Sade


Sie hatte sich rar gemacht. Nachdem sie vor Jahresfrist mit kühler Eleganz die gröbsten Gemüter erhitzte , schien sie sich ebenso schnell wieder in Luft aufgelöst zu haben. Es schien allerdings auch nur so: Denn nach einem ausgedehnten Abstecher in die USA wirkte sie im kommenden Szene-Film „Absolute Beginners“ mitund vergrub sich in die Arbeit an ihrem neuen Album. Wenn das Resultat in den nächsten Tagen erscheint, heißt es wohl: same procedure as last year.

Ihr erstes Album verkaufte sich acht Millionen Mal: Diamond Life, ein kühler Cocktail aus Soul und Jazz. Das ist gewöhnlich der Stoff, aus dem Kult-Hits sind, nicht aber Debütalben, die acht Millionen Mal über den Ladentisch wandern. Im spleenigen England, wo sogar kastrierte Chorknäblein oder auch singende Nonnen Nummer eins der Charts machten, kann man durchaus über Nacht zum Superstar avancieren – aber in Europa…? Oder gar in den Staaten…? Das ist schon mysteriöser.

Ich habe da natürlich meine ureigene Theorie: die Besinnung auf Stil und Geschmack in Zeiten wirtschaftlicher Depression nämlich, der Trend zur romantisch verklärten Liebe, wenn politisch die Konservativen am Ruder sitzen. (Natürlich habe ich da so meine Schwierigkeiten, Madonna in diese Theorie hineinzupuzzlen, aber: nobody’s perfect, oder?) Vielleicht hat Sade ihren Erfolg auch der Rückkehr zum gediegenen Handwerk zu verdanken – im Gegensatz zur „Jeder-kann-ein-Star-sein“-Philosophie vergangener Tage. (Es ist nun mal um einiges schwieriger, wirklich gut zu singen und kompetent zu spielen, wogegen jeder Depp innerhalb von fünf Minuten einem Synthi flotte Töne entlocken kann.) Haben deshalb acht Millionen Menschen dieses Album im Plattenschrank? Aber was weiter? Werden dieselben acht Millionen ihr treu bleiben? Und: Interessiert Sade das alles überhaupt?

Diese brennenden Fragen treiben mich zu einer Parterrewohnung nahe der Marylebone Road im nordwestlichen London, wo Sade Adu, in Jeans und einfachem weißen Hemd, enormen silbernen Ohrringen (so groß, daß man die Vorhänge des Buckingham Palace daran aufhängen könnte) und einem breiten Lächeln, mir schließlich nach besten Kräften dabei hilft, meinen Vorrat an Dunhills in Luft aufzulösen. (Ihre faden Silk Cuts dagegen, mit deren Hilfe sie sich der qualvollen Tortur unterziehen will, das Rauchen aufzugeben, bleiben unangetastet.) „Morgen geh‘ ich’s an! Ich sollte vor Beginn unserer Tour damit aufhören; ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß ich ’s unterwegs schaffe, also werde ich ’s jetzt während der Proben versuchen…“

Sie sieht atemberaubend aus. Und sie klingt… ja, normal. „DieLeute sehen in mir immer die coole Lady aus einem gestylten Werbespot – und das ist einfach ein Klischee! Sicher, ich bin nicht der flippige Freak von nebenan. Und folglich stellen sich wohl alle vor, ich würde nur mit smarten Manager-Typen verkehren und zum Ski-Urlaub nach St. Moritz fahren. (Dabei ist ihr Freund weder Geschäftsmann, sondern Schriftsteller, noch hat sie die leiseste Ahnung, zu welcher Jahreszeit denn Skisaison ist. Aber ich unterbreche sie.) „Ich steh‘ nicht auf Cocktail-Parties. Was Handfestes ist mir lieber.“

Was diejenigen, die in ihr das perfekte Gegenstück zu Madonna sehen wollen, wahrscheinlich überrascht oder gar in ihrer Menschenkenntnis kränkt. „Und dann das ganze Gerede, daß ich nicht sexy sei! Stimmt das?“ Sie lacht, ganz handfest.

Die Antwort: Um ganz ehrlich zu sein – es stimmt! Wenn Madonna der „Komm-reib-deine-Nase-an-meinem-Nabel“-Vamp ist, dann ist Sade eben die „Bleib-auf-Distanz“ unnahbar Coole.

