Roger Hodgson
Supertramp am Scheideweg? Wie es ohne den Gruppen-Flüchtling Hodgson mit den erfolgsverwöhnten Sound-Tüftlern weitergeht, steht in den Sternen. Allerdings verrät Roger im großen ME/ Sounds-Interview, was ihn zum Ausstieg bewog - und wie er ähnliche Sackgassen in der Zukunft vermeiden will.
ME/Sounds: Was trieb dich zu der Entscheidung. Supertramp zu verlassen?
Roger: „Auszusteigen‘ (Lacht) Ich habe mich eingeschränkt, beengt gefühlt. Ich fühlte, daß ich stagnierte, mich seit drei Jahren nicht mehr weiterentwickelte. Ich wollte mit anderen Musikern arbeiten.
Jetzt bin ich ungemein glücklich über die Entscheidung. Seit sie gefallen ist, geht es in meinem Leben wieder aufwärts. Meine Musik hat sich explosionsartig nach vorn entwikkelt.“
ME/Sounds: Konntest du deine Musik mit Supertramp nicht mehr verwirklichen 9 Roger: „Nein, nicht wirklich, nein. Supertramp ist eine Band, die alle drei Jahre eine LP veröffentlicht, im besten Fall alle zwei Jahre. Wenn ein Album erscheint, ist die eine Hälfte der Songs von mir, die andere Hälfte von Rick. Das bedeutet; alle drei Jahre fünf Lieder.
Ich habe aber schon über 70 Songs in meiner Schublade, fertig komponiert. Sie warten alle darauf, veröffentlicht zu werden. Das würde bedeuten, nur einmal angenommen, ich schreibe ab sofort nichts mehr, daß erst etwa im Jahre 2000 alle Titel auf Platte erschienen wären.“
ME/Sounds: Und du konntest die Gruppe nicht dazu bewegen, mehr LPsaufden Markt zu brmpen?
Roger: „Nein, aber es war auch mehr als nur das. Es ist ein sich ständig wiederholender Mechanismus bei Rockgruppen Wenn man auf dem Weg nach oben ist, hält man zusammen. Wir waren mit der LP BREAK-FAST IN AMERICA noch auf dem Weg nach oben. Dann aber, auf dem Höhepunkt, bekamen wir zum erstenmal richtig zu spüren, was es bedeutet, erfolgreich zu sein.
Die zweite Hälfte der BREAKFAST IN AMERICA-Tour verlief dann sehr schwierig Es war nur noch arbeiten und schuften; der Spaß war vorbei. Damals hätten wir aufhören sollen, vielleicht auch nach neuen Leuten Ausschau halten sollen. Ich jedenfalls hätte damals aussteigen sollen. Das weiß ich heu te. Aber das haben wir nicht gemacht Nach zwei Jahren Pause, nachdem jedei von uns getrennte Wege gegangen war, sich um sein eigenes Privatleben gekümmert hatte, kamen wir wieder zusammen und entschlossen uns, es noch einmal zu versuchen.
Das Ergebnis wurde FAMOUS LAST WORDS. Für mich war es ein gefühlsmäßig traumatisches Album. Ich hatte keinen Spaß dabei. Ich mag die LP nicht. Sie ist inhaltslos, geistig leer.
Ich meine, die Songs sind o.k., aber das Ergebnis hätte viel besser sein können. Ich weiß ja, was ich ursprünglich komponiert hatte, wie ich mir die Musik vorstellte. Außerdem, wenn ich an die Songs denke, die wir noch hatten – die ganze LP hätte ein Meisterwerk werden können.
Aber statt dessen einigten wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. 16 Monate brauchten wir, um die LP aufzunehmen – und es war wenig befriedigend. Dadurch wurde nur dann endgültig klar, daß sich etwas ändern müsse.
Wie das aussehen sollte, war uns zunächst nicht klar – bis Rick und ich entschieden: O.k., hier ist nicht genug Platz für uns beide Ich war wirklich froh, nun sagen zu können. .Dann gehe ich. suche mir neue Musiker und wachse mit neuen Aufgaben, Ich habe darauf gewartet, mich zu entfalten. Lange habe ich darauf gewartet. Natürlich war Supertramp ein wunderbares Vehikel. Aber jetzt brauche ich neue Musiker.“
ME/Sounds: Was konkret meinst du damit, wenn du sagst, es gab keinen Spaß mehr?
