Santana
AUFERSTEHUNG
Klar, ein spiritueller Zug war ihm immer schon eigen. Aber was der 52-Jährige Carlos Santana mit dem Album Supernatural schaffte, grenzt echt ans Übernatürliche. Neun Grammys sprechen eine deutliche Sprache.
ES IST NICHT DER SOMMER DER LIERE. HBER nah dran. So nah, wie solch ein lauer Juniabend anno ’77 den Idealen von Love & Peace nur sein kann. Tausende glückseliger Gestalten tanzen verzückt zu perkussiven Latinorock-Crooves, schwelgen in Gitarrenlinien, die fluoreszierenden Luftschlangen gleich durch die Nacht schweben. Mag auch am Horizont das Donnergrollen des Punk lauter und lauter werden: Egal, in diesem Augenblick feiern altgewordene und nachgeborene Hippies auf dem Nürnberger Zeppelinfeld den Mann, der jede Note, die er Körper und Klampfe abringt, mit ekstatisch-verklärter Mimik begleitet: Carlos Santana, Weltstar seit Woodstock, später abgedriftet in spirituelle Sphären, denen am Ende nicht einmal die Gutwilligsten mehr folgen mochten, ist wieder zurück auf der Erde. Mit vor Lebenslust und Spielfreude überschäumenden Alben („Amigos“, „Festival“) und ebensolchen Konzerten beendet er eine lange Durststrecke. Doch weit länger noch ist der Weg, den er hinter sich hat.
Im Alter von ! 5 lahren zieht es Carlos, geboren am 20. Juli 1947 in Autlan/Mexiko, gen Norden. Sein Ziel: Tijuana, jene einen Steinwurf von San Diego und damit vom Gelobten Land entfernte Grenzstadt, die Einheimischen und Gringos als Inbegriff von Sodom und Gomorrha gilt. Dort tingelt Santana, der, so die Legende, schon im Vorschulalter Achtbares auf der Geige zustande brachte, als Sänger und Gitarrist durch Kaschemmen und Bordelle und lernt schließlich den Bassisten David Brown und den Pianisten Gregg Rolie kennen. Was die drei verbindet, ist die Leidenschaft für den Blues, der Ehrgeiz, für ihre Musik mehr als ein paar Pesos zu verdienen – und der Gedanke: „Nichts wie weg hier.“ In der Autobiographie des Konzertmoguls Bill Graham erinnert sich Carlos: „Es ging immer um vier Uhr nachmittags los. Wir haben eine Stunde gespielt, und dann haben die Prostituierten eine Stunde lang Striptease gemacht. Sieben von ihnen haben ihre Nummer abgezogen, und dann haben wir wieder für eine Stunde gespielt. Bis sechs Uhr morgens.“
Da trifft es sich gut, dass 500 Meilen nördlich mächtig was los ist. Mitte der sechziger Jahre gilt San Francisco als Nabel der Musikwelt – und Santana, Brown und Rolie sind schon bald mittendrin. Bei einer Sonntags-Session im Jahre 1967 springt in Grahams „Fillmore West“ der Funke über. Fortan spielt, wann immer ein Act ausfällt, die mittlerweile sechsköpfige Santana Blues Band, gern auch als Vorgruppe der Who und anderer Größen, und avanciert zur „einzigen Band, die im Fillmore als Headliner aufgetreten ist, ohne eine Platte auf dem Markt zu haben“ (Bill Graham). Auch Hinter „Supernatural steckt offenkundig ein Konzept. Welchen Weg wollten Sie mit dem Album einschlagen?
Ich wollte mit dieser Platte ins Radio. Das war mir jahrelang egal, aber bei „Supernatural“ wollte ich, dass die Platte an den Schulen, in den Colleges und den Universitäten gehört wird. Ich möchte den Jungen eine Botschaft vermitteln. Ich will nicht, dass sie sich fühlen, wie ich mich fühle, oder dass sie leben, so wie ich lebe. Aber ich will ihnen die Botschaft vermitteln, dass unser Geist mehrdimensional angelegt ist und uns unglaubliche Möglichkeiten offenbart. Du bist nicht nur eine Farbe im Regenbogen, du bist nicht nur ein Tier im Zoo. Du bist der Regenbogen. Du bist der ganze Zoo. Das ist die Botschaft von Santana: Nimm dich als Ganzes an, dann wirst du nicht mehr frustriert oder depressiv sein. Depression und Frustration entstehen nämlich meist aus Ängsten und Zweifeln heraus – den einzigen Feinden dieses Planeten.
Gab es bei den Aufnahmen zu „Supernatural“ einen ganz besonderen Moment?
Ja. Und zwar als wir mit Everlast „Put Your Lights On aufgenommen haben. Man muss sich das vorstellen: Der Typ ist am offenen Herzen operiert worden, seine Seele war dabei, seinen Körper zu verlassen, und er sagte: „Ich will noch nicht gehen, ich habe noch so viel vor mir.“ Und die Engel haben ihm diesen Song geschenkt, und er war so großherzig, ihn uns zu schenken. „Put Your Lights On“ ist für mich der zentrale Song auf dem Album. Den können wir auch in Gefängnissen spielen und singen, „all you killers, put your lights on, and leave your lights on.“ Dadurch zeigen wir Mitgefühl, Verständnis und Geduld. ¿
Hatte „Smooth“, der Rob Thomas-Track, schon in der ersten Version dieses spezielle Santana-Feeling, diese Mischung aus Salsa und Blues, oder musste er noch bearbeitet werden?
