Sarah Kuttner – Die Kolumne
Letztens war ich mit einer starken Erkältung auf einem Geheimkonzert der Strokes. Ja. das ist ein markiger Satz, der eine derart enorme Erwartungshaltung erzeugt, daß man sich als Jungkolumnist der Aufmerksamkeit der Leser sicher sein kann. Auf jeden Fall ist es ein besserer Einsliegssatz als 2. B.: „Leute, Leute. Leute, ich weiß auch nicht…“ oder: „Liebe Zielgruppe, es gibt schlechte Nachrichten.“ Wie auch immer: Ich war jedenfalls mit einer starken Erkältung auf dem Berliner Geheimkonzert der Strokes. Sollten also andere Besucher dieses Konzertes die folgenden Tage tropfnasig und mit schlimmen Husten verbracht haben – das warvorhermein Husten! Sorry.
Aber nein, es war ja außer mir niemand da, es war ja ein Geheimkonzert. Dementsprechend war. als ich ankam, vor der Halle altes leer. „Halt“. dachte ich noch. „Unglaublich gut organisiert, diese Geheimkonzerte! Diese Präzision!“ Es war wirklich niemand gekommen, und die Strokes waren in entsprechend guter Stimmung. Es war deutlich zu merken: Für die Band war dieser „secret gig nicht einfach irgendeine rauschgiftbefeuerte Popmusikerlaune, nein, es war ein wichtiger Schritt zur Rückeroberung musikalischen Terrains im Jahr 2006. Und ich war dabei. Fab Moretti. der Schlagzeuger, war aufgeregt wie ein kleines Kind: „Unglaublich, es hat wirklich funktioniert! Wir haben ein Geheimkonzert veranstaltet, und niemand ist gekommen!“ Normalerweise sind Fab und ich so dicke miteinander, daß wir zur Begrüßung immer die Stirnen aneinanderhauen und uns gegenseitig mit den Fingern in den Ohren rumpulen; diesmal waran derlei liebgewonnene Rituale aber nicht zu denken: Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Gegen 21 Uhr noch was ging’s dann los. Es klang toll. Trotzdem ging ich relativ bald. Es war ja schließlich ein Geheimkonzert.
Man muß allerdings sagen: Neu ist diese Nummer mit den Geheimkonzerten a nicht. Mittlerweile versucht die Musikindustrie ja der allgemeinen Absatzkrise durch das Veröffentlichen von“.Geheimplatten Herr zu werden. Platten, deren Veröffentlichung keiner mitkriegt, die von niemandem gekauft werden, die aber auf lange Sicht enorm einflußreich o. ä. sein werden. Zu den bereits im letzten Jahr erschienenen Geheimplatten zählen z. B. die jüngeren Werke von Limp Bizkit und Toni Kater. Hat keiner mitgekriegt, daß die erschienen sind. Aber warten Sie ab: Spätestens 2009 werden beide als epochal und groß gelten. Geheimplatten sind mir jedenfalls als jüngste Schrulle der Plattenindustrie lieber als die doofen gehypten „dual discs“. Für all die Glücklichen, die noch nie eine „dual disc“ auf den heimischen Plattenspieler gelegt haben: „dual disc“‚ ist ein neues Format, das von beiden Seiten bespielbar ist. Auf der einen Seite gibt’s Musik und auf der anderen eine DVD mit dem üblichen Kram-Aufnahmen aus dem Studio, launige Momente aus dem Touralltag etc. Zu diesen „dual discs“ habe ich eine Frage: WAS SOLL DIE KACKE? Wenn ich mir die neue Platte irgendeiner Band kaufe, will ich genau das: die neue Platte irgendeiner Band. Nicht einen dubiosen, aufgeblasenen, nichtigen Para-Mehrwert. Ich will nicht schwedische Retromusikanten dabei beobachten, wie sie stundenlang an einem Effektgerät rumdrehen. Selbst dann nicht, wenn sie dabei extrem sexuell erregende Hosen tragen. Ich will auch nicht den Sänger irgendeiner Band auf der DVD sagen hören: „Wir haben diesmal versucht, offener für Einflüsse zu sein. Die meisten Bands sind heute so schrecklich unoffen für Einflüsse. „Will ich alles nicht, kann alles zu Hause bleiben. Bitte, liebe Musikindustrie: Verschont mich mit den öden Entstehungsgeschichten. Schon mal was von Entmystifizierung gehört? Nichts gegen DVDs über alte Musikrecken oder epochale Meisterwerke. Aber jede dahergelaufene CD mit dem Zeugs vollzuladen, das muß nicht sein. Ich habe übrigens am Anfang gelogen: Ich war gar nicht auf dem Geheimkonzert der Strokes. Ich war zu erkältet. Aber der Einstiegssatz „Junge, Junge, war ich letztens erkältet!“ wäre nicht die Sorte Gleitfilm gewesen, auf der ihr bis ans Ende dieser Kolumne hättet schlittern können. Deshalb: Nicht schimpfen, bitte!