Interview

Romy Madley Croft im Interview: „Ich fühle mich bereit“


Ein Gespräch über Emotionen im Club, großartige Popsongs, Neustarts und Romys Debütalbum MID AIR.

Die Summe ihrer Teile: Jamie xx hat sich schon vor mehr als zehn Jahren von seiner Stammband The xx emanzipiert, sich als Remixer, Produzent und Solokünstler einen sehr guten Namen gemacht. Im vergangenen Herbst zog Oliver Sim nach, doch sein von Jamie xx produziertes Album HIDEOUS BASTARD fand wenig Beachtung. Als dritte im Bunde wagt sich nun Romy Madley Croft allein ins Rampenlicht.

Romy Madley Croft ging noch zur Schule, als sie ihre Band gründete. Ein dorky Kid, das mit einem anderen dorky Kid traurige Songs im Jugendzimmer aufnahm. Meistens wird aus dieser Geschichte nichts, man wird erwachsen, macht eine Ausbildung oder geht zur Uni, die einstigen besten Freund:innen werden zu Bekannten, mit denen man jedes Jahr wieder zu Weihnachten die Kneipe im Heimatort unsicher macht.

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Der große Hype

Nicht so bei Romy, ihr Vor- und auch ihr Künstlername: die Schülerband hieß The xx, das 2009 erschienene Debütalbum war das, was man einen „instant classic“ nennen würde. Der Hype war riesig, die erste Tour schon schnell ausverkauft – in Berlin etwa spielten sie ihr erstes Konzert gleich im legendären Lido, danach sah man Mitgründer Oliver Sim hektisch vor der Tür rauchen und das Publikum fragen, ob die Show denn wirklich gut war? War sie. Und sollte nicht die letzte sein. Über die folgenden acht Jahre sollten noch viele, viele Konzerte auf dem gesamten Globus folgen, zwei weitere Alben, Preise, Festivalauftritte und irgendwann sogar ein eigenes Festival. Vielleicht ist es das, was man einen Wirbelwind nennt.

Vierzehn Jahre ist das nun her. Vierzehn Jahre, seit vier, und sehr schnell dann auch nur drei schwarz gekleidete Kids aus dem Süden Londons mit einem maximal minimalistischen Sound voller Sehnsucht und Melancholie etwas schufen, was wirklich neu und aufregend klang. Vierzehn Jahre, in denen erst Beatmaker und Produzent Jamie xx mit eigenen Projekten wie einer DJ-Karriere, Remix- und dann auch einem Soloalbum reüssierte, und dann, nach einer langen Tour zum dritten Album, I SEE YOU, die Band 2018 in eine kreative Pause verschwand. Oder sollte das schon das Ende sein? Dazu später mehr, aber so viel sei schon mal gesagt: manchmal soll eine Beziehungspause genau das Richtige sein, um mit neuer Kraft weiterzumachen.

Jetzt erst einmal: Bühne frei für Romy Madley Croft. Croft, die gerade mal 19 oder 20 war, als sie das erste Mal durch die Welt tourten. Croft, die mit ihrem besten Freund zusammen eine Band gründete und sich niemals hätte vorstellen können, was daraus erwachsen würde.

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„Ich bin einfach ein neugieriger Mensch“

ROMY: „Wenn ich an die Musik denke, die wir als Teen­ager gemacht haben – ich bin so stolz auf uns. Ich kann gar nicht glauben, dass wir diese Musik gemacht haben, es fühlt sich an, als wäre das ein anderer Mensch gewesen. Dein Teenage­-Ich fühlt sich manchmal wie ein ziemlich entfernter Mensch an. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass The xx den Status erreichen, den wir erreicht haben. Die Anzahl an Menschen, die wir mit unserer Musik ange­sprochen haben, ist einfach unvorstellbar. Ich bin dafür so dankbar! Aber nach dem dritten Album hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich neugierig darauf geworden war, Neues zu lernen, neue Inspiration zu finden und neue Leute kennenzulernen. Ich bin einfach ein neugieriger Mensch! Und ich hatte bis dahin immer nur mit Oliver und Jamie gearbeitet.“

Diese Suche nach etwas Neuem hat jetzt Form angenommen: MID AIR, das Romy-Soloalbum. Der Grund, warum Romy an einem grauen Sommertag an einem runden Holztisch in Berlin sitzt, noch etwas schüchtern. Nicht, dass sie keine Erfahrung mit Interviews hätte – sie hat sicherlich schon Dutzende, wenn nicht Hunderte im Laufe ihrer Karriere gegeben. Aber sie hatte immer ihre Bandmates dabei, Oliver und Jamie. Und es war Musik, die sie zu dritt geschaffen haben. Ganz allein, für ein Album, dass sie allein verantwortet und dass ungleich offener mit ihrem privaten Erleben umgeht, das ist eine neue, eine ungewohnte Erfahrung. Croft ist dabei nun die Letzte aus dem Trio, die ein Soloalbum vorlegt. Natürlich, wie auch ihr Kollege Oliver Sims schon im letzten Jahr, ebenfalls über ihr Haus- und Hoflabel Young. Familie muss sein. Aber gab es da ein Gefühl, mit den Bandkollegen gleichziehen zu müssen?

