Roxy Music 80


Vor gut einem Jahr überraschen Roxy Music ihre Fans nach einer längeren kreativen Pause wieder mit einer LP und einer anschließenden Tournee. Bryan Ferrys Elan reichte jedoch noch weiter. Er motiviert die Band für die LP mit dem vitalen Titel FLESH AND BLOOD und für eine neue ausgedehnte Tour. Und diese findet in diesem Jahr unter der MUSIK EXPRESS-Logo statt. Veranstalter Fritz Rau buchte diesmal die großen deutschen Hallen! Beim ME-Interview kurz vor Redaktionsschluß hatte Bryan Ferry jedoch gerade das Schallplattencover in Druck gegeben und somit die LP ad acta gelegt. Jetzt erwartete er die ersten symbolischen Tritte seines Managers, sich konkret mit Tournee zu beschäftigen...

Als ich Bryan Ferry vor drei Jahren das erste mal traf, starrte er während der Denkpausen immer durch die Fensterfront des Konferenzzimmers seines Managements auf die Kingsroad hinunter. Er denkt viel nach, während er antwortet. Er ist ein wenig zappelig. Der Stress der Schallplattenproduktion liegt hinter ihm, außerdem eine Fahrt von seinem Landhaus in die Londoner Innenstadt. Vor ihm liegt die Tourneeplanung und er ist sich noch nicht ganz sicher, wer den harten Roxy Music-Kern,  Phil Manzanera, Andy Mackay, Paul Thompson und ihn, auf der Tournee noch begleiten wird. Ob Bassist Gary Tibbs und Keyboardmann Dave Skinner wieder dabei sind, konnte er beim besten Willen noch nicht sagen.

Ob er sich denn einigermaßen zu der Produktion einer weitern Roxy-LP aufraffen konnte, wollte ich von ihm wissen. Er grient. „Nun es war schwerer als beim letztenmal, was die Motivation angeht,“ gibt er zu. Für mich muß immer etwas Neues om Spiel sein:  entweder, mit neuen Leuten zu spielen , oder, wie damals bei MANIFESTO, nach Jahren wieder ein Roxy Music Album einzuspielen. Diesmal ging es eben nur darum, eine neue R.M.-LP zu machen. Ich brauchte schon eine Weile, ehe ich mich ganz hineingefunden hatte. Anfangs steckst du ja immer voller Zweifel, ob du’s auch richtig machst. Aber als wir die Hälfte fertig hatten, war ich wirklich hundertprozentig dabei. Ich bin sehr zufrieden mit der LP, finde sie sogar besser als MANIFESTO. Die Musik ist besser, die Songs sind einfach stärker.“ FLESH AND BLOOD heißt das neue Werk. (vergl. Longplayers). Das Cover zeigt eine klinisch attraktive Damenriege in kurzen weißen olympischen Hemdchen und Speerwurf-Pose. Ich sage „sehr olympisch“ und denke an das Dritte Reich. „Very Leni Riefendstahl“, kommt mir Bryan da schon zu Hilfe. Wie kam er gerade auf diesen Titel? „Ein Song heißt so, der erste Teil auf dem ich Gitarre spiele. Ich habe mir doch eine Gitarre gekauft, „ sagt er offensichtlich in dem Bewußtsein, daß man dies wohl nicht von ihm erwartet hätte. „Du?“ entfährt es mir dann auch dann sofort. Er lacht. „Ich hab‘ es ausprobiert, als ich abends mal mit dem Toningenieur im Studio war. Es klingt gut! Fast wie Heavy Metal.“ Er muß wieder lachen: „Ich laß‘ mir jetzt die Haare wachsen, zieh mir schwarzes Leder an und kaufe mit so ein Lederarmband mit Metallnieten darauf, wie nennt man die…?“

Dann überrascht er mich mit diesem Wunsch, einmal bei einem Festival aufzutreten. Es reicht ihnen nicht, immer in denselben Hallen zu spielen. Hat er die Einstellung gegenüber seiner Musik geändert? Eine Frage, die nach zehn Jahren vielleicht nicht uninteressant ist. „Es  sind ganz genau erst neun,“ korrigiert er mit ironischer Befriedigiung wie jemand, dessen 30. Geburtstag noch ein ganzen Jahr auf sich warten läßt. !Ich will perfekter werden, aber die Einstellung hat sich eigentlich nicht geändert. Ich tendiere noch immer zum Introvertier – aber ich finde, das ist nichts Schlechtes. Ich bin noch immer gern dabei. Die Arbeit an der letzten LP hat mir sehr gefallen. Ich war damit auch wieder in New York zu Abmischen“.

