Richard Linklater: „Musik definiert das Leben meiner Figuren“
Richard Linklater ist aktuell mit „Everybody Wants Some!!“ in den Kinos. Wir haben mit dem Regisseur über das Element gesprochen, dass seine Filme seit jeher auszeichnet: Musik.
1993 hatte Richard Linklater „Dazed And Confused“ gedreht, in dem er einer Gruppe von Teenagern im Sommer 1976 durch den letzten Schultag folgt, mit ihnen herumhängt, mit ihnen Musik hört, sich mit ihnen verliebt, trinkt, tanzt, Blödsinn macht, ihren Gesprächen lauscht, bis sich auf einer spontanen Party alles in Wohlgefallen auflöst. Finanziell war der Film damals kein Erfolg. In Deutschland konnte der Verleih so wenig damit anfangen, dass er ihn erst anderthalb Jahre später nach dem Erfolg von „Before Sunrise“ unter dem irrwitzigen Titel „Confusion – Sommer der Ausgeflippten“ ins Kino brachte. Aber „Dazed And Confused“, der die Karrieren von Matthew McConaughey, Ben Affleck, Rory Cochrane und Renée Zellweger in Gang setzte, entwickelte sich auf Video zum Kultphänomen. Der Soundtrack, randvoll mit FM-Radio-Standards der Zeit wie „Highway Star“ oder „School’s Out“, verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal.
Linklaters neuer Film, benannt nach dem zweiten Song auf dem Van-Halen-Album Women and Children First, ist nun das verspätete Sequel von „Dazed And Confused“– oder besser: der spirituelle Cousin. Keine der Figuren kehrt zurück, aber der neue, ebenfalls unverkennbar autobiografische Film ist fast identisch strukturiert und mit der gleichen Haltung erzählt. Er spielt vier Jahre später, an drei Tagen im Sommer 1980, in dem sich College-Neuankömmling Jake in seiner neuen Umgebung zurechtfinden muss. Wenn „Dazed And Confused“ mit dem letzten Klingeln der Highschool-Glocke beginnt, so endet „Everybody Wants Some!!“ mit dem Beginn des College-Unterrichts.
Diesmal passiert noch weniger: Keiner muss eine Entscheidung treffen, von der die Zukunft abhängt. Lieber hängt Linklater mit Jake und den Jungs der Baseball-Mannschaft noch entspannter herum. Wieder hört er mit ihnen Musik, trinkt, tanzt, verliebt sich. Man spielt „Space Invaders“ und philosophiert über Pink Floyd. Ein Film, dessen Blick bis ins letzte Detail so unverkennbar amerikanisch ist, dass er nur mit den Mitteln des Kinos von Truffaut oder Rohmer gemacht werden konnte. Weil es sich nicht um eine Nostalgie-Show handelt wie in „American Graffiti“, sondern um den Versuch, ein Stück vergangenes Leben auszuschneiden und eins zu eins auf die Leinwand zu beamen. Und das alles zum Sound der besten Musik.
ME.MOVIES: Wie wichtig ist Musik für Ihren Film?
Richard Linklater: Sie ist nicht das einzige wichtige Element. Aber sie ist sehr wichtig. Sie definiert das Leben meiner Figuren, sie ist ihr ständiger Begleiter, der Soundtrack ihrer Existenz. So war das damals, genau so erinnere ich mich daran: Musik war überall. Ich würde sagen, zumindest in Austin war es ein sehr aufregendes Jahr. Es passierte wahnsinnig viel, es gab viele neue Entwicklungen und Stile, die man entdecken konnte.
Sind die Songs im Film auch die Lieder, die Sie damals selbst gehört haben?
Absolut. Zu jedem einzelnen Track habe ich eine ganz innige, persönliche Beziehung. Wir haben damals ja nicht nur die Musik gehört, die wir gut fanden. Oft lief einfach das Radio, und gewisse Lieder brannten sich ein. Oder man ging in Clubs und hörte da Sachen, die man selbst niemals gekauft hätte. Es ist ein schönes Gefühl, in seinem Leben von Musik eingehüllt zu werden wie von einer Decke. Das wollte ich rüberbringen. Ich wollte, dass „Everybody Wants Some!!“ hundertprozentig der Zeit entspricht, in der er spielt.
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Haben Sie gewisse Lieder immer schon beim Schreiben des Drehbuchs im Kopf? Wie beeinflusst die Musik, die Sie verweden wollen, den Film, den Sie machen?