Rob schickte mit den Song, und alle meinten auf Anhieb: „Yeah, das klingt absolut nach Santana.“
Wie ordnen Sie ihre Musik ein?
Für mich ist es afrikanische Musik. Ich will meine Musik nicht in die Latino-Ecke stellen. Alles was ich spiele, hat afrikanische Wurzeln. Egal, ob es nun nach Kuba, nach Brasilien oder nach Chicago klingt. Es ist und bleibt Blues, und der kommt aus Afrika.
Wie haben es die Leute damals aufgenommen, als Sie als Erster afrikanische und kubanische Elemente in Ihren Sound eingearbeitet haben?
Als wir anfingen, afrikanische Rhythmen, Cumbia-, Salsa-, Cha-Cha- und Mambo-Elemente zu benutzen, bemerkten wir, dass die Frauen im Publikum anfingen, sich anders zu bewegen. Von diesem Zeitpunkt an war uns klar, dass wir mehr waren als nur die Blues-Version von Fleetwood Mac. Und als dann plötzlich die Stones, Miles Davis und sogar Jimi Hendrix anfingen, Congas zu benutzen, wussten wir, dass sie das bei uns gehört hatten, (lacht) Was war es für ein Gefühl, bei „Supernatural“ mit Leuten im Studio zu stehen, mit denen Sie bis dato nicht zusammengearbeitet hatten? Mit Everlast z.B.oder mit Lauryn Hill.
Ich bin ins Studio gegangen, habe ihnen tief in die Augen gesehen und habe mir ihre Musik angehört.
Auf „Wishing It Was“ singt Eagle-Eye Cherry. Sie kannten doch noch seinen Vater, den Jazzer Don Cherry, oder?
Ja. Und die Zusammenarbeit mit Eagle-Eye Cherry war unglaublich. Ich habe seinem Vater mal versprochen, dass wir was zusammen machen. Leider ist Don dann gestorben. Aber ich habe mein Versprechen mit Hilfe seines Sohnes eingelöst. Das war wirklich sehr schön.
Die Produzenten von „Wishing It Was , die Dust Brothers, feiern große Erfolge mit Musik, die auf Samples basiert. Wie ist Ihre Meinung zum Sampling?
Solange man für die Rechte korrekt zahlt, habe ich keine Probleme damit. Die Hauptsache ist, dass man Samples nicht nur als oberflächliche Gimmicks einsetzt.
Sie haben auch mit der Latin-Rock-Band Mana zusammengearbeitet. Tritt sie das Erbe von Santana an?
Mana sind für mich mehr die mexikanischen Police. Aber sie haben wohl alles von mir angehört und tun ihr Bestes, afrikanische Rhythmen und klassische Melodien, also richtige Klassik, in ihren Sound einzubauen. Der Komponist Igor Strawinsky hat auf die Frage, was er denn höre, übrigens mal gesagt: „Ich höre die drei B’s – Beethoven, Brahms und James Brown.“
Und was hören Sie momentan?
Die Leute wären überrascht, wenn sie wussten, wie oft ich mir Emmylou Harris anhöre, ich könnte wahrscheinlich sogar mit Country-Leuten wie Garth Brooks zusammenarbeiten. Am häufigsten höre ich aber afrikanische Musik und – natürlich – Coltrane, Miles Davis, Hendrix und Bob Marley.
Auf „The Calling“ spielen Sie im Duett mit Eric Clapton. Wie kann man sich das vorstellen, wenn zwei so großartige Gitarristen in einem Raum sind, um etwas ganz Spezielles zu kreieren?
Ich habe zu Eric gesagt, dass ich nicht will, dass er in einen Song vor mir einsteigt oder dass er einen halbfertigen Song mitbringt. Ich habe ihm gesagt, dass er einfach vorbeikommen soll und wir uns zusammen einen ganzen Song ausdenken, ich hätte da ein paar Ideen. Er meinte, dass er eh noch nichts geschrieben hätte. Wir waren dann vier Stunden im Studio. Drei Stunden lang haben wir uns nur unterhalten. Über Steve Rai, Jimi Hendrix und ihre Techniken. Über was sich Gitarristen eben so unterhalten. Wenn ich mir „The Calling“ anhöre, dann klingt es für mich, als ob zwei Apachen am Grand Canyon die Geister beschwören. Das ist das Intro. Und wenn sie dann auftauchen, wird das Ganze ziemlich bluesig. Vom Grooove her geht es ein bißchen in die Prince- und John Lee Hooker-Richtung.
Gehen Sie immer nur mit „ein paar Ideen ins Studio?