Bryan liebt New York als Stadt für Singles, in der man gut auf kreativer Basis arbeiten kann. „Zur Hälfte lebe ich  schon dort,‘ meint er und schwärmt von den Studios in N.Y. Jahrelang habe er sein Management bekniet, dort ein Büro zu eröffnen. Nun hat es wohl endlich geklappt. Robert Fripp, ebenfalls bei E.G. unter Vertrag, hat sich ja schon vor Jahren in New York niedergelassen und dort wertvolle Inspirationen aufgefangen.

Diese kreativen Vibrationen weiß auch Ferry zu schätzen. Nur betrachtet er die dortigen jungen, experimentell und avantgardistisch orientierten Bands inzwischen mit der Haltung eines Mannes, der mit diesem Thema eigentlich schon abgeschlossen hat: ,,Ich stehe diesen Gruppen ein wenig zynisch gegenüber, denn ich finde diese Art von Musik ziemlich leicht. Das New Yorker Publikum läßt sich schnell von irgendwelchen Dingen, die attraktiv klingen, anmachen, nur weil sie irgendwie bizarr sind. Aber was soll’s, wir leben schließlich in einer freien Welt… Ich finde es nur viel schwerer, einen Song zu schreiben, der eine größere Zahl von Leuten anspricht.“ Aber ihr habt doch auch mal auf der sogenannten non musicians-Basis angefangen… „Deshalb verstehe ich die Position dieser Bands ja auch gut. Aber damals war es für uns eben auch viel einfacher als heute. Man muß sich in acht nehmen vor allzu modischen Dingen. Es ist heutzutage schwer, ein guter Songschreiber zu sein, weil alles genauso schnell wieder unmodern wird, wie es in Mode kommt.“

Die Frage, wie die Band „zusammen“ ist, kann er nicht schlüssig beantworten. Er zählt viele namhafte Studiomusiker auf, die auf der neuen LP mitspielten, so daß ich ihn frage, ob dies wirklich ein definitives Roxy Music-Album sei oder nicht vielleicht doch eher eine Bryan Ferry-LP. Es sei schon ein echtes Roxy-Album, versichert Bryan, denn schließlich seien Phil und Andy dabei. Außerdem sei die Grenze für ihn in der Beziehung zur Zeit doch fließend. Wenn es nach ihm ginge, er würde liebend gern schon morgen wieder ins Studio gehen. Aber da er gerade sechs Monate harter Arbeit hinter sich und die Tournee vor sich hat, und außerdem dafür erst wieder einen Haufen Songs schreiben müßte… vielleicht schaffe er es bis Weihnachten.

Die neue LP liegt ihm zur Zeit natürlich vorrangig am Herzen. „Die amerikanische Firma ist ganz begeistert, dies sei das beste, was wir in den vergangenen fünf Jahren gemacht hätten.“ Und ironisch fügt er hinzu: „Sie sagen auch, dies könne unser Durchbruch in den Staaten werden.“

Übrigens sind diesmal zwei Oldies dabei. Einmal der Byrds-Klassiker ,,Eight Miles High“ und Wilson Picket’s ,,Midnight Hour“. Diesen Titel hatten Roxy Music schon Ende des Jahres für eine Video-Show aufgezeichnet, die das englische Fernsehen zu Silvester ausstrahlte. In dem Zusammenhang auf Video-Produktionen ganzer LPs (nach Blondies Muster) angesprochen, meint Bryan: „Ich würde lieber zu jedem Album einen kleinen Film machen. Auf einer grossen Leinwand wirkt das doch viel besser!“ Apropos Film: Für das französische Fernsehen drehte Ferry unlängst einen lockeren Unterhaltungsstreifen. (Melody Maker: ,,Soap Opera“). ,,Ich hab ihn noch nicht gesehen,“ sagt Ferry. „Im Büro haben sie hier zwar ein Video davon, aber ich hab’s mir noch nicht angeschaut. Will ich auch nicht!“ Die Arbeit daran hat ihm Spaß gemacht, aber jetzt kann er die Scheu nicht überwinden, sich das Ergebnis auch anzusehen.

