Schöne Söhne
Kein Song für den Boxer Klitschko, aber ein ganzes, großes, fettes Album für Mutter. Rammstein, die musikalischen Feuerwerker aus dem Osten der Republik, melden sich zurück.
Es ist eine Erfahrung, die jeder einmal gemacht haben sollte. Denn: „Niemand sieht je wieder so gut aus wie in dem Moment, in dem er verhaftet wird. Diese Mischung aus Angst, Aufregung, Stolz und schlechtem Gewissen verleiht dem Gesicht einen besonderen Glanz.“ Meint zumindest der Tfash-Movie-Regisseur John Waters, der wahre König des schlechten Geschmacks. Wie sein Gesicht im Augenblick seiner Verhaftung ausgesehen hat, weiß Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz indes nicht mehr zu sagen. Immerhin habe man ihm gleich die Brille von der Nase genommen, so dass er den Aufenthalt in einer amerikanischen Gefängniszelle zumindest optisch nur noch sehr schemenhaft in Erinnerung hat. Und außerdem: „Ich hätte da gut drauf verzichten können“, meint er. „Ich saß da und hatte einfach nur eine Scheißangst. Mit mir in der Zelle waren diese riesigen schwarzen Typen, die ich ja noch nicht einmal richtig erkennen konnte. Ich merkte nur, dass die ganz schön finster drauf waren. Dazu war es saukalt, weil die Klimaanlage so kühl eingestellt war. Ich habe die ganze Nacht gefroren, denn Decken gab es keine. Und das war noch Glück. Eine Decke zu bekommen bedeutete nämlich, mindestens drei Tage, oder sogar noch länger zu bleiben.‘ Statt dessen wurden Flake und Sänger Till Lindemann, der die Nacht in einer anderen Zelle verbracht hatte, am nächsten Morgen auf freien Fuß gesetzt und konnten ihren Trip zwar leicht übermüdet, aber ansonsten unbeschadet fortsetzen.
Was war geschehen? Bei ihrer US-Tour 1999 hatten Rammstein es mal wieder ordentlich krachen lassen. Und da sich, das weiß nicht nur lohn Waters, über Geschmack bekanntlich besonders gut streiten lässt, fühlten sich zumindest die Behörden von Worcester, Massachusetts auf den Plan gerufen, als Lindemann (mit umgeschnalltem Plastik-Phallus) und Flake ihre Nummer bei „Bück Dich“ durchzogen. Eigentlich ein fester Bestandteil der Show – für die amerikanischen Ordnungshüter jedoch zuviel des Guten. Laszives Stage Acting lautete der Vorwurf, und die beiden wurden direkt von der Bühne festgenommen und für eine Nacht hinter Gitter gesteckt. Bei dem Gedanken daran windet Flake sich unbehaglich in den dicken Polstern des Hotelsofas. Reden wir über was anderes: Deutschlands erfolgreichste Rockband hat ein neues Album.
„Mutter“ heißt es, von Sentimentalität jedoch keine Spur. Gitarrist Paul Landers: „Es hatte ja so bedeutsam geheißen, Mutter‘ sei ein Song, den Richard (Songwriter und Gitarrist -Anm.
d. Red.) schon lange vor der Gründung von Rammstein geschrieben habe. Und Familienbande
das stimmt zwar für das Gitarrenriff, mehr aber nicht. Der Text stammt außerdem von Till, und der hat ihn erst neu dazu geschrieben.“ Wie dem auch sei, „Mutter“ ist das Album, mit dem Rammstein in jeder Hinsicht noch einen Schritt weiter gegangen sind. Das betrifft vor allem den Gesang Lindemanns, der erstmals auf sein spektakuläres rollendes „R“ verzichtet und sich statt dessen auch mal zarteren Tönen hingegeben hat. Auch musikalisch gibt es einige neue Elemente, wobei die Band jedoch nicht den Fehler begangen hat, die eigene Identität aufs Spiel zu setzen. Auf „Mutter“ gibt es vor allem das zu hören, was Rammstein am besten können: eine bombastische Mischung aus messerscharfen Riffs, monolithischen Songstrukturen, Gänsehaut-Schauer-Romantik und derben Knüppel-aus-dem-Sack- Fantasien.
