Ringsgwandl
Unsere Seelen wandern doch. Zum Beispiel die von Karl Valentin, als sie sich 1950 ein Baby im bayrischen Mittenwald aussuchte, das nun ais Kabarettist Georg Ringsawandl nicht nur süddeutsche Intellektuelle verunsichert. Seine in Windeseile ausverkauften Auftritte in dem Münchner Live-Club sind ein doppeltes Heimspiel: Nördlich der Weißwurstgrenze muß er mit gepflegtem süddeutschen Akzent den Sprach-Exoten mimen, Bremer und Berliner würden sein Schlachthof-Niederbayrisch für Suaheli halten.
Doch dieser Club hat noch eine tiefere Bedeutung. Während nur wenige Meter nördlich der Bühne in der städtischen Fleischfabrik 600 Schweine pro Stunde geschlachtet werden, schlachtet Georg Ringsgwandl zwei Stunden lang alle Vorurteile gegen politisch engagierte Live-Satire. Im Hauptberuf als Kardiologe und Oberarzt der Intensivstation des Krankenhauses von Garmisch-Partenkirchen täglich mit Leid und Tod konfrontiert, vereint der zynische Punk-Doktor wie einst Valentin alpenländische Bauernschläue zu einer genialen Hinterfotzigkeit.
Genau das irritiert sein linkes Kleinkunst-Publikum, das den üblichen Polit-Thrill erwartet: das zu hören, was sie ohnehin schon wissen. Teilweise erfüllt Ringsgwandl diese Erwartungen, Wenn er über die „dynamischen Jungmanager in der Allrad-Kutschn“ herzieht, die „mit’m Wasserflugzeug zum Zigarettenholn geht“, oder über sündhaft teure Pop-Konzerte: „Heut spielt der Placido Domingo in der Olympiahalle, so ein menschlichfeiner Zug, der spielt heut fir uns alle“.
Damit hat es sich aber schon mit dem ärztlichen Entgegenkommen des schlacksig-schmalbrüstigen Jango Edwards-Bewunderers. Als türkischer Rolex-Imitat-Händler verkleidet windet er sich in spastischen Verrenkungen über die Bühne und singt von den ganz kleinen Perversitäten des Alltags wie „die leicht angefressene Erotik der Hausfrau um die Vierzig“, oder über den Tod, in den man „Nix mitnehma“ kann – seine Version des Dylan-Klassikers „Gotta Serve Somebody“. Endgültig aber sprengt er alle Kleinkunst-Fesseln mit der A-Capella-Verwurstung von Hot Chocolate-Hits. Der Bayer wird zur abgedrehten Human Beat Box und gestylte Disco-Hasen kriegen ihr Fett ab: „Dicker Popo, runder Buckel, was bist du für’n schlimmes Schnuckel“.
Die Chancen, den Herrn Doktor Ringsgwandl erleben zu können, sind äußerst rar. Sein Beruf gibt ihn nur am Wochenende frei, die großen Fernsehshows haßt er – und seine wenigen Auftritte zwischen Bremen und Berchtesgaden sind blitzschnell ausverkauft.