Meinung

Rockmusik ist nicht tot: Pabst & Die Cigaretten treten den Beweis an


Wer Rockmusik für tot erklärt, hält sich an Etiketten und Revivals. Pabst und Die Cigaretten wären demnach Neo-Grunge. Wer das so sieht, verpasst aber, was Rockmusik im Jahr 2020 noch leisten kann. Ein Plädoyer für einen anderen Blickwinkel.

Rock braucht keine Etiketten. Ja klar, Bands wie Pabst und Die Cigaretten könnten als Fortführung dessen, was einmal einen Hype hatte, angesehen werden. So wie alles in der Rockmusik als eine Fortführung von etwas Vergangenem angesehen wird. In dieser Betrachtung aber liegt ja gerade eines der Probleme – das des fehlenden Loslassens. Loslassen von beispielsweise den Kategorien, die Rock einst sprengen wollte und es (teilweise) immer noch will. Oft steht Nostalgie dabei im Weg. 

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Das neue, alte Ding? Bitte nicht mehr!

Bei Pabst wäre das nostalgische musikalische Element der Alternative Rock in der Tradition der 1990er-Jahre. Grunge, Stoner, Indie, Post-Irgendwas. Werden die Berliner, die vor allem in den vergangenen zwei Jahren eine beachtliche Entwicklung hingelegt haben, deswegen zum neuen, alten Ding erklärt? Leider ja: „Ich glaube, dass man mit Rockmusik grundsätzlich andere Leute abholt. Wir hören sehr oft ganz explizit, dass die Leute unsere Musik an die 90er erinnert. Dieses ganz bewusste oder unbewusste Beziehen auf die Vergangenheit ist meiner Meinung nach bei Rockmusik ausgeprägter, als anderswo. Das scheint einfach dazuzugehören“, findet Erik Heise, Sänger und Gitarrist von Pabst.

Während in anderen Genres mit Traditionen gebrochen wird, wird im Rock die eigene fortgeführt: „Post-Punk’s Not Deadtitelt diesen Monat etwa ein altehrwürdiger Vertreter der hiesigen (Rock)musikpresse – alleine die abgewandelte Referenz an den Titel eines fast 40 Jahre alten Albums (von The Exploited, PUNKS NOT DEAD, 1981), spricht Bände. Abgeholt werden die Leser*innen dort nicht nur mit einem Verweis auf Vergangenes, sondern auch mit der Behauptung, dass das Vergangene eben genau das nicht sei: vergangen.

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Dabei spielt es keine Rolle, ob eine solche Aussage richtig ist oder nicht. Denn ob ein Genre weiterlebt oder sich als Ganzes in die Annalen der Musikhistorie verabschiedet hat, sollte vor allem eines sein: egal. Auch auf die Hamburger Band Die Cigaretten, die gerade beim Label Audiolith debütiert hat, wird gerne das Etikett „Grunge” geklebt, wie früher die „Nice Price”-Sticker auf CDs, die sich im Endstadium ihres Produktlebenszirkels befanden. Hier verstärkt die optische Ähnlichkeit des Sängers Michael Okun zu Kurt Cobain die Sehnsucht von Fans und Presse nach dem Vergangenen noch und ist Aufhänger für eine Beschäftigung mit der Gruppe gleichermaßen. Auch Pabst haftete ein Sticker an, wortwörtlich sogar, genauer gesagt ihrem Debütalbum CHLORINE (Crazysane Records, 2018). Mit dem wurde die Band als „interessant für alle die Nirvana, QOTSA und Dinosaur Jr. mögen“ deklariert. Überraschung: Pabst, Die Cigaretten und unzählige andere Rockbands könnten aber auch als etwas Eigenständigeres angesehen werden.

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Ist man nur eigenständig, wenn man keinen Rock macht, oder was?