„Ich hatte mir kein Soloprojekt vorgenommen, ich wollte eigentlich Songs für andere schreiben. Als ein Weg, Musik zu schreiben ohne Druck. Und dabei ist mir aufgefallen, dass ich sehr persönliche Musik schreibe und Menschen in meinem Umfeld haben mich gefragt, ob ich diese Songs wirklich aufgeben will. Es hat eine Weile gedau­ert, bis ich an dem Punkt war zu sagen: Ich will dieses Projekt wirklich umsetzen, ich fühle mich bereit.“

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„Ich habe gelernt, wie großartig Popsongs sein können“

Still und fernab des Rampenlichts hatte Romy schon zu The-xx-Zeiten begonnen, auch für andere Songs zu schreiben. „Als Weg, mich auszudrücken, ohne dass der Druck darauf lastet, dass es ein ‚The xx‘-Song werden muss“, erklärt sie, „ich habe dabei gelernt, wie großartig Popsongs sein können.“ Popsongs, die dann auch Teil ihrer DJ-Sets wurden, als es sie vor fünf Jahren nach über einem Jahrzehnt wieder in eine DJ-Booth verschlug: „Ich habe mit 17 angefangen aufzulegen, aber dann auch jahrelang nicht mehr. Am Ende der letzten The-xx-Tour habe ich wieder damit angefangen, auch, weil ich wieder diese Neugierde, diese Lust auf Musik wiederfinden wollte. Wenn ich auflege, höre ich ganz anders, ganz intensiv auf Musik, fange an, neue Sachen zu suchen.“

MID AIR ist inspiriert von diesen Erfahrungen, von dunklen Clubs und queerer Euphorie auf dem Dancefloor. Von großen Emotionen und der Befreiung, die im Exzess liegt.

„Ich habe ziemlich lange gebraucht, für mich herauszufinden, was ich will. Ziemlich früh wusste ich, was meine Referenzen sein sollten, welche Songs ich liebe, aber es hat lange gedau­ert, das Selbstbewusstsein zu entwickeln, auch wirklich dazu zu stehen, dass das etwas ist, was ich machen will. Meine Inspiration waren queere Liebeshymnen und Clubklassiker, große, emotionale Trance­Tracks, die zum Feiern gedacht sind, die Gemeinschaft zelebrieren und so großzügig sind in dem, was sie dem Publikum geben. Songs mit tollen Lyrics, wie zum Beispiel ‚The Rhythm Of The Night‘. Das ist ein fantastischer Dance­ song, aber er funktioniert genauso gut am Piano. So etwas fasziniert mich.“

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Für diesen Sound hat Croft den perfekten Kooperationspartner gefunden: Neben Jamie xx (natürlich) und Stuart Price, Madonna-Produzent und Teil von Zoot Woman, ist das Album vor allem in Zusammenarbeit mit Produzent und Elektro-Singer-Songwriter Fred Again.. entstanden. Was natürlich wie ein zeitgenössisch kalkulierter Musikbusinessmove klingt, ist tatsächlich ganz organisch gewachsen:

„Ich habe Fred vor fünf Jahren bei einer Songwri­ting­-Session kennengelernt, wir haben beide für andere geschrieben. Das war lang bevor er seine Solosachen aufgenommen hat. Ich wusste, dass er einige unglaublich gute Popsongs geschrie­ben und produziert hatte und wir wurden richtig gute Freund:innen. Wir haben viel zusammen geschrieben und einiges davon wurde ziemlich persönlich. Irgendwann haben wir ‚Love Her‘ geschrieben, was jetzt der erste Song auf dem Album ist. Er hat mich gefragt: Für wen ist das? Und ich habe geant­wortet: Vielleicht für mich. So hat die­ser Prozess begonnen. Irgendwann hat er mir gezeigt, woran er arbeitet, und ich konnte ihm nur sagen: Mach das auf jeden Fall weiter, es ist so gut! Ich habe mich so für ihn gefreut, dass er sei­ne Zeit auf sein eigenes Projekt verwen­det hat, weil er vorher immer anderen Menschen viel Zeit geschenkt hat. Ich bin so stolz auf ihn!“

