Schorsch Kamerun


Mit dem Haustermin bei ihm in Hamburg hat es dann leider doch nicht geklappt. Stattdessen sitzt Schorsch Kamerun hinter den Kulissen des Theaters in Oberhausen, wo er gerade die Bürgeroper „Alle im Wunderland“ inszeniert, und lädt sich die Bild-Dateien, die wir ihm schicken, auf einen der Theater-PCs herunter …

1 Morphsuit

Längst sind diese Anzüge aus Japan in deutschen Fußgängerzonen und Fußballstadien angekommen. Auch Kamerun hat mit ihnen gearbeitet.

Sie begegnen einem ja vor allem als Marketing-Instrument. In München hat mich so ein schwarzer Schatten einmal fast umgerannt. Auf dem Rücken: ein Markenname. Ich habe mich viel mit solchen Promotion-Strategien auseinandergesetzt. Du wirst unfreiwilliger Teil eines Guerilla-Moments, der zugehörige Film landet im Netz, am Ende wird die Marke eingeblendet. Wir haben solche Auftritte im Theater umkopiert und Teile davon ins Video für meine neue Platte eingebaut.

2 Christoph Schlingensief

Der Regisseur, Autor und Aktionskünstler starb im August 2010 mit gerade einmal 49 Jahren. Kamerun kannte ihn gut und arbeitete auch häufig mit Schlingensief zusammen.

Ich vermisse ihn wirklich sehr – trotz aller nervigen Schwächen und Ungerechtigkeiten, die er in sich trug. Ich hatte damals einen Nachruf geschrieben, allerdings erst später, weil mir diese Öffentlichkeit, die auch rund um seinen Tod herrschte, zu groß wurde. Dabei fand ich es meist gelungen, wie er sich selbst ständig über-thematisierte, seinen ganzen privaten Wahnsinn veröffentlichte, als hakenschlagender Medienkünstler. Nur sein schreckliches Sterben hätte ich ihm intimer gewünscht. Die Trauerfeier war allerdings tröstlich. Helge Schneider spielte Kirchenorgel, und das so aberwitzig krank und extra schlecht, dass einen das irgendwie befreite.

3 Floating-Tank

Für „Stressmanagement“-Therapien wird das Floating seit den Siebzigern kommerziell angeboten. Schon John Lennon schwebte gerne im Tank.

Das passt extrem gut zu meiner Platte und zu der Superambivalenz, in der wir leben: Die Menschen suchen nach kleinen Auflade-Inseln, um dann fröhlich wiederbelebt weitermachen zu können bei der Vermarktung ihres Selbst. Auf der anderen Seite: So viel ich über solche Dinge auch reflektiere, Theater und Texte darüber mache, so bin ich doch auch selbst immer „zu schnell“ im eigenen Loop. Tja, das ist eben Adorno: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen.“

4 Nationaltheater München

Im Jahr 2009 inszenierte Schorsch Kamerun an der Bayerischen Staatsoper Leonard Bernsteins Oper „Trouble in Tahiti“, unter der musikalischen Leitung des Top-Dirigenten Kent Nagano.

Ein gewisser Respekt bei so was ist normal, glaube ich. Andererseits: Diese Räume gehören uns allen – und wir sollten sie benutzen dürfen. Auf dieses Archaische des Operngesangs, diese brüllenden Bodys, aus welchen Tiefen das kommt und wie einen das „abholen“ kann, darauf war ich nicht vorbereitet. Zudem bin ich noch nie zuvor einem so musischen Menschen begegnet wie Kent Nagano.

5 Utopia

Auf der Insel, die Thomas Morus 1516 in seinem Roman „Utopia“ beschrieb, lebt die „ideale“ Gesellschaft.

Mit dem Begriff der Utopie habe ich mich immer wieder beschäftigt. Auch politisch interessiert er mich, als in den 80er-Jahren politisierter Mensch, einer Zeit, die uns durchaus „vor-revolutionär“ erschien. Doch was ist übrig geblieben davon, was könnte heute eine entsprechende Utopie sein? Bei einem meiner Stücke kam eine Dame auf mich zu: „Hey, Schorsch, ist doch super, was wir gerade machen. Wir reden darüber und sind ganz viele. Vielleicht ist ja dieses Physische, Gemeinsame schon etwas Utopisches!?“ Ein Teil dessen, was der Mensch da auf dem Tahrir-Platz in Ägypten und bei den Protesten in Spanien, Tel-Aviv oder in der Occupy-Bewegung sucht, selbst bei den „Wutbürgern“, kommt sicherlich aus diesem kollektiven Reflex: Wenn der Mensch weiterkommen will, muss er sich begegnen.

6 HB-Männchen

Es tobte bis 1984 durchs Werbefernsehen, regte sich über Kleinigkeiten auf und kam erst dank Zigarette wieder runter. Schorsch Kamerun regt sich ebenso in seinen Rollen und Texten oft auf – allerdings unter ganz anderen Vorzeichen …

Auch beim HB-Männchen ging es um Entschleunigung, nur anders gemeint – dass man zwar schon auch mal ein Päus-chen braucht, allerdings eher von so Missgeschicken, wie wenn du dir mit dem Hammer auf den Finger haust. Heute wäre die Botschaft eben eine ganz andere: Eigentlich läuft alles super, du verwirklichst dich ganz wunderbar und bist trotzdem kurz vorm Platzen. Es ist gar nicht mehr der Fehler, das Defizit, gemeint, sondern das Überfunktionieren, das uns ausbrennt. Heute bedeutet Selbstverwirklichung Stress.

7 Timmendorfer Strand

In dieser Tourismus-Besatzungszone ist Schorsch Kamerun aufgewachsen.

Ich fahr immer wieder hin, obwohl ich diesen neureich-plumpen Ort oft zum Kotzen finde. Es gibt aber auch schöne Erinnerungen wie Schlauchboote versenken oder Quallentouristenfallen. Mit Heimatliebe hat das nichts zu tun, eher mit Freunden, Erlebnissen, und ja, vielleicht steckt dahinter auch irgendwas „Tribe-Mäßiges“.

8 Gangnam Style

Der Welthit des südkoreanischen Rappers Psy kriegt auch einen „Ex-Punk“ und „Theater-Revolutionär“ wie Schorsch Kamerun herum.

Ich kann Trash gut finden. Und hier ist ja auch die Basis des Textes super: Das ist ultraerfolgreiche Gentrifizierungs-Kritik, eine Beschreibung des poshen Gangnam-Viertels in Seoul. Manchmal steckt bei vordergründig-grellen Machwerken doch ein kluger Gedanke dahinter. Hier darf man ungeniert mitgaloppieren. Oliver Götz

Schorsch Kamerun, Jahrgang 1963, wächst unter dem Namen Thomas Sehl an der Ostsee auf. Brennt nach Hamburg durch. Wird Sänger der Funpunk-, dann Punk-, dann Experimental-Gruppe Die Goldenen Zitronen. Arbeitet auch als Regisseur und Autor für Theater, Rundfunk und mehr im gesamten deutschsprachigen Raum. Sein neues Soloalbum trägt den Titel Der Mensch lässt nach.