Roger: „Nun, jede Band braucht einen Grund, um zusammenzubleiben“
ME/Sounds: Und bei Super tramp gab es keinen Grund mehr 7 Roger: „Als Supertramp wirklich zusammen war, vor BREAKFAST IN AMERICA, da haben wir gemeinsam gekämpft, um nach oben zu kommen. Das ist ein Grund. Für viele Bands ist es ebenso. Man kämpft zusammen, steht zusammen, weil man nur so gegen die Welt bestehen kann.
Wenn man es dann geschafft hat, wenn man erfolgreich ist und das große Geld verdient, dann ist man natürlich freier. Jeder kann seine Freiheit genießen, man braucht sich nicht mehr gegenseitig. Und das ist der wirkliche und größte Test für jede Band. Denn dann gibt es keinen echten Grund mehr, weiter gemeinsame Sache zu machen. Viele Bands machen da weiter, Jahre um Jahre, lassen sich nicht irritieren – weil es für sie eine Art Sicherheit ist. „
ME/Sounds: Vielleicht auch gezwungenermaßen, durch Verträge etwa. .
Roger: „Auch, aber viele auch aus Angst vor der Zukunft. Viele Musiker sind nicht so großartig wie die Gruppe ist, in der sie spielen. Darum machen sie weiter. Das sichert ihnen den Lebensstil, das Einkommen. In dem Augenblick, in dem sie die Band verlassen, müssen sie auf ihr Einkommen verzichten „
ME/Sounds: Das mag für andere Musiker zutreffen, für dich aber sicher nicht. Du hast die Songs geschrieben, die Supertramp erfolgreich gemacht haben. Wenn du jetzt die Gruppe verläßt, geht mit dir vielleicht auch der Erfolg.
Roger: „Gut, aber das muß nicht so sein.“ ME/Sounds: In demem Fall ist es doch vielleicht so, daß du nicht die Band brauchst, aber die Band dich.
Roger: „Was soll ich dazu sagen? Die Zeit wird es zeigen. Ich habe eine Solo-LP fertig, sie wird in den nächsten Tagen erscheinen. Es ist die beste Platte, die ich jemals gemacht habe. Es hat mir unheimlich Spaß gemacht.“
ME/Sounds: Hast du dabei mit den Musikern gespielt, mit denen du immer schon arbeiten wolltest 7 ‚ Roger: „Ich habe fast alle Instrumente selbst gespielt. Als Schlagzeuger machte der alte Santana-Drummer Michael Shrieve mitauf einigen Titeln. Und dann engagierte ich noch einen Saxophonisten für einige Songs.“
ME/Sounds: Was macht Michael jetzt, ist er Studiomusiker 7 Roger: „Michael und ich wollen eine LP zusammen machen. Es werden sicher auch noch ein paar andere Musiker mitmachen. Ich habe eine Menge Ideen. Dann möchte ich gerne mit Steve Winwood sprechen. Vielleicht ist er bereit, mitzumachen.“
ME/Sounds: Wie würdest du die Musik auf deiner Solo-LP bezeichnen 9 Rockiger als Supertramp 9 Roger: „Schwer zu sagen, sie hat etwas von allem. Einerseits sehr rockig, weil ich überwiegend Gitarre spiele – mehr als jemals zuvor. Aber es ist auch eine sehr gefühlvolle LP. Der Bogen reicht vom härtesten Rocksong, den ich jemals geschrieben habe, bis zum gefühlvollsten Titel, den ich gemacht habe“
ME/Sounds: Wie lange hast du an dieser LP Gearbeitet?
Roger: „Es war ein Blitzprojekt für mich, Ich habe drei Monate hart gearbeitet, gönnte mir nur zwei freie Tage und wurde mit dem letzten Song an dem Morgen fertig, an dem ich Los Angeles verließ, um die Supertramp-Europa-Tournee in Stockholm zu starten Das Album wird wahrscheinlich heißen SLEEP-ING WITH THE ENEMY „
ME/Sounds: Wer ist der Feind für dich 9 Roger: „Das können verschiedene Dinge sein. Stagnation, Stillstand, Komfort – Dinge, die das Geld und der Erfolg bringen Das Schlimmste, was einem Musiker oder jedem kreativen Menschen passieren kann, ist der Erfolg. Das ist der größte Test, weil du in eine Falle tappst. Du umgibst dich mit Autos und ähnlichem Luxus – und bevor du es weißt, ist deine Musik tot. Du hast plötzlich keine Zeit mehr für das, was du eigentlich machen willst. Da muß man eine verdammt starke Persönlichkeit sein, um damit fertigzuwerden, das eigene Leben zu organisieren, damit du wieder kreativ sein kannst.“
ME/Sounds: War es eure eigene Entscheidung, jetzt auf Tournee zu gehen 9 Roger: „Ja, eigentlich schon. Ich war der Meinung, daß wir mit FAMOUS LAST ¿ WORDS auf Tournee gehen sollten Ich meine, eine LP und eine Tournee sollten immer eine Einheit sein. Ich bin nicht glücklich darüber, daß diese Tour erst so spät über die Bühne geht.