Viele der Lieder stehen schon im Drehbuch, das stimmt. Und sie beeinflussen, was in den Szenen geschieht, weil mir gewisse Sachen selbst fast genau so passiert sind, während ich die Lieder gehört habe. Ich wollte aber keinen nostalgischen Film machen. Das auf keinen Fall. Ich wollte einen lebendigen Film machen über Figuren, die man nachvollziehen kann: Jungs, bei denen man den Eindruck hat, dass man sie kennt. Das kann sich in Kleinigkeiten äußern wie in der Szene, in der sie „Space Invaders“ spielen und einer genau erklärt, mit welchen Tricks man das Spiel meistert. Oder eben in der Musik. Wie gesagt, es war eine aufregende Zeit. Vieles befand sich im Umbruch, neue Sachen wurden angeschoben. Diese Offenheit und Entdeckungslust verbinde ich besonders mit 1980.
Der Vorgängerfilm, „Dazed And Con- fused“, spielt vier Jahre früher: 1976. Auch da spielt Musik eine große Rolle. Was hat sich in der Zeit bis 1980 verändert?
„Dazed And Confused“ ist in vielerlei Hinsicht ein Film über die Blütezeit des FM-Radios. Deep Purple, Aerosmith, Foghat, Rick Derringer. Die Radios waren immer an. 1980 haben wir noch Hard Rock und Heavy Metal gehört – Van Halen oder ZZ Top waren große Acts, besonders in Austin. Aber wenn wir abends ausgingen, hatten wir auch kein Problem damit, wenn Disco lief. In den Discos konnte man Mädchen treffen, und wenn man landen wollte, musste man eben tanzen. KC & The Sunshine Band oder Donna Summer, das war populär. Genauso sind wir aber auch in Country-Schuppen gegangen und haben Square Dance getanzt. Lachen Sie nicht, das war so! Country war 1980 kurz schwer angesagt, weil John Travolta mit „Urban Cowboy“ in den Kinos war. Der sollte für Country das machen, was er mit „Saturday Night Fever“ für Disco geschafft hatte. War nicht ganz so erfolgreich und ist heute weitgehend vergessen, aber für eine kurze Modewelle hat’s gereicht.
Und das haben Sie selbst auch gehört?
Das habe ich auch gehört. Ich bin mit Rockmusik groß geworden, also schlug mein Herz vor allem dafür. Punk und New Wave waren eine große Sache für mich. Bands wie The Clash, Talking Heads oder The Cars waren schwer im Kommen. Das waren wichtige Bands für mich. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich damals angefangen, sehr intensiv Frank Zappa und Captain Beefheart zu hören. sheik Yerbouti war erschienen. Das hat mich elektrisiert, weil es mit nichts zu vergleichen war.
Austin war damals bekannt für seine sehr ungewöhnliche und aktive Punkszene. Bands wie The Dicks, Big Boys oder The Stains haben nicht einfach nur harte Musik gespielt, sie haben auch Status quo und Geschlechterrollen hinterfragt.
Dass Sie mich darauf ansprechen! Diese Bands haben mich stark beeinflusst. Vor allem Big Boys, die sich schwer einordnen ließen, zwischen Punk und Funk oszillierten und die in abgefahrenen Klamotten auftraten. Tatsächlich ist die Szene in „Everybody Wants Some!!“, in der die Jungs in das Punkkonzert platzen, dem Besuch meines ersten Big-Boys-Konzerts nachempfunden. Der Song, den die Band spielt, basiert ganz explizit auf „Frat Cars“ von der ersten Big-Boys-Single von 1980. Und der Sänger der Filmband ist genauso in Klebeband gewickelt, wie das auch Sänger Randy Biscuit damals tat. Eine irre Band!
Man kann sich kaum vorstellen, dass Kids jemals so offen für so viele verschiedene Musikstile waren. Es gibt ja dieses berühmte Foto, auf dem Hardrock-Rednecks „I Hate Disco“-T-Shirts zur Schau tragen.
Hmm, klar. In Austin – oder sagen wir mal: in dem Austin, wie ich es erlebt habe – war das anders. Austin ist generell anders als die meisten amerikanischen Städte, sehr liberal und weltoffen – und das ausgerechnet in Texas. 1980 waren die Leute einfach sehr entspannt und neugierig. Und ich kann es nur noch einmal betonen: Musik war allgegenwärtig. Man musste nicht danach suchen, sie fand einen ganz von selbst. Wir sind damals mit dem Auto durch die Stadt gefahren und haben „Rapper’s Delight“ mitgerappt – auch diese Szene kommt im Film vor. Wir fanden das völlig irre, so neu, so anders.
Eine eigene Szene im Film gehört Pink Floyd. Stellten die etwas Besonderes da?
