„Searching“-Kritik: So schlimm und so schön ist das Internetzeitalter


Dieser Thriller löst hoffentlich einen Trend aus: Nur via Smartphone und PC-Desktop erzählt „Seaching“ die emotionale Suche nach einem verschwundenen Mädchen.

Man kann von Glück reden, dass Timur Bekmambetovs sündhaft teurer und völlig unerwünschtes Remake von „Ben Hur“ 2016 gefloppt ist. So schnell gibt dem Russen, der einige Zeit nach „Wächter der Nacht“ als Eintagsfliege verschrien wurde, niemand mehr über 100 Millionen Dollar für einen aufgedunsenen Actioner in die Hand. Bekmambetovs sah sich zur Umorientierung gezwungen und macht sich nun daran, ein fast komplett neues Genre zu etablieren: Geschichten, die nur via Computerbildschirm und mit den Mitteln der modernen Kommunikation erzählt werden.

Bei der Berlinale im Februar 2018 gewann „Profile“ den Publikumspreis. Bekmambetov erzählte darin die Geschichte einer Journalistin nach, die über Skype und Facebook herausfinden wollte, wie der selbsterklärte Islamische Staat junge Frauen rekrutiert. Nun folgt mit „Searching“ der nächste Eintrag in dieses neue Genre. Bekmambetov arbeitet hier allerdings nur im Hintergrund als (auch ausführender) Produzent, übergibt die Regie an den Newcomer Aneesh Chaganty, der nun die spannende Geschichte von David Kim (John Cho) und Margot (Michelle La) erzählt.

Die Handlung von „Searching“

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David ist ein besorgter Vater, seit dem Tod seiner Frau ist er allein für Tochter Margot zuständig. Sie geht jeden Tag zum Klavierunterricht, hat in der Schule eine gesunde Anzahl an Freunden und lernt fleißig in der entsprechenden Gruppe nach dem Unterricht. Doch als Margot plötzlich nicht mehr auf seine SMS antwortet und nicht mehr nach Hause kommt, merkt David, dass nichts von alldem stimmt. Er verständigt die Polizei und meldet seine Tochter als vermisst.

David ist ein Helikopter-Elter, dazu noch ein Nerd, der alle Funktionen seiner Apple-Geräte und der sozialen Netzwerke beherrscht. Er wird zum Ein-Mann-Nachrichtendienst, sobald ihn eine Polizistin am Telefon um Hilfe bei den Ermittlungen bittet. David geht Margots Facebook-Freunde durch, sucht nach Hinweisen auf ihr Verschwinden in ihren E-Mails und ist entsetzt, als er merkt, dass das Geld für den Klavierunterricht schon seit Monaten an eine Person überwiesen wird, von der er noch nie gehört hat.

Auch wenn es hier so aussieht, als würde „Searching“ auch außerhalb des Computerbildschirms spielen: David sieht sich selbst in den News auf seinem Rechner.

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Die Schnitzeljagd ist nicht nur aufgrund der verzwickten Thriller-Struktur spannend, sondern immer dann erschreckend, wenn David merkt, wie wenig er seine Tochter eigentlich kennt. Plötzlich taucht ein gefälschter Ausweis auf, plötzlich merkt er, dass sie stundenlang mit sinistren Gestalten schreibt und auch verdächtige Nachrichten mit Davids Bruder ausgetauscht hat. Geheimnis um Geheimnis wird hier dank iPhone und YouNow aufgedeckt, irgendwann überschlagen sich Twists fast im Minutentakt.

Die Detailarbeit in „Searching“ ist faszinierend, etliche Mails und Kalendereinträge, selbst wenn sie nur kurz im Hintergrund aufblitzen, skizzieren das Leben der Familie Kim. Kälte strahlt der Film trotz fehlender Interaktion von Schauspielern trotzdem nicht aus. Wenn in der allerersten Szene des Films die berühmte Wiese aus Windows XP über den Bildschirm kommt, füllt sich der Kinosaal mit wohliger Nostalgie, die gleich darauf purer Trauer weicht: Dann zeigt Regisseur Aneesh Chaganty anhand von Video-Tagebüchern, Fotos und Kalendereinträgen mehr als ein Jahrzehnt im Leben der Familie Kim. Der Prolog gipfelt mit dem Tod der Mutter, der Kalendereintrag „Mum kommt aus dem Krankenhaus zurück“ wird erst mehrfach verschoben und landet schlussendlich im Papierkorb.

Die Ära Social-Media

„Searching“ hat mehrfach Momente, in denen ganz große Emotionen aus Hashtags, einer unbeantworteten Nachricht oder der Live-Schalte einer Kondolenz-Website herausgearbeitet werden. Dieser fängt die Essenz der Ära Social-Media ein, zeigt wie grausam die Netzwerke mitsamt der direkten Kommunikation sein können. Aber auch, wie nützlich sie am Ende doch sind.

Der von den großen Studios aktuell nicht mehr gebrauchte, ehemalige Hoffnungsträger für Blockbusterkino Bekmambetov bleibt hoffentlich dabei, sein mittlerweile auch von ihm definiertes Genre weiter nach vorn zu treiben. Geniestreiche wie „Searching“ könnten nämlich endlich einen Trend in der Filmwelt auslösen, der in die Gegenwart und nicht in Form von Fortsetzungen und Remakes immerzu nach hinten blickt.

„Seaching“ startet am 20. September in den deutschen Kinos. 

Sony