Rock Am Ring Nürburgring, Eifel


The soundcheck of our lives: Trübes Testosterongerocke und herzerfrischende Lichtblicke an der Rennstrecke Freitagnachmittag.

Es nieselt und von der Center Stage rüber schreit einer wie ein Jochgeier. Trübsinn zum Festivalauftakt. Wenn das der Rock ist, dann sind wir froh, dass Fünf Sterne Deluxe jetzt auf der Alternastage den Groove-Tag eröffnen. Die waren zwar schon mal mit dickerer Hose unterwegs, aber das Geniesel weicht erstmals guter Laune.

„Ich mag das sehr gerne, wie wir das heude wieder machen‘, sagt Bo. Dann kommt Max Herre mit seinem Schniegel-Soulpop und man schaut doch lieber mal zu den Rockmonstern an die Center Stage. Dort dröhnt Lemmy Motörhead. der sich seine Warzen offensichtlich mit Silikon hat aufblasen lassen, alles nieder {„Lemmy ist gut drauf“, sagt ein Kenner, was immer das heißen will), gegen die Werbebanner an den Monitorboxen, die in ein paar Jahren wohl auch noch auf den Instrumenten kleben werden, ohne dass sich jemand aufregt, hat er aber auch nichts auszurichten.

Was will es uns eigentlich sagen, dass es das epischste Gitarrengegniedel mittlerweile bei HipHop-Bands gibt? Die tollen, wenn auch etwas unfokussierten Roots crossovern von HipHop zu Soul rüber, kokettieren mit Rock-Riffs und stehen irgendwann knietief im Blues-Jam, zwei-Stunden-Solo inklusive. Weil der Live-Kunde seinen HipHop handgemacht mag, flutscht das genauso wie später die Black Eyed Peas, die es mit der Dudel-Flut ISaxophon, Drums, Gitarre, Bass, jeder darf ran) etwas übertreiben, aber in Sachen Publikumsgunst einen guten zweiten Platz machen hinter den unfehlbaren Seeed mit ihren tollen Hüten, Anzügen und Ausfallschritten. Wer sich für einen Abstecher zum Talent Forum von den Grooves der Berliner loseist, kann dort die physisch zweitspektakulärste Show des Abends sehen: Funeral For A Friend – kirre Hobbits, die sich gegenseitig fast mit ihren Gitarren erschlagen, Emo-Metal-Pandämonium, hervortretende Halsschlagadern und ein Gewirr von Hornbrillen vor der Bühne. Zwe/tspektakulär, weil zur Nacht dann noch Kaizers Orchestra kommen mit ihrem exaltierten Vaudeville-Punk und ihren Autofelgen und Gasmasken. Wimps and losers – ab in die Zelte!

Samstag, wenig Sonne, mehr Schreihälse. Hier: die Band Hoobastank. Meier roch. „Are you ready to get STUPID?“ brüllt der Sänger. Hell, no! Und auch nicht für den drowning fool von Drowning Pool. Überhaupt machen wir jetzt so lange schlechte Kalauer über die, bis sie endlich weggehen. Und Nickelback auch, die noch von fern hinreichend auf den Keks geht. Keine Zeit für ondulierte Pornobalken, weil es auch Jet gibt, die zwar nicht mehr ganz so frisch sind wie letztens auf der Clubtour Iden Cester-Brüdern steckt wohl auch das Drama mit ihrem kranken Vater in den Knochen; kurz nach dem Auftritt ging’s heim nach Melbourne) aber – erweitert um einen Zusatzmann an der Orgel – doch einiges wegrocken am helllichten Nachmittag.

Und wenn schon Pomp, dann Muse, das missing link zwischen Radiohead, Pumpkins und Emerson, Lake & Palmer. Der manische Spichtel Matt Bellamy wieselt wie in Trance zwischen virtuosen Gitarrenwürgereien und ekstatischen Ausbrüchen am Fantasy-Klavier hin und her, dass es ein Art-Rock ist. Auch wenn man keiner der religiös verzückten Hardcore-Fans ist Ida sind tatsächlich weinende Mädchen im Publikum!), ist das ziemlich beeindruckend.

Erdiger geht’s an der Alternastage zu. Die Beatsteaks, die dieser Tage die Ernte jahrelanger Ochsentouren einfahren, verursachen einen gänsehautmachenden Massenauflauf von enthusiasmierten Fans, dereinen Auftritt auf der Center Stage gerechtfertigt hätte. Und der dann windelweich gerockt wird, auch unter Zuhilfenahme wohlfeiler Covers von „So Lonely“ (Police) bis „Opelgang“. Ob das jetzt der Ausverkauf sei oder was, nasrümpftein Kollege. Defätist! Dann geh doch rüber zu Ektomorf ins Talent Forum!

