Screaming Blue Messiahs – Grimmig, störrisch, ohne Hoffnung


Bill Carter hat sie alle satt: die Tourneen, die Plattenfirmen, die Kompromisse, die Interviews. Widerwillig erklärte er Sylvie Simmons, warum er trotz klatschender Kritiker nicht so recht glücklich werden kann.

Bill Carter legt die Hände hinter den kahlen Kopf und versucht, die Kopfhaut über die Stirn zu schieben. Es scheint, als habe er just in diesem Moment die hoffnungslose Lage heutiger Künstler entdeckt: gezwungen zu sein, Individualität und Kreativität ständig in Schubladen pressen zu müssen, obwohl sich Kreativität und Schubladen selten vertragen. Grimmig sieht Carter mich über den Schreibtisch seiner Londoner Plattenfirma hinweg an. Gott allein weiß, warum er überhaupt hier ist; ich jedenfalls bin hier wegen BIKINI RED, dem zweiten und sensationell guten Album der Screaming Blue Messiahs (ihre erste EP von 1985 nicht mitgerechnet).

BIKINI RED ist ein musikalisches Trümmerfeld, entstanden aus dem Zusammenprall unterschiedlichster Stile und Ideen: Polka, Walzer, Hillybilly und Mutationen der Beach Boys und der Cramps, von Eddie Cochran und Captain Beefheart. Besonders von Beefheart. Eine Platte, die ganz anders ist als ihre intensiven, ja brutalen Live-Auftritte. Eine Platte, die ich über alles liebe.

„Ich nicht“, knurrt Carter. Nach einigen Minuten der Stille fügt er hinzu: „Als wir die Platte machten, schien alles okay. Aber… aber es gibt nun mal keine ideale Situation.“ Er lacht verzweifelt. „Ich rede schon wie Montgommery“ – der Feldmarschall und Besieger Rommels im 2. Weltkrieg, der in einer Fernsehsendung am Vorabend als abgefuckter Miesmacher dargestellt wurde.

„In Bands ist das genauso: Die meisten Menschen, die große Taten vollbringen wollen, haben irgendwelche Macken. Denn wenn du glücklich bist, brauchst du eigentlich nichts zu beweisen.“

Was ihn zur Musik gebracht hat, war „das gleiche, das jeden zur Musik bringt“. Eine lange Pause. „Es hat lange, viel länger als erwartet gedauert, bis ich darin einigermaßen kompetent wurde. Es ist, als sähest du die Tür zu einer anderen Well und siehst, daß es möglich ist, nicht nur zu existieren, sondern kreativ zu leben. Jeder hat Talent, jeder von uns, aber die meisten finden nicht das richtige Ventil. Der Vorteil an der Musik ist. daß sie ein faires Geschäft ist. Wenn’s klappt, klappt’s. Nichts kann dich aufhalten, kein Klassensysiem, keine Vorurteile, nichts! Und es muß auch einen Weggeben, seine Identität zu bewahren, selbst wenn man in diesem Geschäft schnell Gefahr läuft, eine Karikatur seiner selbst zu werden.“

Wenn du formbar genug bist, paßt du dich den Schubladen an, in die man dich steckt?

„Es ist wie wenn du deine Stimme von einem Cassettenrecorder hörst“, meint Carter: „Du magst sie nicht.“

Und was magst du nicht an dem neuen Album? “ Wir haben es gemacht, weil wir zuviel getourt hatten“ (er haßt Tourneen, aber macht sie trotzdem, genauso wie Interviews) „und ich hatte es satt, mich ständig zu wiederholen. Ich wollte nicht mehr auf die Bühne gehen, um mir die Seele aus dem Leib zu schreien. Du fängst etwas an, was sich zum Alptraum entwickelt.

Er sagt, er hasse Plattenfirmen, ihre Lahmheit, ihre Unbeweglichkeit, fügt aber hinzu, er schreibe nur Stücke, wenn er von der Plattenfirma einen Tritt in den Arsch bekommt. Er denkt, wenn man jeden Abend auftritt, „wird die Musik bedeutungsloser“, obwohl er „die alten Blues-Freaks, die ihr Leben lang spielen“ bewundert. Amerika mag er nicht, „es saugt dich auf, die Kultur dort ist unglaublich vereinnahmend: Wenn du sie nicht annimmst, bist du draußen. Diese Art Stärke macht mir Angst.“ Und trotzdem geht er wieder dorthin zurück. „Manchmal gefällt es mir ja. Amerika ist ein guter Ort, um Material zu sammeln. „

Die Screaming Blue Messiahs sind Carters zweite Band (die erste, Motorboys Motor, kam über einen Kultstatus nie hinaus). „Im Grunde ist die ganze Sache eine Frage von Besessenheit. Es ist schwer, das zu erklären.“ Er reibt sich seine Glatze, als wolle er sich selbst wegradieren.

„Du stellst dir oft die Frage: Warum nicht einfach wieder in Clubs spielen? Oder auf der Straße? Einfach spielen, wozu du Lust hast? Und das“, Carter lacht mißmutig, „ist eine verdammt gute Frage.“