Rock’n’Roll Sommercamp
Wie geht's den Strokes auf ihrer Tournee? Wir haben sie in Australien besucht und nachgefragt: sehr gut. Und so soll es auch bleiben -weswegen deutsche Fans wohl weiterhin werden darben müssen.
Es ist ein Anblick, als blättere man durch die bunten Seiten des NME. Am Tresen der schummerigen Q Bar prosten sich Dan und Ed von The Darkness mit zwei Datsuns zu. Dandy Warhol Courtney Taylor-Taylor-Glas in der Hand und im Blick – schwebt elegantlywasted einher, Coldplay-Drummer Will Champion steuert eine Flasche Bier durchs Getümmel. An einer Gamekonsole fährt Kings-Of-Leon-Nesthäkchen Matthew Followill einen virtuellen Sportwagen zu Schanden, Cousin Caleb blickt ihm mit leicht verrutschtem Pony über die Schulter. Und mittendrin die Gastgeber dieser Aftershow-Party, die gar so illuster ausgefallen ist, weil die geballte Prominenz gerade mit dem durch Australien tourenden Big Day Out-Festival in Sydney weilt labgesehen von Champion, derauf Urlaub ist, wie man hört]: The Strokes. Julian Casablancas und ein fröhlich schlagseitiger Albert Hammond Jr. stecken in den letzten Zügen eines Billard-Matches gegen die zwei restlichen Followills. Fab Moretti steht dabei und turtelt mit seiner Freundin Drew Barrymore, die ihm immer wieder lachend um den Hals fällt. Nikolai Fraiture irrt auf der Suche nach einem Zigarettenautomat umher.
Ein Viertel Weiter, im Hordern Pavilion. haben die fünf vor zwei Stunden ein triumphales Konzert vor brechend vollem Haus gespielt, das vor allem Sänger Casablancas in einer gelösten, trunkenen Plauderlaune zeigte, von derer beim konzentrierten, aber arg schnörkellosen Auftritt Mitte Dezember in Berlin weit entfernt war, „Wanna hear more? „fragte Casablancas gegen Ende die röhrende Menge „Noch einen? Noch zwei? Noch zehn? Also jetzt, aus den Tiefen unseres Katatoges von zwei Alben:“Is This W.“ Und dann spielten die Strokes noch drei Songs und taten damit etwas, was sie eigentlich nie tun: Sie gaben quasi Zugaben. Casablancas Begründung: „We’re in a good mood. “ Dass es sich momentan großartig anfühlt, ein Stroke zu sein, bestätigt drei Tage später Albert Hammond Jr. „Das Konzert am Mittwoch hat mich umgehauen“, sagt er und zündet sich eine Zigarette an. „Unsere eigenen Shows sind mir auch lieber als diese großen Festival-Sochen, vor solchen Menschenmassen. 30.000 Leute, da wird’s echt seltsam. „Wir sitzen in einem von zwei kahlen Blechcontainern, die im Backstage-Bereich des Big Day Out in Sydney für Hammonds Band reserviert sind. In zwei Stunden steht einer dieser Auftritte an, vor denen er erklärtermaßen einen Heidenrespekt hat. „Da stehst du auf dieser riesigen Bühne, einen acht Meter breiten Graben vor dir, bist vielleicht noch ein bisschen verkatert… Da kann man sich schon fragen: Wow! Wie bin ich hierher gekommen? Ich spiele vor Metallica! „Haben sie ihre hart rockenden Festivalkollegen mal kennen gelernt?“ Oh ja, sehr nette Typen. Man würde glauben, die stehen jenseits von altem, aber sie sind freundlich, schauen sich auch Auftritte anderer Bonds an. „Welche der Mitreisenden hat er denn bisher spielen gesehen? Schon einige, die beste Band auf der Tour seien wahrscheinlich die Fläming Lips, meint Hammond. „Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich nicht mehr nüchtern und habe nur stündig diesen einen Satz wiederholt: „Das ist so CUT! Das ist so CUT!'“
