Rod Stewart
Selbst Britt, die Traumfrau konnte die rauhe Rockerseele nicht weichklopfen: Rod "The Mod" Stewart blieb sich selbst treu nachdem er im vergangenen Jahr auf den ersten Platz der Rangliste der Rock-Weltstars aufgerückt war und mit seinem in aufregende Trikots gehüllter Körper vom Jet Set umschwärmt wurde. Die jüngste LP "Foot Loose And Fancy Free" lieferte den Beweis: In Rod's Stimme steckt noch immer das Hub: Soul-Feeling, in seinen Songs die Aufrichtigkeit und der Witz der alten Faces-Tage. Franz Schöler beschreibt den Aufstieg eines einzigartigen Rockinterpreten, der bereits mit dem Titel seines ersten Soloalbums alles über sein Leben gesagt hatte: "An Old Raincoat Won't Ever Let You Down".
Es waren nicht einmal dreihundert Besucher, die sich im Rund des Circus Krone verloren vorkommen mußten, als Rod Stewart mit den Faces 1971 zum erstenmal live in München auftrat. Die gähnende Leere der Halle kann auf die Musiker nicht gerade stimulierend gewirkt haben, auch wenn die Gruppe damals noch nicht an ein zu zehntausenden kommendes Publikum gewöhnt war. Gekommen waren nur Kenner, die dem Mod-Rock der Small Faces nachtrauerten. Andere wollten den phantastischen Sänger der ersten beiden Jeff Back-Platten „Truth“ und „Cosa Nostra Beck-Ola“ hören. Die wenigsten waren gekommen, weil sie im Plattenladen unter den zahllosen Neuheiten, die damals im Gefolge des Woodstock-Booms veröffentlicht wurden, die beiden Faces-LPs „First Step“ und die gerade erschienene „Long Player“ gefunden hatten.
Die Stimmung im Publikum war eher locker und nicht besonders erwartungsvoll. Nur wer die ersten beiden Faces-Platten gehört hatte oder zu den schätzungsweise 23 1/2 deutschen Käufern von Rod Stewarts erstem Solo-Album „An Old Raincoat Won’t Ever Let You Down“ zählte, konnte gespannt sein auf das, was dann kam. Man hatte der reformierten Gruppe das Etikett „Ersatz-Stones“ angeheftet, aber Genaueres war nicht bekannt. Das Konzert wurde allen widrigen Umständen zum Trotz eines der größten, die ich je gesehen habe. Höhepunkt wurde die Live-Version. von „Love In Vain“, die dieser Rod Stewart so hinreißend sang, daß man die Stones-Interpretation mit dem Mick Taylor-Solo auf „Get Yer Ya-Ya’s Out“ dagegen glatt vergessen konnte.
Stewart tat damals nicht viel mehr, als die bekannten Bühnen-Manierismen des „Free“-Sängers Paul Rodgers zu imitieren. Im übrigen besaß er längst noch nicht jene Show-Cleverness, mit der er später auch das skeptischste Publikum auf seine Seite brachte. Die Gruppe spielte ihren durch viel Courvoisier und Bier beflügelten Säufer-Rhythm & Blues nach dem Motto ihrer Single „Had Me A Real Good Time“. Die Kameraderie auf der Bühne glich der einer ausgelassenen Fußballmannschaft nach einem 2:1-Sieg. Unterbrochen wurde diese Stimmung nur, als Rod Stewart begann, jenen alten Blues-Standard „Love In Vain“ zu singen, eines von vielen Liedern, das die Stones beim Bluesveteranen Robert Johnson – vornehm ausgedrückt „entliehen“ hatten. Rod sang sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, war konzentriert wie bei den mittlerweile schon legendären Aufnahmen seines ersten Solo-Albums, spielte nicht mehr den trinkfesten Kumpel, sondern war der romantische Liebhaber, der seinem Mädchen nachtrauert, von dem er sich gerade für immer am Bahnhof verabschiedete. Mick Jagger und selbst Autor Robert Johnson, der die Komposition 35 Jahre früher aufgenommen hatte, sangen das Lied nie mit soviel Gefühl.
