Rock’n‘ Roll Mama


Vom Hausfrauendasein hat Chrissie Hynde genug In den letzten vier Jahren machte sie mehr als Ehefrau, Mutter und militante Tierschützerin von sich reden denn als Musikerin. Chrissie Hynde, die eindrucksvollste Frauenstimme der Achtziger, fängt ihr Leben wieder von vorne an. Die überschüssige Energie, so weiß sie jetzt, ist am allerbesten in ihrer Band aufgehoben.

Das Grauen in der Hälfte des Lebens: Wenn männliche Bankbeamte von der Midlife-Crisis geschüttelt werden, schnüren sie den Bauch zurück und suchen sich im Fitneßstudio eine platinblonde Freundin. Wenn männliche Rockstars in die Jahre kommen, suchen sie den Sinn des Lebens im Regenwald oder in der Reha-Klinik. Wenn Mütter die Kinder aus dem Haus gehen sehen, lassen sie den Eismann rein. Und was passiert, wenn alleinerziehende Musikfrauen den Vierzigsten passiert haben?

„Oh Mann, ich kann’s kaum erwarten aus der Bude zu kommen. Ich fühle mich wie mit siebzehn, als mich zum ersten Mal die Idee gepackt hat eine Band zu gründen. Noch Tee?“

Chrissie Hynde, 42: Vor 21 Jahren ist sie ausgezogen aus Akron/Ohio, um im kühlen Mutterland England den Rock’n Roll und damit ihr Glück zu suchen. Seit einer halben Stunde verteilt sie mit fahrigen Bewegungen Tee, Orangensaft und andere Ingredenzien eines typischen Inselfrühstücks auf der Blümchentischdecke einer noblen Londoner Herberge. Wenn sich ihre Worte überschlagen beim atemlosen Report ihrer Frischzellenkur nach vier Jahren Pause, springt sie kurzerhand auf. nimmt Hände und Füße zu Hilfe. Dann fällt es noch ein wenig mehr auf, wie schlaksig ihre Gestalt ist, wie Beine und Arme um sie schlenkern. Chrissie Hynde lacht tief und rauchig und wiederholt: „Gute Güte, ich bin 42 fahre alt und benehme mich wie ein 17-jähriger Junge.“

Der Junge in der Frau hat sie vor zwanzig Jahren über den Ozean getrieben, um den Traum vieler 17-jähriger Jungen zu leben: „Alles, was ich immer wollte, war meine eigene Band.“ Dafür hat sie gekämpft und gearbeitet in den späten Siebzigern als Amerikanerin im fremden Europa. Sie spielte in Frankreich in einer Heavy Metal Band, schrieb bösartige Plattenkritiken für den britischen New Musical Express, verkaufte Klamotten für Vivienne Westwood. Sie musizierte mit Mick Jones, bevor er zum Clash wurde und sang Backing Vocals für Johnny Thunders. Sie ging mit Demos hausieren, fand die Männer, die sie brauchte und landete mit dem Kinks-Cover „Stob Your Sobbing“ den ersten Pretenders-Hit. 1979 erschien die erste LP „Pretenders“, vier folgten im kommenden Jahrzehnt.

In der Kühle der Achtziger war Chrissie Hynde mit ihrer unvergleichlichen Stimme, vom Melody Maker wurde sie damals als „beste weiße Sängerin in der Geschichte des Rock’n Roll“ gepriesen -, die Rettung des Sex in der Musik. Ihre Mischung aus Sixties-Pop, Rock und Wave brachte Leben in die absterbende Computerwelt. Und dann war da noch diese Frauengestalt und ihre Attitüde: „In dieser Band war ich immer der Boß.“

Chrissie Hynde – die, die mit Gitarre und Leder die Ideologie jeder Managerfrau vertrat. „Oh, nein, ich habe mich nie als Rollenmodell im Geschlechterkamopf gesehen! Meine Vorbilder waren fast alle Männer, aber damals gab es halt nur Männer in Bands. Ich habe diesbezüglich sowieso nie über die kleinen Unterschiede nachgedacht. Es gibt nur Bands und Musik, ob da jetzt Männer oder Frauen, Schwarze, Weiße, Juden oder Araber mitspielen, das ist doch völlig egal. “ Eben.