Also musste MID AIR noch eine Weile warten, bis es das Licht der Welt erblicken konnte. Trotzdem klingt das Album extrem zeitgenössisch und reiht sich geradezu nahtlos in das derzeitige Rave- und Trancerevival, mit Anleihen aus House und großen Popgesten. Crofts prägnante gehauchte Stimme wird gelooped und mit zackigem Drumbass und mal flackernden, mal sphärischen Synths unterfüttert. Das könnte nach Bubblegum-Pop klingen, der morgen schon wieder vergessen ist, wären da nicht die intensiven Texte, allen voran „Enjoy Your Life“, dessen von Crofts Frau produziertes Video auch Bilder von deren verstorbener Mutter einbaut wie auch Momente unbeschwerter Leichtigkeit. Auch auf der Soundebene verschwimmen Leben in- und außerhalb des Dancefloors, Töne vom Handy, aus dem Privatleben, wie Bandkollege Sims, der sie auf ihrem Junggesellinnenabschied ruft, wirken wie ein aufgedrehter Moment in der Clubschlange. An anderer Stelle wird es ganz sakral mit choralem Gesang, der den Albumtitel MID AIR aufnimmt, diesen Schwebezustand, den eine euphorische Nacht im Club auslösen kann. Aber warum ist ausgerechnet das Nachtleben so bestimmendes Thema des Albums geworden?

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„Ich mag es, auszugehen, zu beobachten und alles aufzunehmen“

„Ich habe verstanden, dass der Club ein Raum ist, in dem ich einen Zugang zu meinen Emotionen finden kann. Ich bin kein Mensch, der ausgeht und sich dann total abschießt und sich nicht mehr an den Abend erinnert. Ich mag es, auszugehen, zu beobachten und alles aufzunehmen. Viel­leicht nach ein paar Drinks ein wenig meine Hemmungen loszulassen, denn ich bin ein Mensch, der im Alltag oft Emotionen herunterschluckt. Ich mag das Gefühl der Befreiung im Club, die Gespräche im Raucherbereich oder auf dem Dancefloor, wenn man loslässt und sich sei­nem Gegenüber öffnet.“

Es sind diese Momente, an denen man ganz und gar im Jetzt aufgeht, in der Nacht, in der Gemeinschaft mit anderen Nachtschwärmer:innen vielleicht sogar Heruntergeschlucktes verarbeiten, Frieden schließen kann. Mit sich, mit seinen Erfahrungen, mit der Welt. Zumindest war Romys Erfahrung so. Und seit der Veröffentlichung von „Enjoy Your Life“, zweifelsohne dem zentralen Song auf MID AIR, wandern diese Gespräche zwischen Dancefloor und Raucherbereich auch noch auf eine andere Ebene: Hörer:innen sprechen sie auf den Song an und teilen ihre eigenen Erfahrungen mit Verlust und Trauer. „Das ist… unfassbar“, sagt Romy, „so surreal und so berührend.“ Full circle, könnte man sagen, der Kreis schließt sich.

Full Circle, das bringt uns auch schon wieder zurück zu dieser anderen Band, die Romys gesamtes Erwachsenenleben bestimmt hat. Scrollt man durch ihren Instagram-Account, finden sich Hunderte, wenn nicht Tausende Kommentare, die darum betteln, dass The xx wieder zusammenfinden solle. Statt dem Publikum zu geben, wonach es sich sehnt, veröffentlicht Romy nun dieses doch sehr, sehr anders klingende Album, mit dem sie sich als Individuum vom Bandkollektiv abgrenzt. Wie geht man mit diesen Erwartungen um?

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Ganz anders als The xx

„Ich sehe all diese Nachrichten und ich nehme es nicht für selbstverständlich, dass die Leute da draußen sich immer noch für The xx interessieren. Obwohl wir seit geraumer Zeit keine Musik mehr veröffentlicht haben. Gleichzei­tig wusste ich, dass, wenn ich selbstbewusst genug sein wollte, ein Soloprojekt zu beginnen, es ganz anders sein müsste als The xx. Ich hätte ein paar Gitarrenballaden schreiben können und wäre sehr viel schneller damit fer­tig gewesen, aber ich wollte mich selbst herausfordern und etwas anderes machen.“

Bedeutet das, dass die Ära von The xx endgültig vorbei ist? Nein, ganz im Gegenteil: Etwas anderes zu machen bedeutete für Romy, wieder Lust darauf zu haben, in die geteilte Welt von The xx einzutauchen. Gemeinsam, als Band. Und so steht das Trio auch schon wieder zusammen im Studio, während sie da draußen ihren individuellen Sound, ihre individuelle Befreiung feiert. Zusammen, und doch für sich. Irgendwo dazwischen, aber voller tief empfundener Euphorie schwebend „mid air“.

Hört hier in Romys MID AIR rein:

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