So erfolglos die Faces damals auch noch sein mochten, klar war, daß dieser Sänger da oben ein Star war und daß sein Kumpel Ron Wood zu jener Rasse von Rock’n Rollern gehörte, die nie aussterben werden. Ich habe als Stones-Fan immer die formale Disziplin und die über bloße Routine hinausgehende Spontaneität bewundert, mit der Mick Jagger so überzeugend seine vielen Show-Rollen spielte, während Keith hinter ihm Monster-Akkorde rauspumpte, die längst zum klassischen Riff-Repertoire des Rock’n’Roll gehören. Rod Stewart besaß damals schon eine Eigenschaft, die Jagger fehlte: Soul und eine gewisse Verletzbarkeit in der raspeligen Stimme. Die „Under My Thumb“- und „Stupid Girl“-Frauenfeindlichkeit der Stones-Texte übersetzte er in seine eigene „Eines Tages werd‘ ich’s ihr zeigen“-Stimmung. Aber gleichzeitig sang er als Kontrast auch immer Lieder nach dem Motto „Sie wird mich ja doch nie erhören!“, und die alte „I’m A King Bee“-Attitüde war bei ihm nie selbstverständlich.
Rod Stewart schämte sich im Gegensatz zu Mick Jagger auch nie, komisch zu wirken, wenn er sich hoffnungslos in ein Mädchen verliebt hatte, das ihn ein ums andere Mal versetzte. Die Faces-Konzerte begannen in der großen Zeit dieser Gruppe zwar immer mit Bobby Womacks durch die Stones populär gewordenem Klassiker ‚It’s All Over Now“, aber Rod Stewart propagierte den Männlichkeitswahn der Rockmusik nie so selbstverständlich, daß man ihm von vornherein den Don Juan abkaufte. Gerade weil er sich verletzbar zeigte, hatte er Erfolg bei Mädchen. Genauso wie bei den großen Soul-Sängern von Sam Cooke und Ray Charles über die Temptations bis hin zu dem weniger trinkfesten Joe Cocker wurde hoffnungslose Liebe nach der Devise „Und trotzdem!“ eines der zentralen Themen, über das er immer wieder sang.
Mit Ausnahme von „Born Loose“ sind die Songs von Rod Stewarts letzter, 1977 veröffentlichter LP „Foot Loose & Fancy Free“ genau solche Lieder. Songs über Mädchen, die er nicht vergessen kann („You’re In My Heart“, „You Keep Me Hangin‘ On“), lieber vergessen würde („You Got A Nerve“, „You’re Insane“) und bei denen er sich dafür entschuldigt, daß er ihnen als rastloser Kumpel nicht ewig treu sein kann („I Was Only Joking“). Komisch wirkt er als Kontrastfigur zu dem Mädchen in „You’re Insane“, weil er nicht mal den letzten Modetanz beherrscht, während sie mit ihm durch die Disco-Clubs von Los Angeles ziehen will, Kokain schnupft, hochprozentigen (151 proof!) Alkohol trinkt und das Jet Set-Leben genießt. Sie sei nur ein hirnloses Überbleibsel der Woodstock-Generation, singt er hier:
You went to Woodstock And all that trash Your generation is fading fast You wear them hot pants They re out of style You like brown sugar I think it’s vile Eine noch komischere Rolle spielt er in der neben „Born Loose“ besten Rock’n’Roll-Nummer des Albums, „Hot Legs“. Das Thema von Jaggers „Stray Cat Blues“, aber auch des alten Faces-Hits „Stay With Me“ wird hier auf witzige Weise beinahe schon parodiert. Da klopft morgens um viertel vor Vier schon wieder die siebzehnjährige Schülerin bei ihm an, weil sie schon wieder mit ihm schlafen möchte, während er nur seinen Frieden will. Denn er muß schließlich morgens um sechs aufstehen und zur Arbeit gehen. Aber er läßt sich schließlich doch von ihr überreden, weil sie so lange Beine und eine so verführerische Zunge besitzt. Sie macht ihn zwar zu einem physischen Wrack, aber dann wird er sich morgens halt eine Dosis Vitamin E spritzen, bevor er zur Arbeit geht. Typisch für die Komik von Rod Stewarts Texten ist die Episode in „Hot Legs“, in der er beschreibt, wie sein alter Vater fast einen Schlaganfall bekommt, als er das Mädchen in den Strapsen im Bett seines Jungen zum erstenmal sieht:
Imagine how my daddy felt In your jet black suspender belt 17years old… he ’s touching 64 You got legs right up to your neck You ‚re makin ‚me a physical wreck I’m talkin‘ to hot legs…
Solche Texte sind jedenfalls komischer als die eines Frank Zappa, der den Groupies im Publikum neuerdings predigt, sie brauchten nicht verschämt ihre leicht gebräunten Unterhöschen verstecken, wenn sie mit ihrem Popstar-Idol ins Bett gingen. Denn Rod Stewart macht sich nie auf Kosten anderer lustig, eher nimmt er sich selber auf den Arm. „Foot Loose & Fancy Free“ ist von vielen Kritikern, Anhängern und Verächtern als Rod Stewarts bestes Album seit „Gasoline Alley“ gerühmt worden. Die Gruppe spielt nicht so studio-routiniert wie die perfekten Session-Musiker auf seinen beiden voraufgegangenen Langspielplatten allerdings finde ich auch nicht, daß die neue Band – die Aufnahmen entstanden vor der Mammut-Tournee durch England, die Vereinigten Staaten und Australien! – schon eine so unverwechselbare Identität wie früher die Faces entwickelt hat. Die Faces spielten auf der Bühne und selbst im Studio oft schlampiger und weniger perfekt, aber das paßte zu der unpolierten und nicht akademisch geschulten Stimme und Vortragsweise ihres Star-Sängers besser als die brillant arrangierte Perfektion von „Foot Loose & Fancy Free“. Bleibt abzuwarten, ob diese Truppe nach den Live-Auftritten eine ebenso definitive Persönlichkeit mitsamt Vorzügen und Fehlern (!) entwickelt hat, wenn sie für die nächste LP ins Studio geht.
Rod im Schatten des ausgeflippten Jeff Beck
Ein so extrovertiertes Show-Bündel, wie es Rod Stewart heute auf der Bühne ist, war der Sänger nicht immer. Zweifel nagten noch an ihm,als er schon mit den Faces und den Solo-Platten den ersten Höhepunkt seiner Karriere erreichte. Wenn neue Platten von Stevie Wonder oder Jimmy Ruffin herauskamen, saß er manchmal stundenlang etwas verzweifelt vor dem Plattenspieler und fragte sich, ob er jemals so gut werden könnte. Nachdem er schon kein Fußballstar geworden war, hatte er sich Mitte der sechziger Jahre als Mundharmonika-Spieler und später als Sänger bei Jimmy Powells Five Dimensions, Long John Baldrys Hoochie Coochie Men und der Gruppe Steampacket versucht, zu der neben Baldry und Rod Stewart Julie Driscoll und Brian Auger gehörten.
Der Rhythm & Blues und Soul, den diese Band spielte, unterscheidet sich von der Musik der frühen Stones und Yardbirds nur dadurch, daß er zwar enthusiastisch, aber wenig professionell von Giorgio Gomelsky produziert und aufgenommen wurde. Die Atmosphäre der Gründerjahre dokumentiert „Five Live Yardbirds“ besser als die unter dem Titel „Early Days“ nachträglich veröffentlichte LP von Rod Stewart & Steampacket. Den Star-Trip konnte der schüchterne Junge, den man – Fotos aus der Zeit beweisen es – in dieselben „Mod“-Kleider steckte wie die Small Faces und ganz zu Anfang ihrer Karriere die Stones, schon deswegen nicht beschreiten, weil er eher Angst hatte, sich vor Live-Publikum zu produzieren.
Der Legende nach versteckte sich Stewart noch als Sänger der Jeff Beck Group am liebsten hinter den Konzerlautsprechern, wenn die Gruppe vor tausenden von Besuchern in Amerika auftrat. In England hatte man das Gerücht verbreitet, Rod Stewart sei der homosexuelle Freund von Long John Baldry, und überhaupt spielte Klatsch dieses Kalibers mitten in der Beatles-Ära eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie das musikalische Können der vielen neuen Bands. In Amerika war Rod als Sänger vollkommen unbekannt. Star der Show war der exzentrische Jeff Beck, der nach Eric Clapton die Rolle des Leadgitarristen bei den Yardbirds übernommen hatte und eine gewisse Popularität erlangte, als er in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ Pete Townshend von den Who imitierte und seine Gitarre zu Kleinholz verarbeitete.