Aber ich bin froh, daß es letztlich doch noch klappte. Eine Menge Fans warten auf uns schließlich seit zwei oder drei Jahren. Und es ist gut, daß wir eine letzte Tournee machen, bevor der große Wechsel kommt,“
ME/Sounds: Wirst du mit deiner neuen Band mehr Konzerte geben als Supertramp?
Roger: „Ich werde sehr hart arbeiten, weil mir die Arbeit Spaß macht. Das war für mich auch ein Grund, Supertramp zu verlassen. Jeder in der Band ist so verschieden, wir hatten nie eine gemeinsame Basis, nie einen gemeinsamen Lebensstil, brachten nie dieselbe Verantwortung für unsere Musik auf.
Ich meine, man sollte sich für seine Musik verantwortlich fühlen, etwas Positives damit erreichen wollen. Für mich ist die Musik nicht nur ein Mittel zum Zweck, um Geld zu machen oder Spaß zu haben. Ich glaube auch an die Wirkung der Musik. Ich habe in den 60er Jahren miterlebt, welche Wirkung Musik auf die Welt haben kann, speziell die Wirkung, die John Lennon hatte, nur weil er ehrlich zu sich selbst war und weil er sagte, was Sache war – nicht wie ein Priester, sondern wie ein normaler Mensch.
Und das versuche ich für mich selbst zu verwirklichen. Ehrlich zu mir selbst zu sein und es durch die Musik auszudrücken.
Nirgends sehe ich die Wahrheit. Die Politiker belügen uns, das Fernsehen ist in der Hand der Politiker und der großen Konzerne, die Zeitungen gehören reichen Verlegern. Die einzige freie Stimme, die es in der Welt noch gibt, gehört den Musikern, den Künstlern – aber nur Musiker erreichen die Masse, ein breites Publikum.
Die Kunst reflektiert die Gefühle der Menschen. Politiker nehmen auf die Gefühle der Menschen keine Rücksicht. In den 60er Jahren reflektierte die Musik die Gefühle und dieser Zustand muß wieder hergestellt werden.
Im Augenblick aber entfernt sich die Musik davon. Immer mehr Technik und Computer beherrschen die Szene. Niemand scheint sich wirklich darum zu kümmern, was wirklich passiert. Im Gegenteil, man wendet sich davon ab. Man flieht.
Das ist nicht die Art, wie Musiker agieren sollten. Musiker sollten beteiligt sein. Ich möchte direkt beteiligt sein, wissen, was geschieht. Das konnte ich nicht mit Supertramp verwirklichen. Ich möchte mit Musikern zusammenarbeiten, die ebenso denken und fühlen.“
ME/Sounds: Magst du Tourneen, die so durchorganisiert sind wie diese Supertramp-Tour?
Roger: „Manchmal mag ich es, manchmal nicht. Es ist eine eigenartige Tournee, sehr mit Gefühlen beladen. Es ist die letzte Tour, wahrscheinlich die einzige, bei der Supertramp auch in großen Stadien auftreten. Ich mag keine großen Stadien. Da ist kein Kontakt mehr möglich.“
ME/Sounds: Du wirst also in Zukunft m kleineren Hallen aultreten?
Roger: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich glaube, ich werde die Möglichkeiten der Technik mehr nutzen. Das Fernsehen etwa. Die kombinierte Power von Musik und Film scheint mir optimal zu sein, um etwas auszudrucken. Man kann Aussagen mit Musik verpacken und dazu die entsprechenden Bilder liefern.
Ich glaube auch nicht, daß ich viel Zeit haben werde, um große Tourneen zu machen. In großen Hallen jedenfalls will ich nicht spielen. Andererseits möchte ich natürlich liebend gerne auf die Bühne, Supertramp haben zu wenig Konzerte gegeben und wenn sie unterwegs waren, dann immer gleich diese Gewalt-Tourneen.