Aber komm schon, Konsens jetzt, alles drängt an die Center Stage, die Chili Peppers gucken bei ihrem ersten Auftritt nach sieben Monaten Auszeit. „The longest vacation we ever got“, wie Flea betont. Sie wirken auch noch ein bisschen wie gerade aus dem Urlaub zurück, wie sie sich zwischen Songs minutenlang beraten und rumdaddeln. Aber irgendwie ist das sympathisch und schert spätestens dann keinen mehr, wenn die Funkmaschine Flea sich für kurze, flammende Jams mit dem schlicht hinreißenden John Frusciante in den Clinch begibt, dem die Inspiration aus dem Äther direkt in die Gitarrenfinger zu fließen scheint. Als Ausfall kann man dafür den gewohnt distanzierten Anthony Kiedis werten, der- wenn er nicht gerade seine Teetasse herummanövriert – zwar immer mal freaky hüpft, aber viel zu wenige Töne trifft und dem intonationssicheren Frusciante das Harmoniesingen nicht eben leicht macht.

Noch ein Superstar: Pharell Williams und N.E.R.D. mit mehr Rock-Getu auf HipHop-Basis und funkenden Beats, zu denen sich schon mal das Tanzbein regt. Echte Kerle gehören allerdings rüber zu Anthrax lim Talent Forum!], Faust in die Luft und „AN-TI-S0-CIAL!“ mitbrüllen. Trotzdem gehen wir auch hin – und es ist toll! Vielleicht liegt’s daran, dass man bei denen nicht „stupid“ werden muss, sondern einfach was geht. Dann: „Latenight Special“. Alternastage. In Extremo. Fleischige Männer in Ledergurten. Olifanten. Gerollte Rs. Fantasy-Dudelsäcke und Metalgitarren. Eine ästhetische Katastrophe von so epischen Ausmaßen, dass man sich fragt, was all diese Leute auf und vor der Bühne wohl für ein Selbstbild haben. Mit solchen Eindrücken sollte man nicht zu Bett gehen müssen.

Sonntag, endlich Sonne und gleich wieder ein fleischiger Mann, hieraber: im Kaftan. The Soundtrack Of Our Lives, die sensationellen Schweden, rocken nur mittelsensationell, weil der Rahmen wohl zu weitläufig ist und so Sänger Ebbot Lundbergs Charisma nicht recht Fuß fassen kann. Charisma spielt beim ausgeklügelten Funk-Pop-Rock von Phoenix keine Rolle und darum funktioniert der hier so wunderbar wie letzthin im Club. Genau wie die immer wieder erstaunlich sich ins Ohr schraubenden Songs der Weakerthans. Und sollen die da vornean der Center Stage doch der kalten Linkin-Park-Maschine beim Rattern zuhören weiter geht der Sonnensonntag an der Alternastage mit den Königinnen der Herzen: Wir sind Helden und Sportfreunde Stiller, die beide derzeit einen solchen Lauf haben, dass es ein Spaß ist, wie sie sich freudestrahlend von den fröhlichen Massen aus der Hand fressen lassen.

Derweil – die Sonne sinkt – bitten auf der Center Stage die Platzhirsche des deutschen Gesamtrock zum Volksfest. Die Untoten Hosen, wasserstoffblond faltig und mit Campino, dem Großmeister des kumpelhaften Pathos nachdenkliche Posen und derbe Scherze gehen Hand in Hand mit dem er die Zigtausenden so an der Kandare hat, dass es schon Bewunderung abringt. Er sollte sich nur nicht mit den Coolen anlegen, denn da können Sachen passieren wie diese: Nachdem das immer wieder bemerkenswert dümmliche Lied „Bayern“ abgespielt worden ist, das Campino unter großem Hallo hämisch den Sportfreunden gewidmet hat, wandert deren Sänger Peter Brugger – blissfully ungebeten – auf die Bühne, um vor den 70.000 mal eben in aller Gemütsruhe seine Liebe zum FCB zu bekunden und einem gewissen Edelpunk dermaßen die Luft rauszulassen, dass der noch zwei Songs später baff ist. 1:0 für die Bayern. Und darüber freut sich hier ein 60er.

Das Ende naht, die Kräfte schwinden. Wer es jetzt noch schafft, bei Ben Harper und den Innocent Criminals nicht vor Langeweile zu verenden, kann auf der Alternastage noch einen Höhepunkt erleben: Moloko. Eine riesige Band, die vertracktest Beats und Funk pumpt – alles nur zum höheren Ruhm ihrer Frontfrau. Roisin Murphy. Die sexieste Person in der ganzen Eifel. Und die durchgeknallteste, zumindest tut sie so, schamanentanzt im technicolor Dreamkleid, schleudert ihre Stöckelschuhe von sich, zerrupft singend Rosensträuße. Großes Avant-Pop-Cabaret, immer mit einer seltsam linkischen Note, wie sie sich auf dem Rücken liegend ungelenk die Lederstiefel anzieht und sich durch eine Sammlung von Umhängen und Capes arbeitet wie ein bedrogter Teenager, der Mutters Kleiderschrank zerlegt. Eine Göttin. Und eine Wumme von einer Show, die für alles entschädigt. Mit solchen Eindrücken kann man gut nach Hause gehen.