Über die wechselhafte Karriere der Jeff Beck Group zirkulieren immer noch wüste Gerüchte. Denn ihre Live-Auftritte stellten an manchen Abenden alles in den Schatten, was gleichzeitig das Trio Cream vor fasziniertem Publikum spielte; an anderen Abenden haperte es mit dem Zusammenspiel derart, daß die vier Musiker – Mickey Waller am Schlagzeug, Ron Wood am Baß, Beck an der Gitarre und Stewart als Sänger wie dilettantische Anfänger aussahen. Diese Tatsache notierte auch Organist Al Kooper, der damals für „Rolling Stone“ die Kritik des Debüt-Albums „Truth“ schrieb und baß erstaunt vermerkte, daß diese LP soviel besser sei als die Konzerte der Gruppe, die er gesehen habe.
Eine Meisterleistung von Stewart & Wood
Diese laut Cover-Notiz von Mickie Most produzierte Platte, bei der angeblich Beck die Arrangements geschrieben hatte, war in Wirklichkeit eine Produzenten-Meisterleistung von Wood & Stewart, die zwar von diesem Gewerbe kaum mehr verstanden, aber konzentrierter arbeiten als der ständig mit seinem Ego-Trip beschäftige Jeff Beck. Mickie Most hatte aus Beck mit Aufnahmen wie „Hi Ho Silver Lining“, „Tallyman“ und dem unsäglichen Instrumental „Love Is Blue“ ein Mitglied seiner Popstar-Fabrik machen wollen. Die Produktion von „Truth“ zeigt jedoch, wie weit sich Beck von den Blues- und Folk Music-Vorlieben seiner Mitspieler Stewart und Wood beeinflussen ließ. Recht war ihm das trotzdem nicht, und darum feuerte er zunächst Schlagzeuger Mickey Waller und dann auch noch Rods Kumpel Ron Wood, um einen absolut dilletantischen australischen Baßgitarristen zu verpflichten. Aber schon nach der ersten Probe für die nächste Tournee mußte man schleunigst Ron Wood zurückholen.
„Truth“: Rod s altes Testament
„Truth ist neben seinem Solo-Debüt das Alte Testament von Rod Stewarts eigenwilliger Gesangskunst. Seine rauhe, ungeschulte Stimme triumphierte bei alten Musical-Klassikern („O1′ Man River“), Blues-Standards („I Ain’t Superstitious“ von Willie Dixon und „You Shook Me“ vom selben Komponisten), traditionellen Folk-Songs („Morning Dew“ von Tim Rose, das Stewart weit bluesiger sang als Jerry Garcia auf der fast gleichzeitig entstandenen Debüt-Platte der Greateful Dead) und eigenen Kompositionen, die den Einfluß des Chicago-Blues und speziell Willie Dixons gar nicht erst verleugnen.
Weniger gebremst wurde Jeff Becks Ego-Trip bei der chaotischen Produktion der zweiten LP „Cosa Nostra Beck-Ola“, bei der wieder Stewart und Wood Arrangeure und Co-Autoren der meisten Songs waren, ihre Ideen aber nicht – wie bei der später mit den Faces variierten Version von „Plynth“ zu hören – so voll realisieren konnten, daß sie mit dem Ergebnis auch zufrieden waren. Als ich Rod Stewart einmal fragte, warum er sich – meiner Meinung nach unnötigerweise der Platte so schäme, meinte er: „Als Profi sieht man das vielleicht anders als ein Kritiker. Als Profi muß ich sagen, daß ich auf dieser Platte nicht besonders gut gesungen habe, während die Arrangements sehr gut waren. Für ‚Truth‘ hatten wir praktisch überhaupt keine Arrangements geschrieben, die ganze Platte war einfach in zwei Tagen aufgenommen worden, während Nicky Hopkins und Ron Wood für ‚Cosa Nostra Beck-Ola‘ im Studio einigt-sehr gute Arrangements ausgearbeitet hatten, beispielsweise für ‚Plynth (Water Down The Drain)‘ mit den subtilen Rhythmuswechsein und der extremen Dynamik. Damals war ich noch so naiv; ich wußte nie, wann ich einsetzen sollte, wenn Beck oder der Drummer plötzlich den Rhythmus wechselten. Ich bewundere Hopkins. Die Band war damals unheimlich gut.“
Besser Rock als morgens zur Fabrik