Meistens ja. Ich gehe ja nicht aus einer Laune heraus ins Studio. Da ist immer Leidenschaft und Herzblut im Spiel. Ich höre etwas in meinem Hinterkopf, einen speziellen Sound, eine spezielle Melodie, einen speziellen Rhythmus. Der Rest ergibt sich von selbst.
Stellen Sie die Gitarre eigentlich auch manchmal in die Ecke, oder müssen Sie jeden Tag spielen?
Wenn ich unterwegs bin, spiele ich jeden Tag. Aber wenn ich zu Hause bin, fasse ich schon mal zwei Wochen lang keine Gitarre an und verbringe die Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau.
Wie stehen Sie ihren frühen Werken gegenüber? Hören Sie sich die manchmal noch an?
Manchmal will ich alle Noten lang spielen, legato quasi. Wie auf einer Geige. Das muss man sich so vorstellen, als ob man den Körper eine wunderschönen, jungen Frau abtastet. Man will alles berühren, vom Kopf bis zu den Zehen. Dann wieder will ich Staccato spielen, so wie Coltrane, schnell und kurz. Ich vergleiche das immer mit dem Land- und dem Stadtleben. Legato entspricht dem Land, Staccato der Stadt. Aber sobald man sein Gleichgewicht zwischen Legato und Staccato gefunden hat, muss man nicht mehr so viel üben. Nicht alle Musiker beherrschen diese Ausgewogenheit. Die sollten sich die frühen Santana-Alben anhören. Da kann man dieses Gleichgewicht sehr gut nachvollziehen.
Sie meinen eine musikalische Balance?
Richtig. Es geht immer darum, eine gewisse Balance zu wahren. Alles auf diesem Planeten hat etwas mit Balance zu tun. Stellen Sie sich das wie Mann und Frau vor. Die Melodie ist das weibliche Element, der Rhythmus das männliche. Das Bett kann Reggae, Rock oder Klassik sein, das ist dann egal.
Was ist Ihnen von Woodstock in Erinnerung geblieben?
Sly Stone war der Größte. Jeder in seiner Band hat besser gespielt als je zuvor und je danach. Das war meiner Erinnerung nach das beste Konzert, das sie je gespielt haben. Sie waren so energiegeladen, es war fast schon beängstigend. Den anderen ganz großen Auftritt hat natürlich Jimi Hendrix hingelegt. Aber die größten Helden waren die Zuschauer. Sie haben schließlich die desaströsen Zustände ausgehalten.
Warum sind Sie nicht beim Woodstock-Jubiläums-Festival aufgetreten?
Die Veranstalter haben mich eingeladen, zusammen mit ein paar anderen ein Jimi Hendrix-Tribute-Konzert zu spielen. Da habe ich ihnen gesagt, dass ich mit meiner Band meine Musik spielen will. Wir haben kein Problem damit, im Vorprogramm der Stones oder von Sting zu spielen. Es geht um die Kommunikation mit dem Publikum. Und wenn sie mich nicht mit meiner Band auftreten lassen, dann bleibe ich eben zu Hause.
Ihre erste Band hat mit Mike Shrieve und Gregg Rolie absolute Koryphäen hervorgebracht. Gibt es jemanden im aktuellen Line-up, der es auch so weit bringen könnte?
Rodney Holmes, der Schlagzeuger. Er ist unglaublich. Und Benny Rietveld, der Bassist. Er hat schon mit Prince und Miles Davis gespielt. Jeder in der Band ist ein Virtuose. Zusammen sind wir in der Lage, jedes Publikum für drei, vier Stunden gefangen zu nehmen.
Was haben Sie über die Jahre gelernt, wenn es darum geht, neue Mitspieler auszuwählen?
Es geht vor allem darum, dass sie gute Team-Player sind. Und dass sie eine gewisse Sensibilität mitbringen. Viele sind nicht in der Lage, ihr Tempo einer gewissen Stimmung anzupassen. Viele verstehen das nicht. Aber ich habe auch keine Zeit, das jedem zu erklären. Wenn du einen Song im gleichen Tempo von Anfang bis zum Ende durchspielst, wird es langweilig. Dann kannst du dir gleich einen Computer kaufen.
Wie schwierig ist es für Musiker, während des Spielens den anderen in der Band zuzuhören?
Jedesmal wenn wir länger nicht zusammengespielt haben, erzähle ich meinen Mitmusikern eine kleine Geschichte: Ein Typ kommt ins Restaurant, und der Kellner fragt ihn, was er trinken möchte. Der Typ sagt, dass er einen Kaffee will. Und zwar schwarz. Und der Kellner fragt ihn: Mit Milch und Zucker? Solche Fehler dürfen nicht passieren. Du musst genau zuhören, was die anderen tun.
In Ihrem Fall also, was Sie spielen?
Richtig. Ich habe das von Jazz-Größen wie Herbie Hancock oder Wayne Shorter gelernt. Jazz ist die anspruchsvollste Musikgattung, im Jazz gibt es die meisten Zwischentöne. Jazz entspricht dem Meer. Ich schwimme in einem See. Die meisten Rock’n’Roller liegen gerade mal am Swimming Pool. In meinem nächtsten Leben werde ich vielleicht auch im Meer schwimmen, (lacht)