„Ja, das ist wirklich komisch. Ich glaube, daß die Leute einfach oft keine Ahnung haben. Sie nehmen den äußeren Schein für bare Münze und biegen sich ihr Image von einem zurecht, ein Image, das oft nicht mit der Realität übereinstimmt. Ich bin nicht so offenkundig sexy, das liegt mir einfach nicht ich kann mich nicht jedem an den Hals werfen. Deshalb kann man mich auch kaum als heißen Zahn bezeichnen, obwohl ich schon gern flirte, so wie jeder, aber eben nicht auf die aufdringliche Art.

Da ist es dann schon verständlich, wenn die Leute mich für kühl und unnahbar halten. Aber zu meiner Zeit, da war ich auch ganz schön frech, nur keine Bange!“, feixt sie. „Madonna macht ihr Ding meiner Meinung nicht für die Kamera, sondern für sich selbst und das finde ich völlig okay. Aber eine Nonne bin ich auch nicht.“

Was man aber fast annehmen möchte angesichts der Tatsache, daß eine gewagte Bett-Szene aus ihrem „Srnooth Operator“-Video rausgeschnitten wurde.

„Das war die Plattenfirma! Ich habe mich furchtbar aufgeregt wie immer“, grinst sie, „und sie mußten die Szene wieder einfügen, zumindest in die lange Version. Sie setzten Julian Temple, dem Regisseur, buchstäblich die Pistole an die Brust und drohten keinen Pfennig zu zahlen, wenn er die Szene nicht rausschneiden würde. Ich war stinksauer. Ich weiß am besten, wer ich bin und was mein Image ist. Und deshalb sollte so etwas meine Entscheidung sein. Folglich habe ich dann – wie immerfurchtbar rumgebrüllt.“

Sie behauptet, eine so weitgehende Kontrolle zu haben, wie in diesem Business überhaupt möglich sei – und das nimmt man dieser selbstbewußten jungen Frau auch durchaus ab. Dieses Selbstbewußtsein war es auch, das sie bei den verschiedenen Gruppierungen britischer Ideologie-Fetischisten, Feministinnen eingeschlossen, so unbeliebt machte. Sie spielte nicht das Opferlamm, das man aus ihr machen wollte. Julie Birchill hat das besser formuliert, als ich es je könnte: „Man erinnere sich daran, wie Sade praktisch beschuldigt wurde, nicht schwarz genug zu sein… Sie ist nicht der Typ, den man eines Tages mit dem Blues im Herzen und ’ner Nadel im Arm in irgendeiner Kellerwohnung auffinden wird.“

„So wie ich singe, bin ich noch nie mit einem Mann verglichen worden“, sagt Sade, die früher vor dem Spiegel Diana Ross genauso gut imitierte wie Marvin Gaye, „sondern immer mit einer anderen Sängerin: Billie Holiday. Nur weil wir den selben Hautton besitzen und sie auch hie und da die gleiche Frisur hatte, muß ich natürlich klingen wie sie!“ knurrt sie.

Ich stimme dir da zu, Frauen werden grundsätzlich eher über einen Kamm geschert als Männer- vielleicht, weil die meisten Journalisten Männer sind. Andererseits muß man aber auch feststellen, daß die Art, wie männliche Popstars präsentiert werden, sehr sexistisch ist; genauer gesagt, sie werden eher in Klischees gepreßt als Frauen. Jemand wie Alison Moyet zum Beispiel ist viel schwerer einzuordnen als der Leadsänger von King, der natürlich ein gefundenes Fressen für 15jährige Mädchen ist.“

Um mit Alison Moyet auf Julie Birchills Artikel zurückzukommen: „Alison Moyet hat (im Gegensatz zu Sade) die Statur und genug Schmerz in der Stimme, um als wirklich schwarz durchzugehen. “ Sades Vater ist aus Nigeria, ihre Mutter eine weiße Engländerin. Wie stark empfindet sie ihr schwarzes Erbteil tatsächlich?

„Sehr stark vor allem was die Musik angeht. Sicher, ich bin in einer weißen Umgebung aufgewachsen. Aber wenn ich einen schwarzen Star sehe, freue ich mich, bin stolz darauf. Das klingt abgedroschen, ist aber wirklich so. Schwarze Musik war etwas Greifbares für mich in einer fast ausschließlich weißen Umwelt. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, daß mir eine andere Musik gefallen könnte. Andererseits: Ich mag alles, was nicht sofort in eine Kategorie paßt wie zum Beispiel Van Morrison oder Tom Waits; das sind weiße Musiker, mit denen ich etwas anfangen kann – aber ursprünglich bin ich auf schwarze Musik abgefahren.“