Die ewigen Streitigkeiten mit Jeff Beck mochten die beiden Freunde Stewart und Wood nicht ertragen. Sie taten sich schließlich mit drei Ex-Small Faces zusammen, als der ehemalige Stones-Manager Andrew Loog Oldham mit seiner Firma Immediate Records Pleite gemacht und seine Künstler bankrott zurückgelassen hatte. Faces-Baßgitarrist Ronnie Lane sagte damals trotz der etwas düsteren Zukunftsaussichten für die neuen Faces: „Es war doch besser, einige Jahre lang Popmusik gespielt zu haben, als jeden Morgen zur Fabrik gegangen zu sein.“
Wahrend Jeff Beck eines Unfalls wegen für Jahre von der Pop-Szene verschwand, wurden die Faces nach einigen harten Tourneen bald eine der größten Live-Attraktioncn im amerikanischen Showgeschäft. Ihre stark vom Alkohol geförderte Show-Seligkeit ließ die Konzerte nie zur straff organisierten Routine werden. Das Schlucker-Image der fünf Musiker, die sich vor Konzertauftritten erst einmal stärkten, wirkte auf ihre Karriere förderlicher als Rod Stewarts Schwulcn-image bei Baldrys Steampacket. Daran glaubte nach seinen notorischen Affären mit Mädchen sowieso niemand mehr. Die Platten fanden allerdings nicht entfernt so reißenden Absatz wie die Konzertkarten. Sie entstanden meist auch unter mindestens so chaotischen Umständen wie das zweite Jeff Beck-Album. Wenn nicht gerade Glyn Johns als Produzent hinterm Mischpult saß, fanden sich im Regieraum der Tonstudios oft mehrere Dutzend Groupies ein. Von konzentrierter Arbeit konnte da keine Rede mehr sein.
Rod Stewart betonte bis. zum wenig erquicklichen Ende der Faces – Baßgitarrist Ronnie Lane war des exzessiven Schlucker-Lebens in anonymen Hotels schon vorher überdrüssig geworden – immer wieder, daß er „einer von den Jungs“ bleiben werde. Nebenbei arbeitete er aber ehrgeizig an seiner Solo-Karriere, und bisweilen reservierte er seine besseren Kompositionen für die dem Philips-Konzern vertraglich zugesagten Soloplatten. Seine für die Faces meist zusammen mit Ron Wood geschriebenen Kompositionen sind meiner Meinung nach keineswegs schlechter, sie zeigen nur eine andere Seite seines Talents, das sich inmitten dieser Saufbruderschaft besser entwickeln konnte als die intimeren und privateren Lieder, die er für seine Solo-Platten aufnahm. Außerdem hätten viele der Aufnahmen wie „Sweet Lady Mary“, „Bad’n Ruin“, „Love Lives Here“ und auch die Rock’n’Roll-Songs genauso gut auf den Solo-LPs erscheinen können. Mit Cognac angewärmter Faces-Rock waren schließlich sowieso viele seiner Solo-Aufnahmen seit „Gasoline AUey“.
Aber die Plattenkäufer liebten den Solo-Sänger Rod Stewart mehr. Jedenfalls seit seinem dritten Album „Every Picture Teils A Story“ und den daraus ausgekoppelten Hit-Singles. Die beiden voraufgegangenen LPs „An Old Raincoat Won’t Ever Let You Down“ alias „The Rod Stewart Album“ und „Gasoline Alley“ waren zwar von der Kritik allerorten gerühmt worden, weil sie einen ähnlich unverwechselbaren Folk Rock-Stil definierten wie Jahre vorher die Byrds und Lovin‘ Spoonful mit ihrem Sound-Konzept, aber erst die Popularität von „Maggie May‘, machte den Sänger zum Star.
Dabei sind die ersten beiden LPs in vieler Hinsicht exemplarischer, experimentierfreudiger und musikalisch aufregender als viele später aufgenommene, weil sich Rod Stewart hier nicht auf ein Erfolgsrezept verließ, sondern seinen eigenen Stil schuf. Es war damals unüblich, die Songs anderer Komponisten zu interpretieren. Im Gefolge der Beatles und der Singer/Songwriter-Welle um die Wende zu den siebziger Jahren nahm jeder, der auf sich hielt, nur noch Eigenkompositionen auf, selbst wenn die noch so miserabel waren.