Viel wichtiger war da immer, daß sie wirklich mitspielen, die Mitglieder der Pretenders. Denn die Band, das war für sie nie Chrissie Hynde & Co.. Deswegen hat sie lange nach den richtigen

Musikern gesucht, deswegen ist sie nach der klassischen Band-Tragödie, als nach der zweiten LP Bassist und Gitarrist den Drogentod starben, wählerisch geworden.

„Ich habe immer versucht, eine Band aufrecht zu erhalten, die in der Tradition der Original-Pretenders steht. Gitarristen etwa mußten immer wie der verstorbene fames Honeyman Scott klingen. Ich wäre niemals mit irgendwelchen Studiomusikern losgezogen. Ich funktioniere nur mit Band. Und es war nicht immer leicht, das Ding am laufen zu halten.“

Die Schwierigkeit des Unterfangens hörten die Kritiker bei späteren Werken der regelmäßig reinkarnierten Pretenders mit ständig wechselnder Besetzung. Vor allem „Get Close“ (1986) und „Packed!“ (1990) fehlte der Sturm der frühen Jahre.

Chrissie Hynde indes machte anderweitig von sich reden. 1983 brachte sie ein Kind von Ray Davies (The Kinks) zur Welt, 1985 heiratete sie Simple Mind Jim Kerr und bekam ihre zweite Tochter. Die Ehe wurde später geschieden: „Wir haben uns 1 einfach zu selten gesehen, hatten immer völlig konträre Terminpläne. In diesem Beruf ist es sehr schwer eine Beziehung aufrecht zu erhalten.“ Mit den übrigen Energiereserven wurde Chrissie Hynde zur militanten Tierschützerin, predigte Vegetarismus und bombardierte MacDonalds.

„Noch Tee?“ Die Frau mit Vergangenheit kaut vergnügt an einem Muffin und fängt wieder von vorne an: „Ich bin total aufgeregt im Moment. Mit der Band, die ich jetzt habe, fühle ich mich wie früher. Ich kann es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen, aus dem Koffer zu leben und von einem Hotelzimmer zum nächsten zu ziehen!“

Der Grund liegt in der Besetzung: Neben ex-Primitives Bassist Andy Hobson, und ex-Katydids Gitarrist Adam Seymour trommelt Martin Chambers, Pretenders-Schlagzeuger der Originalbesetzung, für „The Last Of The Independents“, das erste Pretenders-Album seit vier Jahren, wieder im Dienst von Mrs.Hynde. 1986 hatte sie ihn entlassen, vor kurzem brachte sie eine Begegnung der dritten Art zur späten Reue und frischen Arbeitswut: „Ich war in LA um das Album abzumischen. Rosanna Arquette, meine beste Freundin dort, und ihr Manager Jerry schleppten mich zu einem Urge Overkill-Konzert. Ich war begeistert, lernte die Band kennen und sie schwärmten alle von Martin (Chambers) Trommelkünsten. Sie hatten ihn irgendwo auf Tour kennengelernt. Ein paar Tage später luden mich Urge Overkill ein, mit ihnen in Las Vegas auf die Bühne zu gehen. Wir spielten ‚Precious‘, und plötzlich wurde mir klar, daß es genau dieses Gefühl einer funktionierenden Band auf der Bühne war. das ich vermißte. Und daß ich dazu Martin brauchte. Ich rief ihn an, kurz darauf gingen wir ins Studio und nahmen rasend schnell fünf neue Songs auf. Einfach so – Bang, bang, bang, bang! Und damit haben wir dann das ganze Album noch einmal völlig umgekrempelt.“

Dem Schicksal sei Dank: „The Return Of The Innocence“ zeigt Chrissie Hynde von ihrer völlig unverbrauchten Seite – schlichter Rock’n’Roll und ergreiBalladen, ohne Altersschwäche für zuviel Gefühl.