Sade wurde in Nigeria geboren; sie war vier Jahre alt, als ihre Mutter mit geborgtem Geld und ihrer kaputten Ehe flüchten mußte (was durchaus richtig formuliert ist, denn sie selbst und ihr Sohn waren in England geboren, nicht aber Sade – und so gab es erhebliche Schwierigkeiten mit den Behörden, die Sade nicht ausreisen lassen wollten) und nach Essex in das Dorf ihrer Eltern zurückkehrte. (Wo sich Mrs. Adu mit einem Verrückten vermählte – einem Mann, der selbst schon Vater von sechs Kindern war, zudem – laut Sade – aussah, als sei er einem Horrorfilm entsprungen und der später prompt im Gefängnis landete wegen nächtlicher Aktivitäten vor den Fenstern einsamer Damen… aber das gehört der Vergangenheit an.) Oberflächlich betrachtet hatte Sade also geradezu die typisch turbulente Kindheit, die oft den Rock ’n‘ Roll als Ventil findet: zerbrochene Ehen, OrtsWechsel, grausamer Stiefvater, eine Schule, die all dem gleichgültig gegenüberstand – alles ist geboten, was das Herz eines Melodrama-Fans höher schlagen läßt. Nur komisch, daß Sade nicht mal im Traum an eine Sangeskarriere gedacht hatte, bis ein Bekannter (ihr heutiger Manager Lee Barrett) sie eines Tages fragte, ob sie nicht in einer Funkband singen wolle.

„So bin ich nun mal“, gibt sie zu, „sobald ich mich für etwas entscheide, arbeite ich verdammt hart daran, aber ich mache keine ehrgeizigen Zukunftspläne. Ich warte einfach – warten ist vielleicht das falsche Wort, denn ich bin sehr aktiv aber wenn sich was Passenderes ergibt, ergreife ich die Gelegenheit beim Schopf…

Meine Kindheit hat mich ziemlich rebellisch gemacht. Ich habe mich noch nie unterkriegen lassen. Es gibt schon Momente, in denen ich resigniere und einfach akzeptiere, wie die Menschen sind, wozu sie fähig sind. Aber grundsätzlich schreie und brülle ich lieber rum und laufe Amok, als daß ich mich verletzen lasse.“ Nur in ihren Songs brüllt und schreit sie nicht – da ist sie mehr Smokey Robinson als Tina Turner.

Auf ihrem neuen Album allerdings will sie auch andere Töne anschlagen – „Sweetest Taboo“, die erste Singleauskoppelung ist – laut Sade „ein sehr spontaner, aus sich herausgehender Song.“ (Was ein in Spanien und auf Londons Docks gedrehtes Video auch dokumentieren soll.) „, Sweetest Taboo‘ ist heiß, schwül und aufregend wie das Gefühl der Ruhe vor dem Sturm.“ Und „Maureen“, das sie einer verstorbenen Freundin widmete, ist ein „fröhlicher up-tempo-Song. Ich hatte das Thema schon lange im Kopf, wollte aber keine Trauer und kein Selbstmitleid verbreiten. Wenn man einen Freund verliert, dann hat es keinen Sinn, für immer und ewig um ihn zu trauern. Man sollte glücklich darüber sein, daß man ihn kannte und eine gute Zeit miteinander verbrachte. Das wollte ich mit diesem Song ausdrücken.“

Als ich ihr sage, daß ich ihre Musik durchaus öfter mit einsamen Menschen assoziiere, die auf der Bettkante sitzen und romantischen -Erinnerungen nachhängen, während Sades Album sich langsam auf dem Plattenteller dreht, ist sie entsetzt: „Oh Dear! Das ist ja grauenhaft! Ich glaube, unsere Songs sind doch viel offener und positiver! Man muß positiv denken, ganz gleich, was man tut und wer man ist und in welch mieser Situation man sich vielleicht momentan befindet. Du mußt dir etwas Positives vor Augen halten, sonst gehst du unter. Es hat keinen Sinn, sich immer selbst zu bemitleiden.“

Worauf jedoch letztendlich alles hinausläuft, ist die Frage, die ich am Anfang gestellt hatte: Wird sich auch ihr neues Album acht Millionen Mal verkaufen? Wurde sie nicht doch zu schnell aufgebaut? Was passiert, wenn das Album erscheint und keine Resonanz findet? Wenn Sade als Schnee vom vergangenen Jahr abgeschrieben wird?