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Aber um als etwas Eigenständiges angesehen zu werden, dürften diese Bands offenbar keine Rockbands sein. Und da sie es doch sind, müssen sie sich von Anfang an mit all dem auseinandersetzen, was Rock tatsächlich oder angeblich ausmacht. Zum Beispiel, dass Rockmusik verdammt nochmal so klingen, aussehen und daherkommen müsse, wie etwas schon Dagewesenes und damit auch ein vergangenes Gefühl erneut auslösen soll, anstatt ein neues, unbekanntes zuzulassen. Ein vertrautes „Klingt wie …“ ist vielen immer noch lieber als ein einfaches „Wow“, als Ausruf eines positiven Gefühls, das es noch zu untermauern gilt. 

Heise sagt dazu: „Natürlich kann man Genremusik machen, zum Beispiel Stoner Rock. Wenn du diese Musik machst, dann hast du ein riesiges Netzwerk auf das du zugreifen kannst und wenn du einmal drin bist, dann kannst du europa- oder weltweit touren. Klar, immer im Underground, aber dort eben durchaus erfolgreich. Alle gehen hin, weil sie wissen was sie erwartet. Aber in so einer Szene befinden wir uns nicht und wollten auch nie diesen Weg gehen.“ Allerdings musste sich das Berliner Trio, dessen Mitglieder sich in der Pre-Pabst-Ära in anderen Bands probiert und unter anderem an elektronischer Musik versucht haben, erst einmal von ihren Vorbildern lossagen.

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Die Lösung: Von alten Idolen lossagen und Neues begrüßen

Es war total befreiend, als wir mit Pabst angefangen haben. Wir haben nicht mehr versucht in die Fußstapfen unserer Idole zu treten. Wir haben einfach gemacht und geguckt was passiert. Davor habe ich mich oft verrannt beim Versuch so zu klingen, wie meine Vorbilder“, erinnert Heise sich weiter. Eine Erfahrung, die auch Die Cigaretten bei Kolleg*innen machen. „Wir erleben oft, dass gerade in dieser Szene sehr in festgefahrenen Richtungen gedacht wird, auch von Seiten der Musiker her. Wer beispielsweise eine Garage-Band gründen möchte, guckt dann doch lieber was die Vorbilder gemacht haben und macht das dann nach. Wir mögen kein starres Denken, wollen mit den Vorgaben brechen und die Menschen dazu ermutigen, das gleiche zu tun“, so Michi von Die Cigaretten über den Anspruch der Band. Unter anderem deswegen fühlt die sich bei Audiolith gut aufgehoben: „Die Leute dort machen ihre Arbeit anders als es vorgefertigte Wege zulassen würden und wagen eher Neues.“

Auf dem Hamburger Indielabel erscheinen erst einmal zwei EPs. Stücke, die, die Band zuvor auf dem kleinen Label La Pochette Surprise herausgebracht hat, heißen etwa „Pillen“ oder(Ein Song called) Stuckrad-Barre“, ein neuer heißt „Psychose“. Ein Album soll im kommenden Jahr folgen. Ihre Musik nennen sie selbst „Problemkind Pop, Experimental Jetset, WaveRave“ – Gaga-Begriffe, die das ewige Etikettieren von Musik ad absurdum führen, die Band jedoch nicht vor anerkannten Genres und Vergleichen schützt. „Natürlich haben wir auch schon Beschreibungen gelesen wie ‘Nirvana aus Hamburg’, auch in Presseanfragen wird der Vergleich immer wieder aufgegriffen, mir auf der Straße immer noch ‘Kurt Cobain’ hinterhergerufen. Mittlerweile versuchen wir damit zu spielen“, erzählt der Cigaretten-Sänger Micha. „Wir versuchen trotzdem unser Ding zu machen. Viele Leute finden das was wir tun spannend, andere wiederum reagieren extrem hasserfüllt und kommen auf das Aufreißen von Grenzen überhaupt nicht klar.“ Dieses Aufreißen reicht bis ins Private hinein, in dem eben auch ein Interesse an Lil Peep, Klassik oder TikTok existieren kann und sich nicht ausschließt, da man ja Gitarrenmusik macht, mehr noch, im passenden Moment diese auf irgendeine Art befruchtet. 