Rod Stewart brach mit dieser neuen Rock-Tradition. Er hatte ein unglaublich sicheres Gespür für die Qualitäten von Fremdkompositionen. Gleichgültig ob er bekannte Popsongs wie „My Way Of Giving“ von den Small Faces oder Mike d’Abos „Handbags And Gladrags“ übernahm, von Bob Dylan-Songs die besten Cover-Versionen aller Zeiten einspielte, alte Rock’n’Roll-Klassiker und Rhythm & Blues-Nummern interpretierte oder ein längst vergessen geglaubtes Arbeiterlied wie „Dirty Old Town“ sang. immer waren die Neuinterpretationen überzeugend.
In jedem Song ein Stück Persönlichkeit
Als Produzent zeichnete zwar Lou Reizner für Rod Stewarts erste Solo-Alben verantwortlich, aber wie beiläufig dessen Rolle in Wirklichkeit war und wieviel einflußreicher für die Arrangements Martin Quittenton an der akustischen Gitarre wurde, hört man beim Vergleich mit den späteren Produktionen. Stewart nahm die Songs erst einmal gewissermaßen auseinander, setzte die Akzente durch seine Art des Vortrags neu und glich sie durch die stark modifizierten Arrangements vollkommen seinem eigenen Stil an. So wurde jede Interpretation zu einem so persönlichen Statement, wie es seine eigenen Kompositionen waren, in die er zwar seine Autobiografie mit einfließen ließ, bei aller Subjektivität aber verbindlich blieb und sich nicht privaten Seelenschmerz vom Herzen sang. Sein „Mod“-Ethos formulierte ein Song wie „Cut Across Shorty“ eine uralte Eddi Cochran-Nummer genauso eindrucksvoll wie die Eigenkompositionen dieser ersten Solo-Platten, in denen er beispielsweise zugab, Angst davor zu haben, bis zum Ende seiner Tage allein schlafen zu müssen.
Die Erfahrungen seiner Wanderjahre beschrieb er später weniger depressiv mit Songs wie „Italian Girls“ und „True Blue“, aber trotz des späteren Jet Set-Lebens blieb er der Fan, der einmal so gut singen wollte wie seine Vorbilder Sam Cooke, AI Jolson und Ramblin‘ Jack Elliott. Säufer-Lieder wie „I’ve Been Drinking“, „What Made Milwaukee Famous“ oder „Stone Cold Sober“ konnte man ihm schon seit den Tagen mit der Jeff Beck Group als glaubwürdig abnehmen. Mit Vorliebe spielte er in einigen Songs auch die Rolle des verlorenen Sohnes, der reumütig nach Hause zu Muttern zurückkommt („Bad ’n Ruin“, „True Blue“) oder nicht zurückkommen kann, weil er einen Zwangsaufenthalt in der Besserungsanstalt oder im Knast absolvieren muß („Borstal Boys“, „Farewell“). Oft ist er ein heilloser und unverbesserlicher Romantiker wie Humphrey Bogart in „Casablanca“, wenn er zu spät merkt, daß er die Liebe des von ihm verehrten Mädchens verloren hat. Ganz unproblematisch sind seine Beziehungen zu Mädchen sowieso selten genug. Das Groupie aus „Stay With Me“ ist zwar eine Sünde wert, aber nicht so attraktiv, daß er sie in Katerstimmung auch morgens früh noch sehen möchte. In „Siliconc Grown“ hat sich seine Freundin eine solche Menge Silikon in den Busen gespritzt, daß die Verschönerungsaktion böse Folgen hat und er mitten in der Nacht den Doktor holen muß. Das Mädchen aus „Lost Paraguayos“ kann er unmöglich mit in Urlaub nehmen, weil ihn die Polizei an der Grenze zu irgendeiner südamerikanischen Bananenrepublik sofort wegen Verführung Minderjähriger verhaften und ihm auf keinen Fall glauben würde, bei der jungen Begleiterin handle es sich um seine Tochter. In „Jo’s Lament“ möchte er zu dem Mädchen zurückkehren, das von ihm ein uneheliches Kind hat, während das aus „The Ball Trap“ ihn mit gleichnamiger zu fesseln versucht. Die verführerischen Jezabels aus „Three Time Loser“ bestehen entweder nur aus Hochglanzfotos im „Playboy“, bei deren Anblick er an einem heißen Nachmittag masturbiert, oder sie stecken ihn – worüber er sich viel mehr ärgert mit einer Geschlechtskrankheit an, die auch mit starken Pennicilin-Spritzen nicht mehr geheilt werden kann, sondern auf andere Weise ziemlich schmerzhaft auskuriert werden muß.