Ja, Pink Floyd fielen irgendwie aus dem Rahmen. Man hatte den Eindruck, dass es bei denen um mehr ging. Dass sie Dinge begriffen hatten, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie existierten. Es wurde viel philosophiert. Der Witz an der Szene im Film ist ja, dass der Typ, der den Vortrag hält, die Welt nicht anhand einer neuen Platte von Pink Floyd zu erklären versucht. Er redet nicht über the Wall, animals oder Wish You Were here, sondern über meddle von 1971 …… und er redet auch nicht über die Hits der Platte – „One Of These Days“ oder „Echoes“ –, sondern über „Fearless“, ein eher obskures, untypisches Floyd-Stück.
Ich fand das irre komisch. Erst später erfahren wir, dass der Typ in Wahrheit viel älter ist, als er behauptet. meddle ist eine Platte aus seiner Jugend und er spricht über sie mit genau der Distanz, mit der ich gerade über 1980 rede.
„Everybody Wants Some!!“ wird als Ihr Film über die 80er angepriesen. Dabei spielt der Film 1980 und …
… erzählt eigentlich von den 70ern. Stimmt. Die 80er beginnen im Grunde erst 1982, als der Einfluss von Reagan stärker wird. Reagan wurde im November 1980 gewählt, ein paar Monate nach der Handlung meines Films. Unter ihm hat sich Amerika stark verändert.
Ist Ihr Film also so etwas wie ein letztes Hurra?
Puh. Ich habe das schon öfters gelesen, „Untergang von Pompeji“ und so. Das finde ich doch etwas übertrieben. Zumindest war das nicht meine Absicht. Ich habe diesen Zeitabschnitt gewählt, weil er für mich selbst wichtig war und weil ich fand, dass es eine gute Ergänzung zu „Dazed And Confused“ sein würde. Ich war Anfang 20. Da fängt man an, eine Einstellung zum Leben zu entwickeln, die man als Teenager noch nicht hatte.
Würde der Film zwei Jahre später spielen, hätte er sicher ganz anders geklungen.
Oh, ganz bestimmt. Vielleicht ist mir 1980 auch deshalb so wichtig, weil es für längere Zeit die letzte Phase war, die ich ganz klar und bewusst miterlebt habe. Ich habe keine übermäßig ausgeprägte Erinnerung an die 80er. Ich fand, es war eine elende Zeit, und ich habe mich eine Weile von der Realität verabschiedet.
Aber Musik haben Sie noch weiter gehört?
Ja, natürlich. Da kamen viele großartige Sachen. Ich mochte abgründige Independent- Musik. Birthday Party, Swans, Sonic Youth, Camper Van Beethoven, The Smiths.
Aber Musik hatte zu dieser Zeit nicht mehr diesen inklusiven Touch wie noch 1980, als sie für jedermann da zu sein schien.
Das ist richtig. Alles wurde fragmentierter, die Dinge drifteten auseinander.
Zum Abschluss noch Fragen zu zwei Songs, die Sie in Ihrem Film verwenden.
Nur zu, schießen Sie los.
Okay, warum sollte der Film mit „My Sharona“ von The Knack beginnen?
Ich könnte es mir jetzt einfach machen und sagen: Weil dieses Drum-Intro unwiderstehlich ist, sofort in die Beine geht und ein Film gar keinen besseren Hochstart hinlegen könnte. Tatsächlich ist es so, dass ich The Knack für eine ziemlich unterschätzte Band halte, aber ein paar Songs viel besser finde als „My Sharona“. Die hätte ich auch lieber genommen. Aber meine Schauspieler haben mich bedrängt, ich sollte unbedingt den nehmen.
The Knack waren eine der ersten Bands, die auf den New-Wave-Zug aufsprangen, ohne ursprünglich aus der Punkszene zu kommen. Dafür wurden Sie von Jello Biafra als Paradebeispiel einer Retortenband beschimpft.
Und danach hatten Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie The Knack gehört haben? Hahahaha, ich kenne das, diese Bands, die man in Wahrheit mag, aber nur hinter verschlossenen Türen hört. Ich habe damals die Dead Kennedys gesehen. Aber The Knack mochte ich auch. Heute kann man beides gut finden. Damals wäre das unmöglich gewesen.
Letzte Frage zu „Urgent“ von Foreigner. Sie sind bekannt für Ihre extreme Detailgenauigkeit. Thin Lizzys „The Boys Are Back In Town“ haben Sie aus „Dazed And Con- fused“ geschmissen, weil er ein paar Wochen nach der Handlung auf den Markt kam. Wie kommt also ein Song von 1981 in Ihren Film?
„Urgent“ ist von 1981?
Ja.
Wirklich?
Sagt Discogs, sagen alle anderen Quellen.
Ach, Scheiße.