Richard Branson


Mit 16 gründete er eine Zeitung, mit 19 startete er seine Plattenfirma, mit 22 verbuchte er seine erste Million. Richard Branson, der 32jährige Chef der englischen Plattenfirma Virgin, gehört zu den schillerndsten Figuren des Musikgeschäfts. Der Mann mit den goldenen Händen empfing unseren Reporter Steve Lake auf seinem Hausboot in London.

Im Hausboot läuft die Heizung auf vollen Touren, die Fenster sind beschlagen, der beißend kalte Wind, der die Themse bei Little Venice aufschäumen läßt, wird in seine Grenzen verwiesen. Die Kabine hebt und senkt sich im Rhythmus der Wellen – eine an sich angenehme Bewegung, die jedoch der kleinen Holly, Richard Bransons einjähriger Tochter, Schwierigkeiten bereitet.

Hups! Das Boot kipp! weg, und Holly wäre beinahe kopfüber auf den Boden gefallen, hätte nicht der starke Arm ihres Vaters sie aufgefangen. Gleichzeitig ist Branson ohne Probleme in der Lage, das Interview fortzusetzen.

„In dieser Industrie bin ich mir immer wie ein Betrüger vorgekommen“, sagt er gerade, als plötzlich alles auf einmal zu passieren scheint: Seine Freundin bittet ihn, einen Scheck zu unterschreiben, seine Sekretärin verkündet, es sei jemand sehr wichtiges am Telefon, der Koch kommt mit einer dampfenden Schüssel – und Holly, die in diesem Moment auf Aufmerksamkeit verzichten muß. fängt an zu heulen.

Diese Szene kaum kontrollierten Chaos‘ entspricht so perfekt meinen Erinnerungen an die Anfangszeiten von Virgin Records, daß es mir schwerfällt, im Hinterkopf festzuhalten, wie sehr sich diese Firma inzwischen zu einem weit verzweigten Business-Konzern gemausert hat, an dessen Spitze Branson als unangefochtener Mogul schaltet und waltet.

1973, als ich ihn kennenlernte, bestand seine Firma nur aus unkanalisierter Energie und unausgegorenen Ideen. Die kleine Belegschaft wechselte ; die Jobs wie die Hüte, bis man den jeweils Passenden gefunden hatte Bei zwei aufeinanderfolgenden Besuchen in dem Winz-Etablissemenl in der Londoner Portobello Road mußte man sich darauf ge- ‚ faßt machen, daß die Dame von der Telefon- Zentrale inzwischen den Export beaufsichtigte, daß Richards Sekre tänn eine Gruppe managte und gerade mit Vehemenz eine Tantiemen-Erhöhung aushandelte – oder daß der Chef der „Artist & Repertoire“-Abteüung seit Tagen damit beschäftigt war, Platten in Kartons zu verpacken… Unzählige Musiker hingen in den Räumen herum, präsentierten ihre Argumente, feilschten und beklagten sich, wie Musiker es nunmal zu tun pflegen. Die Leute von Henry Cow plagten sich mit dialektischen Argumentationen, weil sie Probleme hatten, ihre marxistische Philosophie in Einklang mit der Notwendigkeit zu bringen, in der kapitalistischen Presse Anzeigen zu schalten. Oder Richard Sinclair von Hatfield and The North trieb seine Kinder in Bransons Büro und verkündete melodramatisch: „Diese Kinder sind hungrig!“

Zehn Jahre danach ist das Virgin-Hauptquarüer noch immer so übervölkert wie der Marktplatz in Kalkutta (Branson selbst hat sich vor drei Jahren auf besagtes Hausboot abgenabelt); das Leben geht weiter wie immer, wenn auch die Firmen-Philosophie sich im Laufe der Jahre ein wenig geändert hat. Der erste, dem ich begegne, während ich mir den Weg durch einen engen, von Paketen verstellten Flur bahne, ist Mark Springer, Pianist bei Rip, Rig and Panic, der gerade versucht, ein bißchen Kohle aus der Kasse lockerzumachen.

„Aber Mark“, protestiert eine Sekretärin, „letzte Woche hast du doch erst 100 Pfund abgeholt, hast du die denn schon auf den Kopf gehauen 7 “ Von neuem kommt es zu einem kleinen Familien-Krach.

