsaal schreiben.“

Die Geschichte von Senser begann Ende der 80er Jahre mit der Thrash-Metal-Band von Gitarrist Nick Michaelson und Bassist James Barrett. Als Sängerin Kerstin Haigh zu ihnen stieß, ergänzte sie den ohrenbetäubenden Sound der beiden um ihren glockenhellen Gesang und – für das derbe Metal-Genre eher ungewöhnlich – verführerische Flötentöne. Saudi Heitham Al-Sayed, seit Jahren in der Londoner Rave-Szene zu Hause, sorgte schließlich für eine Hinwendung zum HipHop und damit auch zum Dancefloor.

„Senser besteht aus höchst unterschiedlichen Charakteren mit diversen musikalischen Vorlieben“, betont Heitham. „Das macht Entscheidungsprozesse nicht eben einfach. Aber bei zahllosen Proben und Konzerten haben wir uns aufeinander eingestellt. Ich bin für die Texte verantwortlich, Johnny spielt einen Beat, und die anderen jammen dazu – und zwar so lange, bis etwas dabei herauskommt.“

Daß sogar sensationell viel dabei herauskommt, meint zumindest die britische Musikpresse. Doch Lobeshymnen lassen Heitham eher kalt: „Diese Geschichten berühren mich nur am Rande. Musik machen wir zuallererst für uns selbst. Wenn die Presse uns eines Tages fallenläßt, müssen wir auch ohne sie leben. Die machen ja auch nur ihren Job. In der einen Woche jubeln sie dich hoch und in der nächsten machen sie dich vielleicht schon wieder fertig.“

Zu den Medien, speziell zu den elektronischen, hat Heitham ohnehin ein eher distanziertes Verhältnis. „Das Fernsehen hat früher einen viel zu großen Teil meines Lebens eingenommen. Das war dumm, die reinste Zeitverschwendung. Es ist besser, selbst kreativ zu werden, anstatt anderen Leuten dabei unbeteiligt über die Schulter zu schauen. „

In Songs wie „Age Of Panic“ und „Eject“ entwirft Heitham erschreckende Bilder einer High-Tech-Zivilisation, die das einzelne Individuum völlig isoliert und ebenso rast- wie ratlos zurückläßt. Doch sind es gerade diese düsteren Visionen, die den sensitiven Frontmann von Senser animieren und zu abgedrehten Höhenflügen anspornen.