„Diamond Life ist zweifellos gut gelaufen, aber ich glaube, da war mehr Mundpropaganda am Werk als sonstwas. Da hat eben einer zum anderen gesagt: .Das ist ’ne tolle Platte, hör‘ mal rein!‘ Ich bin nicht künstlich aufgebaut worden! Also laß‘ ich mir um den Erfolg unseres zweiten Albums keine grauen Haare wachsen. Selbst wenn es nicht so hohe Verkaufszahlen erreichen sollte, heißt das noch lange nicht, daß es nicht erfolgreich ist.

Ich bin auch der Meinung, wenn man ein Album gemacht hat, weiß man selbst am besten, wie gut man war, das ist eine persönliche Sache. Ich weiß, was wir erreichen wollten und daß es uns gelungen ist. Wir haben unser absolut Bestes gegeben. Also, wenn es jetzt kein kommerzieller Erfolg wird – was ich aber nicht glaube – bricht mir das nicht das Herz.

Wir selbst sind zufrieden damit und in gewisser Weise kommt es auch nur darauf an, auch wenn das jetzt ganz schön arrogant klingen mag. Aber deine Stärke liegt nun mal darin, was du mit deiner Musik erreichen möchtest, nicht wieviel Geld oder Erfolg du anhäufen willst. Ich will Qualität. Das hat wahrscheinlich mit meinem Ego zu tun.“ Und auf Porsches steht sie sowieso nicht…

Doch was ist mit dem plötzlichen Ruhm? Macht ihr die Rolle der Märchenprinzessin tatsächlich Spaß? Sade – die berühmteste Superlippe seit Mick Jagger? Die allgemeine Aufmerksamkeit stört sie zwar nicht (auch die etwas mehr Anonymität genießenden Mitglieder der Band haben nichts dagegen, daß sie im Rampenlicht steht… „Die sind ganz froh, daß ich die Arbeit mache und mein Privatleben opfere!“), aber: „Ich bin auch nicht unbedingt erpicht drauf, zum Allgemeingut zu werden. Ich kenne eigentlich keinen, der da Bock drauf hätte.“

Ihre Rolle in dem in Kürze anlaufenden Film „Absolute Beginners“, einer musikalischen Adaption von Colin Maclnnes‘ gleichnamigem Roman, in der offensichtlich alles mit Rang und Namen aus der britischen Popszene von der Partie ist, bedeutet für Sade wohl kaum den Anfang einer Filmkarriere um nochmals die Parallele zu Madonna zu ziehen. Die Arbeit daran schien ihr nicht sehr zuzusagen, bis auf einen Song, den sie mit Simon Boothe (von Working Week) dafür schrieb. Ihre Rolle ist „winzigst – ich erscheine kurz und verschwinde im nächsten Augenblick gleich wieder, eine Szene von drei Minuten, die nach dem Schneiden wahrscheinlich noch schrumpfen wird.

Die Grundidee des Films war die, Leute zu engagieren, die in irgendeiner Form aus der New Jazz-Szene stammen. Simon und ich haben uns darüber geärgert, daß plötzlich alle möglichen Typen dabei waren, die damit nun wirklich nicht das Geringste zu tun hatten, Leute wie Ray Davies oder David Bowie.

Nach einigen Erklärungen wurde mir jedoch klar, warum auch diese Leute engagiert wurden. Ich habe den Film noch nicht gesehen, nicht mal mich selbst, aber ich weiß jetzt, daß er sehr durchdacht besetzt wurde. David Bowie zum Beispiel spielt einen Vertreter: Nun ist Bowie ja wirklich jemand, der manipulieren kann und genau weiß, was er will – ich möchte damit nicht anzweifeln, daß er wirklich exzellente Sachen macht – aber er benutzt die Menschen in seiner Umgebung. Und Ray Davies ist eine Figur aus der Vergangenheit. Sie haben diese Rollen ausgesprochen gern gespielt…“

So kommen wir vom Film zu Büchern und Mode (sie hätte liebend gern Englische Literatur und nicht Modedesign studiert), doch ich habe meine Zeit schon überzogen und muß unser Gespräch langsam zu Ende bringen. Momentan hat sie – außer dem Wunsch, nach Südamerika zu gehen – keinerlei größere Ambitionen. Außer der natürlich, daß sie und die Band weiter Platten nach ihrem Geschmack machen können.

Mal angenommen, sie wäre nicht Sade – würde sie dann ihre Platten kaufen? „Das will ich hoffen, sonst wäre ich ja meinem Geschmack nicht treu. Ja, ich glaube, Sade würde mir gefallen!“