Auf dem Boot weiß Richaid Branson derweil detaillierter zu berichten, warum er sich in diesem Spiel für einen Gauner häit „Ich zähle nicht, zu Jar ^^^Lemen. die ihre Schulzeit damit verbracht haben, hingebungsvoll Rockmusik zu hören. Dazu war ich viel zu beschäftigt. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich die Schule verlassen. Seither arbeite ich. Heute habe ich eher eine Beziehung zu den Menschen, die Musik machen, als zu der Musik selbst. Es ist mir inzwischen fast unmöglich, nur zum Vergnügen eine Schallplatte zu hören. Platten haben für mich so viele andere Quer-Verbindungen und Bezüge: Wie stehe ich zu dem Musiker als Person? Wie hat sich seine letzte Platte verkauft, usw . ..“

In diesen Tagen überiüßt Richard den Großteil der geschäftlichen Aktivitäten seinem fähigen Vetter Simon Draper, der von Anfang an der musikalische Direktor hinter den Kulissen war Richard selbst ist auf der Suche nach Möglichkeiten zur Expansion von Virgin, einem Unternehmen, zu dem immerhin schon folgende Firmen gehören (man atme tief durch!): Virgin Retail (eine Kette von 26 Schallplattenläden in ganz England, einschließlich des „Megastore“ in Londons Oxford Street, der sich selbst als „größten Schallplattenladen der Welt“ bezeichnet); Frontline Entertainment, eine Künstler-Agentur; drei Clubs „The Venue“, „The Gardens“ und „Heaven“, alle in London; zwei Musikverlage. Virgin Music und Din Song; Virgin Films; Virgin Books; Virgin Video; drei Studios – „The Manor“ in Oxfordshire und „Town House“ und „The Bärge“ in London… sowie eine frappierende Anzahl von lizensierten Plattenfirmen in 53 Ländern. Vor sechs Jahren kaufte er auf seine typisch extravagante Art eine der Virgm Islands, ein kleines Robinson-Crusoe-Eiland vor Puerto Rico, so gut wie unbe wohn‘.. Zur Zeit dräm‘ ’n‘-ain dort auf Erschließung und baut ein Stu dio, von dem man hofft, daß es als Basis für die Aktivitäten der nordamerikanischen Zweigfirma dienen kann Und dann gibt es natürlich noch weitere Projekte – wie etwa eine Video-Games-Firma, eine Gesundheitsfarm usw….

Richard Branson, der Mann, der Multimillionär dadurch wurde, daß er Musik verkauft, die ihn nie besonders interessierte, ist erst 32 Jahre alt. Die Legende schreibt die Entstehung seines Imperiums einem Fußballunfall zu, der die bisherige Hoffnung auf eine sportliche Karriere zunichte machte. Da ihm auf Anordnung der Ärzte jedes Betreten eines Sportplatzes verboten war, hatte der junge Branson hinreichend Zeit, seine Ambitionen in andere Kanäle zu leiten Er war 15 Jahre alt, als er das „Student“-Magazin startete, das auf die Bedürfnisse am College und an der Schule ausgerichtet sein sollte. Die ersten Anzeigen beschaffte er sich mit seiner angeborenen Überredungskunst aus der Telefonzelle in der Schule. Schamlos setzte er seinen jugendlichen Charme ein. um Interviews mit Berühmtheiten ans Land zu ziehen; von seinen Lieblings-Autoren und -Journalisten ließ er sich kostenlose Beiträge schreiben. All das lief wie geschmiert, bis der Direktor der Schule das Ultimatum stellte, entweder Schule oder Zeitung Branson zögerte keine Sekunde und wurde mit 16 Jahren Großbritanniens jüngster Herausgeber.

„Student“ bot Ratschläge für Teenager, die sich mit den traditionellen Problemen herumplagten: kein Geld, Isolation, Alkoholismus, Drogenabhängig keit, unerwünschte Schwangerschaft, Geschlechtskrank heiten… Da letztere Thematik völlig ungeschminkt abgehandelt wurde, bekam „Student“ Arger mit der Polizei, die nach einem absurden Gesetz von 1889 einschreiten mußte, in dem die öffentliche Erwähnung von Geschlechtskrankheiten verboten ist.