Ich muß da erst die richtige Balance finden. Es gibt nichts, was ein Konzert und den Kontakt zum Publikum ersetzen könnte. Darum bin ich auch unterwegs, um mit den Leuten zu reden, herauszufinden, was sie denken, wollen, wovor sie sich fürchten Wo ich lebe, im Norden Kaliforniens, ist es wie im Paradies. Dort kann ich mich erholen. Das brauche ich, um neue Kraft zu tanken, aber dann muß ich raus und es der Welt zurückgeben. Darüber singe ich auch auf meiner Solo-LP, darüber, wo ich jetzt stehe, ohne Supertramp, ohne die Sicherheit der Band im Rücken.“
ME/Sounds: War es für dich eine schwere Entscheidung 7 Roger: „Sie war sehr schmerzhaft, und ich habe lange darüber nachgedacht. Nach der BREAKFAST IN AMERICA-Tour wollte ich schon aussteigen. Aber man hat mich noch einmal überredet Inzwischen aber hat es keinen Sinn mehr, weiterzumachen.“
ME/Sounds: Es gibt also kein Zurück mehr, die Entscheidung ist endgültig?
Roger: „Auf jeden Fall.‘ ME/Sounds: Es gibt Leute, die meinen, das sei nur ein cleverer Trick eines Managers oder von euch, um noch mehr Karten zu verkaufen.
Roger: „Nein. Meine Entscheidung bedeutet auch nicht, daß ich nie mehr etwas mit Supertramp zu tun haben will. Vielleicht frage ich mal John (Helliwell) oder einen anderen, ob er auf meinen Platten mitspielen will – aber das hat nichts mit Supertramp zu tun. Ich habe soviel Pläne, die ich verwirklichen will, daß ich mit der Band nichts mehr unternehmen kann.“
ME/Sounds: Warum habt ihr beide, Rick und du. eigentlich sämtliche Songs für die Gruppe geschrieben?Kam von den anderen nichts 9 Roger: „Doch, aber es war sehr schwer, in Konkurrenz zu meinen und Ricks Songs zu treten – außerdem konnten wir selbst ja nicht einmal alle unsere eigenen Titel unterbringen. Vielleicht kann John auf dem nächsten Supertramp-Album einige seiner Lieder unterbringen – wenn Rick ihn laßt. Aber ich glaube, seine Songs sind eher als Filmmusik geeignet. Doch das ist nicht mehr mein Bier.“
ME/Sounds: Wie wird die Zukunft bei Supertramp aussehen 9 Werden sie für dich einen Nachfolger suchen?
Roger: „Ich glaube, nach dieser Tour setzen sie sich zusammen und beraten darüber, aber wahrscheinlich wird die Besetzung so bleiben. Für Plattenaufnahmen und Tourneen können ja dann immer Musiker engagiert werden. Jetzt haben wir uns ja auch mit zwei Leuten verstärkt.
Das war auch ein Punkt. Über alles wird endlos diskutiert. Nehmen wir beispielsweise die letzte LP FAMOUS LAST WORDS. 16 Monate haben wir an dem Album gearbeitet – es ging alles so langsam voran, bis es schließlich langweilig wurde.
Das soll mir nicht wieder passieren. Das Leben ist einfach zu kurz, um soviel Zeit an einem Album zu verschwenden. Fünf oder sechs Monate hatten wir bislang an einem Album qearbeitet – und die LPs waren gut.
Aber ich meine, sie hätten noch besser sein können, wenn alle in derselben Richtung am selben Strang gezogen hätten.“
ME/Sounds: Warum habt ihr so lange gebraucht?
Roger: „Zum großen Teil lag es daran, daß wir einfach perfekt sein wollten. Aber man kann nur bis zu einem bestimmten Punkt kommen. Alles weitere ist dann schon krank. Alle weiteren Details hört man einfach nicht und jeder Song verliert dann an Gefühl.
Das Gefühl ist wichtig, nicht die technische Brillanz Dafür sollte man die Zeit verwenden. Wenn das Gefühl nicht stimmt, sollte man den Song vergessen und ein anderes Mal drangehen.
Auch die Art, wie wir aufgenommen haben, machte mich verrückt. Erst wurden die Backingtracks aufgenommen, dann die Overdubs, zum Schluß kam der Gesang. Es ist sehr schwer, noch das richtige Gefühl in den Song einzubringen, wenn man ihn schrittweise aufbaut; er nimmt dann eine völlig andere Richtung. Als Sänger mußt du dich dann in ein Konzept zwingen lassen, das du aar nicht gewollt hast.“