„Ich steh‘ mehr auf die Rock-Nummern, aber vielleicht auch nur, weil Balladen so viel von einem preisgeben, das ist mir manchmal unangenehm.“

Es gibt kluge Bücher mit Titeln wie „Die Geschichte der Frau im Rock’n’Roll“, die stellen Chrissie Hynde in die Tradition der „tough chicks“

gleich nach Suzi Quatro…

„Nein, ich bin nicht der harte Brocken, für den mich die Leute halten. Geh‘ mit mir ins Kino und du bist geschockt für’s Leben. Ich muß nur eine Violine hören, und fange an zu heulen, auch wenn es nur ein Zeichentrickfilm ist.“

Chrissie Hynde hat mit fortschreitender Reife glücklicherweise auch nicht die harte Schale abgestreift, um mit Chris Norman zu sülzen, sondern wurde Mutter, und zwar nicht aus zwingenden Umständen sondern aus Überzeugung. „Vielleicht könnte ich heute berühmter und erfolgreicher sein. Ich könnte eine riesigen Back-Katalog haben und in direkter Konkurrenz zu Van Morrison stehen. Doch ich habe die Zeit, die ich zu Lasten meiner Karriere mit meinen Kindern verbracht habe, nie als Opfer empfunden. Ich bin glücklich mit meinen Kindern, meinen Katzen und meinem Hund.“

Einen männlichen Anwärter auf den Platz an ihrer Seite gibt es derzeit nicht: „Männer laufen mir immer davon. In dieser Hinsicht habe ich sie schlecht im Griff.“ Die durchschnittliche Tragik der erfolgreichen Frau – für einen schwachen Moment schwindet ihre überschwengliche Begeisterung:

..Vielleicht hänge ich mich nur in diese Band so rein, weil ich mit dem richtigen Leben in Verzug bin. Ich hätte natürlich gerne einen Mann in meinem Leben, einen Mann, der mich anruft, der mit mir schläft, mit dem ich was erleben kann. Hab‘ ich aber nicht, also tob‘ ich mich mit meiner Band aus. Wenn ich wählen könnte, wüßte ich jedoch nicht, was ich lieber hätte. Die Erfahrung hat mir jedenfalls gezeigt, daß es schwer ist, beides zu haben.“

Mit der Koordination von Herz und Verstand, meint

sie, habe man es als Frau in diesem Geschäft tatsächlich schwerer: „Das ist wohl ein hormonelles Problem, die weibliche Natur steht uns dabei im Weg. einen klaren Kopf zu bewahren. Wenn ein Mann ins Leben einer Frau tritt, läßt sie sich schnell vereinnahmen. Wenn männliche Musiker sich verlieben, kommt erst die Band und dann die Frau. Bei Frauen ist das immer umgekehrt“

Doch das ist in den Augen einer der raren ernstzunehmenden Rockfrauen der geringere Grund, warum es der Gitarrenmusik immer noch an herausragenden weiblichen Persönlichkeiten fehlt. „Jungs können einfach besser Gitarre spielen. Und, mal ehrlich, Männlichkeit und Sexismus, das gehört doch eigentlich dazu zum Rock’n’Roll. Ich habe sie immer geliebt, die kleinen, spindeldürren, sexistischen Bastarde, die laute Musik machen. Man darf das alles einfach nicht ganz so ernst nehmen.“

Die Frauenfront mag aufheulen, doch Chrissie Hynde hat ihre ureigene Theorie zum Kampf der Geschlechter. Sie, die sich selber unumwunden als „sehr traditionsverhaftet“ bezeichnet, hat aus ihrer langjährigen Erfahrung als Mutter und Band-Boss folgendes gelernt:

„Männer können besser Gitarre spielen, Frauen sind die besseren Mütter. Mal ganz ehrlich: Wenn Du ein Kind wärst, wärst du nicht lieber in der Obhut einer Frau? Männer sind zurückgeblieben, die können keine wirklichen Dinge bewältigen. Die können nur ihre Gitarre einstöpseln und spielen. Wie kleine Kinder.“

Ein letzter Schluck Tee vor dem Herzinfarkt, Chrissie hibbelt auf ihrem Stuhl herum und grinst über ihre eigenen Gedanken: „Trotzdem, es gibt es nichts, was ich lieber tue, als Männern hinterherzugucken.“ Denn jetzt, wo die Kinder (9 und 11) groß genug sind, ist mal wieder Zeit für simple Gelüste im Leben. „Früher war ich wesentlich strenger mit mir.“ Und jetzt? „Jetzt rutscht mir sogar ab und an mal wieder ein Ei auf den Teller.“