Trotzdem sieht er im Medium Film für sich durchaus eine Perspektive. Er mag die neue deutsche Generation von Regisseuren. Allerdings ist er es inzwischen so sehr gewohnt, schaffensmäßig sein eigener Herr zu sein, daß es ihm wohl Probleme bereiten würde, sich so ohne weiteres einem fremden Projekt unterzuordnen. „Ich würde gern in einem Film spielen, in dem es gute Dialoge gibt. Das vermisse ich heute sehr oft. Viele meiner alten Lieblingsfilme haben großartige Dialoge, aber die meisten Streifen heutzutage haben ein schreckliches Drehbuch. Ich glaube, es herrscht zur Zeit ein großes Bedürfnis nach Filmen für ein intelligentes Publikum. Nicht zu sentimental, nicht zu bombastisch, mit guten Texten. Woody Allen versucht soetwas, obwohl ich finde, daß er sich auch ständig reproduziert. Es ist schwer, gute Filme zu machen, denn die Filmindustrie besteht aus einer Ansammlung von Leuten, die mehr von Scheckbüchern verstehen als von Shakespeare.“ – „Wie das Musikbusiness,“ werfe ich ein. „Ja, deshalb gibt es jetzt auch so viele kleine Labels. Die großen Firmen wollen garantierten Erfolg mit Fleetwood Mac und den Eagles. Ich war diesen Gruppen gegenüber vor Jahren noch viel negativer eingestellt. Inzwischen hege ich für die Eagles sogar eine Art von Respekt. Es geht mir nicht um ihre Art von Musik, ihre Platten setzen ja auch nichts Weltbewegendes mehr in Gang. Aber sie spielen eben sehr gut, und als Musiker muß ich das respektieren. Ich höre, ehrlich gesagt, lieber dies als Hintergrundmusik als irgendein Geräusch, das irgendwelchen Leuten als künstlerisches Statement dient.“

Was hältst du in diesem Zusammenhang von Enos ,Ambient Music?“ frage ich. Nach all den Jahren kann man Bryan Ferry vielleicht auf seinen alten Konkurrenten einmal ansprechen, denke ich mir. „Oh, das ist gute Backgroundmusik. Er versteht es sehr gut, angenehme Soundstrukturen zu erarbeiten. Ich finde das aber sehr simpel ich weiß, daß es sehr simpel ist. Es ist ganz nett, aber ich bin erstaunt über einen derartigen Erfolg. Es ist ein reiner PR-Erfolg. Ich meine das wirklich nicht böse, ein bißchen zynisch vielleicht, aber er hat die besten PR-Leute.“ „Als er vor Jahren bei euch ausgestiegen ist, habt ihr damit gerechnet, daß Eno irgendwann eine so wichtige Rolle in der Entwicklung der elektronischen Musik spielen werde?“ Bryan reagiert tatsächlich verletzt, die Stimme verrät es: „Ich finde nicht, daß Eno wichtig ist. Er ist sehr erfolgreich.“ „Aber er hat doch viele Musiker beeinflußt, unter anderem auch Robert Fripp.“ „Na gut, aber das bedeutet nicht viel,“ Bryan lacht wieder. Mir dämmert, daß Fripp und Ferry sich gegenseitig auch nicht für voll nehmen. „Fripp hat jemanden gefunden, dem er folgen kann,“ meint Bryan dazu. „Er ist ein sehr guter Gitarrist, aber ohne eigentliche Richtung.“ Er überlegt wieder lange. „Nun, Eno ist auf eine stille Art sehr ehrgeizig, er war es immer. So gesehen überrascht es mich überhaupt nicht.“

Mich interessiert noch das neue Styling der Band. Legt Bryan überhaupt noch übermäßig Wert auf diese Äußerlichkeiten? „Es ist nicht mehr so wichtig. Solange es gut ist, kann es alles sein. Ich halte es für zu gefährlich, dem zuviel Bedeutung zuzumessen. Es gibt inzwischen schon so viele, die mit visuellen Dingen schockieren wollen. Die ganze Sache ist irgendwie zu spleenig geworden. Darum finde ich es gar nicht schlecht, jetzt eine leicht konservative Haltung einzunehmen.“

Es gibt eine neue in crowd, in der sich Bryan Ferry offensichtlich nicht mehr wohlfühlt. Zum erstenmal beschäftigt er sich in diesem Jahr auch mit der Idee, fremde Gruppen zu produzieren. Anfangs nur Singles und nur Mädchenbands. Girls, Girls, Girls… Roxy Music wird im nächsten Jahr zehn Jahre alt…