Die Strokes sind nach Australien direkt von einem Auftritt auf Hawaii angereist [„Wie Urlaub!“}, die Atmosphäre im zweiwöchigen Rock-Wanderzirkus durch das sommerliche Downunder ist entspannt. Trotzdem räumt Hammond ein, die Emotionen gingen „rauf und runter“. „Wirklich“, stellt ervoran, sichtlich auf der Hut, nicht wieder als verwöhntes Rockstar-Bübchen vorgeführt zu werden, ein Image, mit dem die Strokes von jeher kämpfen, „ich möchte mich keinesfalls beschweren. Ich würde nichts anderes machen wollen als das hier. Aber zwischendurch ist es eben manchmal etwas schwierig. Ich vermisse meine Freundin in New York. Und es passiert so viel momentan! Ich stecke zum Beispiel gerade mitten in einem Umzug. Ich bin die ganze Zeit am Telefon mit irgendwelchen Maklern zu Hause.“ Knapp
zwei Wochen nach dem Gespräch in Sydney Ende Januar sieht der Tourplan der Strokes Heimaturlaub vor. Wenn dieses Heft erscheint, wird Albert Hammond jr. also Gelegenheit gehabt haben, sich um die eine oder andere Herzensangelegenheit respektive Immobilie zu kümmern. Die gute Nachricht für die Restwelt: Die Strokes werden dann auch schon wieder im Studio gewesen sein. „Wir hoben schon in unserer Weihnachtspause an zwei neuen Songs gearbeitet“, sagt Hammond im Container, „die sind noch sehrrough, im Februar machen wir weiter. Wir haben jetzt einen neuen Proberaum, sehr gemütlich.“ Nein, konkrete Zeitpläne für ein neues Album gebe es noch nicht, dafür- noch eine gute Nachricht – stellt Hammond ein Livealbum in Aussicht.
„Noch nicht gleich jetzt, aber Ende… was haben wir jetzt? Ende 2004 soll es kommen.“ So mancher Fan vor allem hierzulande wird dann damit vorlieb nehmen müssen, denn hier ist die schlechte Nachricht: Weil die Strokes – wer möchte es ihnen verdenken – nicht mehr so unschön nah an die Grenzen ihrer Belastbarkeit herantouren wollen wie anlässlich ihres von einem peitschenden Hype begleiteten Debüts vor zweieinhalb Jahren, soll es mit der Tournee zum Nachfolger room on fire, die seit letztem Oktober läuft, im Sommer auch schon gut sein. Das Frühjahr ist mit Konzerten in den USA verplant. Eine ausgedehntere Tour in Deutschland, wo die New Yorker zu zwei Alben bislang ebenso viele Konzerte gespielt haben (beide in Berlin), ist nicht vorgesehen, wie Manager Ryan Gentles schon angedeutet hat. Ein. zwei Festivalauftritte im Sommer werden uns hier reichen müssen.
Draußen in der riesigen Halle, in der wie in einem kleinen Feriencamp mit Billardtischen, Sitzecken, Tischtennisplatten etc., die Garderoben-Container stehen, tröpfelt der Spätnachmittag vor sich hin. Apl.De.Ap und Fergie von den Black Eyed Peas schauen auf einen Plausch bei den Strokes vorbei, Partygirl extraordinaire Cia McCabe und Courtney Taylor-Taylor hängen ab, einmal schturft ein kleines Männlein mit fieseligen Korkenzieherhaaren und Flipflop-Latschen zu weißem Schlabber-T-Shirt und kurzer Hose daher: Kirk Hammett von Metallica begrüßt die Strokes mit Handschlag und freundschaftlichen Klapsen. Irgendwann kommt Julian Casablancas aus dem Container, einen Lolli im Mund, einen Zettel in der Hand: die Setlist, die er für jede Show neu aufstellt, ist fertig, Hammond und Valensi beugen sich darüber. Hammond hat mittlerweile seine Gitarre umgeschnallt und fiedelt sich die Finger warm während er sich weiter mit Leuten unterhält. Drin in der Garderobe sitzt Nikolai Fraiture und zupft versunken an seinem Bass. Irgendwann sind alle im Container verschwunden, die Tür ist zu. Dann geht sie wieder auf und eine kleine Menschentraube um die Band setzt sich in Bewegung Richtung Hallenausgang.
