Rufus Wainwright: „In Der Welt Der Klassik Sind Die Leute Viel Eher Bei Der Hand Einen Abzuschiessen“


Am Telefon aus den Hamptons erzählt Rufus Wainwright über Erfahrungen mit seiner ersten eigenen Oper, seine Live-DVD und warum er nicht (mehr) "wie Chewbacca" rumläuft.

Der Anlass dieses Interviews ist deine neue Live-DVD, aber dir ist gerade wohl deine Oper „Prima Donna“ näher, die kürzlich Premiere hatte.

Ja, in Manchester, im Frühling 2010 kommt sie nach London, später Toronto, Melbourne… Die Premiere wurde sehr beachtet in der Klassikwelt, so ziemlich alle wichtigen Kritiker waren da. Und gewisse Leute haben sie natürlich schrecklich gefunden, aber ich habe eine recht starke Unterstützergruppe aus Sängern, Schreibern, Opernregisseuren und Kritikern gewonnen – man kann wohl sagen, das Stück hat überlebt. Was schon was heißt für einen Popsänger, der sich in dieses Universum begibt.

Was sind denn deutliche Unterschiede zwischen der Welt der Klassik und dem Pop?

Ich liebe die klassische Welt, weil sie einem erlaubt, sich total auf die Musik zu fokussieren. Da gibt’s keine Ablenkungen durch meine… Sagenhaftigkeit (lacht), ob ich zugenommen habe… … was du anziehst… Genau. Obwohl ich damit ein bisschen gespielt habe (Wainwright trug bei der Premiere Cebrock und Zylinder à la Giuseppe Verdi- Anm.). Aber am Ende läuft alles auf die Musik hinaus. Das bringt aber auch mit sich, dass Kritiker und Zuschauer viel mehr aus sind auf eine Art reine, göttliche Erfahrung. Kurz gesagt: Die Standards sind sehr viel höher und die Leute sind viel eher bei der Hand, dich abzuschießen. Es waren aber doch wohl auch Fans von dir da?

Ja, die Hälfte der Leute bei der Premiere war wohl noch nie in der Oper. Ich denke schon, dass ich da zusammen mit meinem Publikum neues Territorium betrete. Darum geht’s doch: Dein Publikum mit neuen Eindrücken zu bombardieren.

Wovon handelt die Oper? Es geht um eine Sängerin, deren Karriere dem Ende zugeht. Es steckt „Sunset Boulevard“ drin, der Film „Diva“, die Geschichten von Maria Callas, Jessye Norman – viele Bezüge, auch zu meinem Leben, vor allem, was die Rolle der Presse angeht. Es gibt da einen dubiosen Journalisten, haha! Er verrührt die Primadonna – und sie will auch verführt werden, it takes two to tango, believe me. Es geht um das diffizile Verhältnis zwischen Presse und Künstler und was passieren kann, wenn ein Künstler verunsichert und erschöpft ist, und jemand erkennt das und wittert eine Story. Das kann ein gefährlicher Moment sein im Leben eines Künstlers. Dir ist das schon passiert? Ja, zwei Mal (lacht). Ich hatte ein paar solche Erfahrungen auf Tour. Ich war übermüdet, viele Partys, Heimweh – ich war verwundbar. Und mit diesen Journalisten kam es dann zu einer Art Beziehung – und später schrieben sie darüber. Die Arbeit an der Oper hat ja schon dein letztes Album RE-LEASE THE STARS beeinflusst, das ein Piano-Gesang-Album werden sollte und dann zu diesem grandiosen Bombast-Pop-Ding wuchs. Ja, und ich möchte jetzt endlich so eine Piano-Gesangs-Platte machen. Während der Arbeit an der Oper musste ich zwischendurch immer mal allein sein – weg von den Diven, Dirigenten und Produzenten – und allein an meinem Klavier diese Erfahrungen verarbeiten. Dabei kam eine Reihe von Songs heraus, fast wie ein klassischer Lieder-Zyklus. Ich werde wieder große Pop-Platten machen, aber jetzt kommt erst mal das Sorbet-Album ein kleiner Zwischengang. Wahrscheinlich im Frühjahr. Du bist also dem Pop nicht verloren gegangen. Nein, nein. Ich weiß, wo meine Brötchen herkommen, haha!

Als ich vor zwei Jahren die „Release The Stars“-Show sah, hoffte ich, es würde mal eine Konserve davon geben jetzt ist sie da. Tja: toll. Ich bin sehr glücklich mit der DVD. Albert Maysles hat sie gefilmt – der berühmte Dokumentarregisseur, der „Grey Gardens“ gemacht hat (und „Gimme Shelter“ – Anm.), für mich ging da ein Traum in Erfüllung. Und das großartige Theater, in dem wir gefilmt haben, das Pabst Theater in Milwaukee. Ich liebe Europa -Paris, London, Mailand – aber den amerikanischen Mittelwesten umgibt eine Art Mystik … Weil diese Gegend so abgelegen ist und undefinierbar, finde ich sie, ehrlich gesagt, noch einen Tick faszinierender. Die Show ging über zwei Stunden, eine gesangliche Tour de force. Wie fertig warst du da jeden Abend? Konntest du noch atmen? Die Wahrheit ist, dass die Leute meist nur an der Oberfläche dessen kratzen, zu was der Mensch fähig ist. Ein paar Wochen lang war es wirklich heftig. Aber der Körper passt sich an, und man gewöhnt sich. Ich finde es sehr wichtig, dass man sich immer wieder an Grenzen schubst – nicht als Selbstzweck natürlich. Man muss auch entspannen können. Ich bin zum Beispiel extrem faul. Ich räume nie auf, ich wasche nie, ich spüle nie gottlob habe ich einen deutschen Freund. Verfügt er über die deutschen Tugenden? Ja, er ist eine klassische deutsche hausfmu. Gottlob. Sonst würde ich wohl rumlaufen wie Chewbacca aus „Star Wars“. Apropos: Ist der Bart noch dran? Oder hast du dir den nur stehen lassen, um bei der Premiere einen überzeugenden Verdi abzugeben? Der Bart ist ab. Ja, der war für Verdi. Und er war etwas zusätzliches, hinter dem ich mich verstecken konnte im Umgang mit dem Orchester, den Sängern, all den Leuten. Mit dem Bart konnte ich mich ein wenig … weiser fühlen, haha!