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Für einige gemeine Rockfans ist das schon zu viel – und deren gerne getätigte Behauptung, dass früher alles besser gewesen sei, entlarvt sie selbst als Abgehängte. Zwischen der Freude über ein AC/DC-Comeback anno 2020 und der über ein paar frische Kids aus Shoreditch, die das x-te Garage-Rock-Revival anführen, gibt es eben doch kaum einen Unterschied. Die Welt soll sich ändern, Rock jedoch nicht – ein paradoxer Anspruch, den nicht nur viele Fans hegen. Die Cigaretten gehen zum Glück nicht so an die Dinge heran und hören vor allem auf sich:

„Wir wollen rauslassen, was in uns drin steckt, nachdem wir es gefunden haben. Nicht nachleben, was uns vorgegeben wird. Dabei muss man trotz der ganzen Interessen und Einflüsse aufpassen, sich nicht zu verlieren. Man darf sich nicht selbst zuscheißen mit allem, man muss, was man tut, vor allem genießen können.“ Ihre Zeile „Meine Strategie: ich vertraue auf mich selbst. Es ist nicht immer einfach, doch nur ich selbst bin ich selbst“, aus „Yo, Future“ wird zur Erinnerung, Mahnung und Empfehlung zugleich.

Auch Pabst haben sich befreit, von den eigenen privaten Idolen etwa, der Fixierung auf den deutschen Musikmarkt oder der Muttersprache. Wir wollten uns auf keinen Fall in der Szene hierzulande festfahren, da wir festgestellt haben, dass es in kreativer Hinsicht hier schwierig ist, wenn man solche Musik macht wie wir es tun und dazu auch nicht auf Deutsch textet“, weiß Erik zu berichten, der mit Pabst von Anfang an auch außerhalb des deutschsprachigen Auslands unterwegs war, unter anderem als Support von Bob Mould bei einigen UK-Dates. Die coronabedingt abgesagten 2020-Dates zum Zweitwerk DEUCE EX MACHINA hätte Pabst unter anderem nach Belgien, die Niederlande, Polen, Tschechien, Spanien, Frankreich und Luxemburg geführt. Was ist mit der Gefahr, im Ausland als explizit deutsche Band wahrgenommen und auf einen vermeintlichen oder tatsächlich mit der Herkunft verknüpften Sound reduziert zu werden? „Deutschen Bands, die im Ausland erfolgreich sind, haftet immer so etwas Deutsches an. Das sehe ich bei uns nicht.“ Die fehlende Szenezugehörigkeit und den Mut Dinge anders zu machen, bedeutet für beide und all die anderen Bands, die es ihnen gleich tun, auch Risiko, weiß Heise: „Wir müssen immer darauf vertrauen, dass andere uns gut finden. Das andere, sagen wir eine Band wie Kadavar, sagen: ‘Wir finden die gut. Was unsere Fans davon halten, dass wir die mit auf Tour nehmen wissen, wir zwar nicht, machen das aber trotzdem’. Es gibt aber auch genug Bands, die uns zwar geil finden, uns aber nicht mitnehmen, weil sie der Meinung sind, es würde nicht passen.“ 

Dabei ist es einfach nur Rockmusik, wie es einst bekanntermaßen Dirk von Lowtzow ausdrückte, als er gegen Etiketten ansang und wenige Jahre später viele Trainingsjackenträger verlor, als er und seine Band selbige ablegten. 

Charlotte Brandi und Dirk von Lowtzow teilen gemeinsamen Song „WIND“

Über die Bands:

Die 2016 gegründete Berliner Band Pabst besteht aus Erik Heise (Gesang, Gitarre), Tilman Kettner (Bass) und Tore Knipping (Schlagzeug). 2018 erschien ihr erstes Album, CHLORINE. In diesem Jahr brachten sie den Nachfolger DEUX EX MACHINA heraus.

Bei Die Cigaretten aus Hamburg spielen Micha und Michi. Ihre aktuelle EP heißt CRASHKID. Am 24. Oktober 2020 wollen sie im Badehaus in Berlin auftreten.

Constantin Timm