Ryan Adams & The Cardinals – München, Muffathalle
Another selection of musical excitement: Kaum ist er endlich da, weigert sich Ryan Adams auch schon wiederstandhaft, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen Ryan Adams in München, das ist eine Geschichte für sich All-time-favourite-Schlagzeile zum Thema, die glücklicherweise nie erschienen ist: „Arschfick in der Elserhalle“ – Ryan Adams demaskiert reaktionären Geschmacksfaschismus der Münchner Mittelschicht!“ Im Februar 2002 war das, und auch wenn der Restalkohol dann doch nicht reichte, um diese Überschrift der lokalen Tageszeitung tatsächlich vorzuschlagen – gestimmt hätte sie. Da torkelte ein rotzbesoffener Rockstar über die Bühne, spielte wie wild gloriosen Rock’n’Roll und spuckte einem Publikum ins Gesicht (bildlich gesprochen, gerade noch), das sich auf melancholische Mädchenmusik gefreut hatte. Es war großartig. Im Jahr darauf dann das bestuhlte Solokonzert im Zirkus Krone: Ein verkaterter Ryan allein am Klavier, sein Weinglas rührte er kaum an. spielte behutsam seine sensiblen Songs. Irgendwann forderte einer „Rock’n’Roll!“ Er kann es ihnen nicht recht machen.
Wenn Adams nun. nach mehreren Alben, einer gebrochenen Hand, Konzertabsagen und viel Gerede über exzessbedingte Abstürze, endlich wieder in der Stadt ist, weiß man nur eins: Dass man nicht weiß, was man zu erwarten hat. Zumal man zuletzt auf seiner Website vom kruden Rap „Look Who’s Got A Website“ begrüßt und auf einem YOU ARE THE AUDIENCE … betitelten Online-„Album“ von schrottigem Punkrock irritiert wurde.
Der lang erwartete Montagabend beginnt dann mit der Aufforderung, sich für ein „rock’n’roll concert“ bereit zu machen, „seriously“ – nur um gleich darauf mit dem puristischen Country von „Tears Of Gold“ die genau entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Die vierköpfige Besetzung der Cardinais mit dem kongenialen Adams-Sidekick Neal Casal (bei dessen Solo-Set im Vorprogramm Adams zuvor – beinahe unerkannt -Schlagzeug gespielt hat) lässt sich traumwandlerisch treiben, spielt so organisch ineinander verwoben, als wären sie schon zusammen auf die Welt gekommen. Ryan trinkt diesmal Red Bull, spricht nicht viel und versichertauf die Zuschauerfrage, ob er nervös sei, „I never get nervous“. Selbstversunken jammend deuten die Cardinals fast alles um, was von Erwartungshaltungen belastet sein könnte. „Firecracker“ schleicht meditativ umher, „To Be Young“ bekommt eine komplett neue Phrasierung, „New York New York“ ist in einer verschleppten, dunklen Fassung kaum wiederzuerkennen. Man kann hier einem Künstler bei der Arbeit zuschauen – Ryan Adams betreibt keine Bedürfnisbefriedigung, verkauft kein Produkt, seine Musik wird nicht konsumiert, sondern erlebt. So stellt man sich ein Grateful-Dead-Konzert vor, wenn man nie eins gesehen hat. Diese introvertierte Verweigerungshaltung, der die Musik und die Band stets näher sind als das Publikum, animiert notorische Zwischenrufer natürlich zu Höchstleistungen („Is‘ der Hund g ’storben, oder was?“) – Ryan Adams beruhigt: „Even if you don’t like it, it’s okay.“ Er macht sich einen Spaß daraus, immer wieder „another selection of musical excitement“ anzukündigen und eine „Monday night party!“ auszurufen und dann introspektive Songs wie „Nightbirds“ zu spielen. Am Ende fließen alle Intuitionen ineinander und bilden einen ausschließlich in sich selbst ruhenden Musikstrom aus Arnericana und Rock’n’Roll, Grateful-Dead-Songs und, ja, Billy-Ocean-Zitaten. „Shakedown On 9th Street“ wird zu räudigem Punk, „I See Monsters“ überwältigt in einer düsteren Rockversion. Nach zwei Stunden verschwindet Ryan Adams ohne Zugaben und ohne große Worte. Er hat es wieder keinem recht gemacht, und genau das macht ihn unantastbar.