Aufgenommen wurde das Album einmal mehr mit Produzent lacob Hellner (u.a. Clawfinger) nahe der kleinen Stadt Brignoles im Südosten Frankreichs. „Für die Schnulze ‚Mutter‘ haben wir ein bisschen Schmalz ausgerollt“, witzelt Paul. Und mag Flake sich auch noch so über die Geigen im Intro beschweren („Irgendwann fängt jede Rockband einmal mit so einem Mist an. Ich hatte immer gehofft, wir bleiben davon verschont.“) – was sich da so flapsig anhört, ist im Grunde nichts anderes als ein Beweis dafür, wie ernst Rammstein an ihrer musikalischen Weiterentwicklung gearbeitet haben. „Mutter“ ist vor allem ein selbstbewusstes Album. Wie es nicht anders zu erwarten war von einer Band, die sich aus dem Urschlamm deutscher Clubs bis hin in die internationalen Konzerthallen gespielt hat. Rammstein waren so ziemlich auf dem ganzen Erdball unterwegs. USA, Japan, Australien, Europa, Südamerika – es gibt kaum einen Fleck auf diesem Planeten, an dem sie nicht schon ihre Raketen gezündet haben. Sie sind eine der Bands, die sich nicht zuletzt über ihre Live-Shows definieren. Die sind geprägt von einem monströsen Aufgebot an Pyroeffekten und haben eher mit einer durchgestylten Theateraufführung als mit einem zwanglosen Miteinander zu tun. Dabei geht der Bombast vor allem auf ein altes Leiden Till Lindemanns zurück. Paul: „Till hatte immer diese Publikumsangst. Der stand da mit zwei Sonnenbrillen übereinander und wusste nicht, was er machen sollte. Irgendwann einmal bekam er diese beiden Feuer-Fontänen in die Hand gedrückt, und daraus hat sich nach und nach die ganze Show entwickelt.“
Rammstein-Konzerte sind geprägt von großen Gesten, die im Kopf des Betrachters hängen bleiben. Nicht selten provozieren Rammstein mit ihrer Bombast-Ästhetik. Und hatten, das deutsche Dilemma im Umgang mit künstlerischer Provokation, oft ihre Probleme damit, „in eine politische Ecke gedrängt zu werden“, sagt Paul, „für die man absolut nicht stehen möchte und mit der man auch überhaupt nichts zu tun hat. Das hat mitunter schon sehr weh getan. Aber das Bild hat sich doch sehr gewandelt, die Leute haben mittlerweile einen anderen Zugang zu uns.“ In der Tat. Unvorstellbar mittlerweile, dass MTV sich vor einigen Jahren noch gesträubt hatte, Videos der Band zu spielen, „letzt ist es doch so“, sagt Flake, „dass wir abliefern können, was wir wollen, und die würden es spielen. Wenn dich keiner kennt, heißt es noch, das ist gewaltverherrlichend und nicht sendefähig, und wenn du dick in den Charts bist, zählt das alles nicht mehr. Dann kannst du ohnehin machen was du willst – und die spielen es.“
So auch das Video zur ersten Single „Sonne“. Ein Song, der eigentlich als Einmarschmusik für den Boxer Wladimir Klitschko geschrieben worden war, von dessen Management jedoch abgelehnt wurde. „Schade eigentlich“, sagt Paul, „wir sind große Fans der Klitschko-Brüder und es wäre natürlich klasse gewesen, wenn er den Song genommen hätte. Na ja, wir können uns immer sagen, wenn Klitschko uns nicht darum gebeten hätte, würde es ihn nicht geben.“ Ein Rückschlag, der sich umso leichter verkraften lässt, als dass die positiven Momente deutlich überwiegen. Einer der schönsten für Paul: „Wir haben kürzlich in Australien gespielt, es war unsere erste Tour dort, und die Leute sind bei den Konzerten unheimlich mitgegangen. Die konnten sogar die Texte auf Deutsch mitsingen. Irgendwann saß ich in einem Cafe in Adelaide und dachte mir: Mann, da kommst du aus dem Osten. Und plötzlich sitzt du am anderen Ende der Welt.“ www.rammstein.de