Aber nicht mit „Three Time Loser“, sondern mit „The Killing of Georgie“ erregte Rod Stewart den Zorn der Zensoren in kommerziellen US-Sendern, die das Lied von der „playlist“ streichen ließen wie kürzlich Randy Newmans „Short People“. Die Geschichte vom Homosexuellen Georgie, der in einer Nebenstraße des Broadway von einer Bande Straßenjungs aus New Jersey erstochen wird, war den für die „moralische Sauberkeit“ von Amerikas Ätherwellen Verantwortlichen zu starker Tobak. In den USA, wo schätzungsweise rund 20 Millionen Männer homosexuell sind, sollte dies Lied nicht gespielt werden bzw. im Radio alle paar Stunden zu hören sein. Als ich gegenüber Rod Stewart meinte, solche Form von Verdrängung der Tatsachen sei typisch für dies Land, meinte er: „Es ist aber trotzdem seltsam in einem Land, das auf allen Gebieten so große Fortschritte gemacht hat und sich so progressiv dünkt. Die Warner Bros.-Leute wollten ‚The Killing of Georgic‘ nicht als Single veröffentlichen, weil man glaubte, daß die kommerziellen Rundfunkstationen den Song nicht spielen würden. Wenn ich vulgäre Lieder schreiben und obszönen Jargon benutzen würde, könnte ich verstehen, daß man das als eine Beleidigung sittlichen Empfindens was immer das ist – auffassen könnte, aber das ist nicht der Fall. Eine Nummer von ‚Atlantic Crossing‘, nämlich ‚Three Time Loser‘, handelte von Geschlechtskrankheiten. Kaum jemand in Amerika ist drauf gekommen, und niemand hat sich an den Implikationen gestört.“ Ein etwas naiver Rock & Roller ist Rod Stewart manchmal offenbar doch.
Nach dem Erfolg setzte Routine ein
Mit dem Erfolg von „Every Picture Tells A Story“ setzte leider in der Plattenkarriere von Rod Stewart eine gewisse Routine ein. Der Junge mit der Heuhaufen-Frisur und der so angenehm krähenden Kieselstein-Stimme ging nicht mehr so abenteuerliche Risiken ein wie bei seinen ersten beiden Platten. Die Produktion von „Smiler“ war über weite Strekken aufnahmetechnisch ein Debakel, das Album insgesamt ein kommerzieller Mißerfolg, wenn man es an der tatsächlichen Popularität des Sängers mißt. Seine „Amerikanisierung“ durch die Produzenten Tom Dowd, der schon Eric Clapton mit „461 Ocean Boulevard“ zum glänzenden Comeback verholten hatte, zeitigte nicht nur positive Ergebnisse. Der sentimentale Romantiker in Rod Stewart kam bei einigen Songs doch überdeutlich heraus, auch wenn er nie unters eigene Niveau ging und bei der Wahl von Fremdkompositionen immerexzellentenGeschmack zeigte.
Mit „Foot Loose & Fancy Free“ jedoch widerlegte er auch jene Skeptiker erneut, die ihn schon als einen der größten Rock-Interpreten der letzten zehn Jahre abgeschrieben hatten. Der Junge, der nur zufällig die Mundharmonika beiseite legte und zu singen begann, besitzt als größtes Kapital immer noch eine unnachahmliche Stimme, einen in der Rockmusik seltenen Witz und – selbst wenn er einige der besten Riffs glatt bei Keith Richard klaut – ein Talent als Komponist, das durch „Foot Loose & Fancy Free“ aufs schönste bestätigt wurde. Er hat sich nie so schlimm ausbeuten lassen wie Joe Cocker, andererseits ist ihm sein Ruhm nie so zu Kopf gestiegen, daß er mittelmäßige Songs auf Platte veröffentlicht hätte, wie das Elton John schon seit einigen Jahren tut. Um den Titel seiner ersten Solo-Platte zu variieren: „An Old Rock’n’Roller Won’t Ever Let You Down“! Auch wenn er 33 ist wie Rod Stewart sich zwischenzeitlich auch von Britt Ekland sagen ließ, zu welcher Party man unbedingt gehen müsse…