Als die Strokes unter dem aufbrandenden Schrei der wogenden Masse auf die Bühne laufen, lässt Julian Casablancas sich erst einmal hübsch theatralisch zu Boden fallen, während Hammond und Nick Valensi das Eröffnungsriff des genial gewählten Openers „New York City Cops“ hacken. Die knapp 55 Minuten, die folgen, pulverisieren jegliche Zweifel, die man an der Eignung der Strokes als Festivalband gehabt haben mag. Der Auftritt verläuft erkennbar nicht ganz so smooth wie die Hallen-Show vor drei Tagen- Casablancas scheint irgendeine Laus über die Leber gelaufen zu sein; irgendwann fliegen Plastikflaschen auf die Bühne und schlagen mit bemerkenswerter Wucht ein, worauf Fab Moretti kurzerhand die Hose runterzieht und seinen Hintern ins Publikum zeigt. Aber jedes Riff sitzt und elektrisiert, jeder Beat des grandios an seinem Drumkit ackernden Moretti, jedes Lick der kunstvoll gewobenen, Hooklinestrotzenden Gitarren-Doppelhelixvon Hammond und Valensi. Und dabei sehen die Kerle einfach noch unglaublich großartig aus. Das findet offenbar auch Drew Barrymore, die sich im Kreis der Kings Of Leon bei einer Plastiktüte voll Dosenbier am hinteren Bühnenrand im Schneidersitz niedergelassen
hat und Fab Moretti mit einem verliebten Blick fixiert, dass der eigentlich vom Stuhl fallen müsste.
Zurück im Backstage nach dem Auftritt ziehen sich Band und Anhang in den Container zurück. Lang dauert die Manöverkritik hinter geschlossener Tür aber nicht, nach wenigen Minuten flanieren sie schon plaudernd, mit Bierflaschen und Zigaretten in der Gegend herum (nur Casablancas scheint immer noch mit seiner Leberlaus zu ringen], als ein Höllenlärm losbricht. In einem von zwei Riesenmännern mit Stiernacken und Headsets bewachten Container schräg gegenüber der Strokes-Behausung drischt jemand wie irr auf ein Schlagzeug ein, minutenlang. Dann gesellt sich ein stumpfes anderthalb-Akkorde-Gitarrenriff zu den wüsten Synkopen, ein röhrender Bass stößt dazu. Langsam wird das Riff vielschichtiger, der Krach schwillt bedrohlich, füllt die riesige Halle aus, aber niemand nimmt viel Notiz von dem allabendlichen Ritual. „Metallica-Tuning & Attitüde“ stehtauf dem Zettelan der Tür des dröhnenden Blechkastens; nicht jeder macht sich so zurückhaltend unplugged für den Auftritt warm wie die Strokes. Die zieht es jetzt aber nicht zum Konzert der nach einer Viertelstunde Hochfahren mit ihren Security-Orks zum Ausgang schreitenden Metal-väter – sie haben weiß Gott Schöneres vor heute Abend.
Zum perfekten Finale eines heißen Festivaltages spielen auf der Green Stage die Fläming Lips ein Konzert, das geeignet ist, einem den Glauben an das Gute in der Welt zurückzugeben. Es geht auf das Finale „Do Voufieo//ze?“ zu,als man in dem chaotisch-enthemmten Gewusel der Rudel von Stofftieren, die Wayne Coyne völlig euphorisiert umtanzen, eines hellblauen Kaninchens gewahr wird, das mit einem Bären knutscht „Come on, sing your tungs outnow!“ fordert Coyne die entrückte Menge auf und am Bühnenrand steht jetzt Fabrizio Moretti, die Hasenkapuze zurückgeschlagen, und feuert mit einem strahlenden Grinsen im verschwitzten Gesicht die Menge an, den Bären Barrymore im Arm, die Kollegen in wer weiß welchen Fellen hinter sich. Doch, es muss sich in diesen Tagen großartig anfühlen, ein Stroke zu sein.