Branson reagierte, indem er eine Klage gegen die Verfassung einreichte. Doch bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam, wurde das Gesetz geändert.

Der Sieg für Branson und die damit zusammenhängende Publizität machte ihn zu einem Helden der Jugend. Die BBC widmete ihm einen Dokumentarfilm, und sogar das Deutsche Fernsehen lud ihn ein, zusammen mit radikaleren Köpfen wie Daniel Cohn-Bendit bei einer Veranstaltung gegen den Vietnam-Krieg teilzunehmen. Für den Sohn eines Anwalts aus der oberen Mittelklasse eine ziemlich eigenartige Gesellschaft.

Obwohl Branson als Medien-Persönlichkeit langsam ms Rampenlicht geriet – eine Rolle, in der er sich eigentlich nie wohlfühlte – ging „Student“ langsam das Geld aus. 1969 gab die Zeitung endgültig den Geist auf. In der letzten Ausgabe allerdings befand sich eine Anzeige, in der eine Mail-Order-Firma namens Virgin Schallplatten zu Büligpreisen anbot. Die Idee war, sich den steigenden Preisen von Schallplatten entgegenzustellen und sie für die finanziell schwachbrüstigen Studenten wieder erschwinglich zu machen. Den Namen „Virgin“ (Jungfrau) wählte man als ironisch gemeinte Andeutung darauf, daß man im Musikgeschäft über keinerlei Erfahrung verfügte.

Der Name erwies sich in der Tat als böses Omen, denn der Virgin-Plattenversand wurde zum Opfer von skrupellosen Kunden, die ungeniert behaupteten, ihre Platten niemals erhalten zu haben. Naiv, wie man war, schickte man ihnen kostenlos Ersatzplatten. Als obendrein 1971 in England ein‘ unbefristeter Post-Streik ausgerufen wurde, war das der schnelle Schlußstrich.

Auf des Messers Schneide zum Bankrott beschloß Branson, es mit einem regulären Plattengeschäft zu versuchen. Auf Pump mietete er eine Abstellkammer über einem Schuhgeschäft in der Oxford Street, beschaffte sich (wiederum auf Kredit) Schallplatten von den Firmen und investierte ein paar Pfund in Kaffee, um „die Atmosphäre freundlich zu gestalten“.

Endlich war Branson im Geschäft und außerdem bereit, auch nur jeden erdenklichen Trick aus der Kiste zu holen, um diesmal auch im Geschäft zu bleiben. 1971 mußten auf Platten, die in England verkauft wurden, 33 Prozent Steuern bezahlt werden; nur diejenigen, die in den Export gingen, waren von dieser Steuer befreit Branson entdeckte, daß es möglich war, eine Lastwagen-Ladung nach Dover zu karren, die entsprechenden Exportpapiere auszufüllen, für ein paar Stunden geschäftig und bedeutungsvoll auf den Docks herumzufahren und dann die ganze Chose auf dem schnellsten Weg wieder nach London zu schaffen. Eine ganze Ladung echt billiger (weil steuerfreier) Platten. Ha-ha-ha!

Wer weiß, wieviel Geld das Virgin-Team auf diese Weise sparte, bevor der unausweichliche Schlag der Zoll-Fahndung Richard Branson in eine zugige Zelle des Gefängnisses von Dover transportierte? Seme Mutter brachte 30000 Pfund Kaution auf, und man verurteilte Viigin schließlich zu einer Strafe von 60000 Pfund, zahlbar in monatlichen Raten. Es handelte sich um eine vergleichsweise müde Strafe, die aber dennoch einige Folgen hatte.

Plattenfirmen, die ohnehin Bransons Dumping-Preise ungern gesehen hatten, weigerten sich, die Läden weiterhin zu beliefern, Branson brachte daraufhin mit typischer Chuzpe einen Freund, der einen winzigen Plattenladen im Westend besaß, dazu, für ihn zu bestellen. Die Vertreter, die Mr. X besuchten, konnten absolut nicht kapieren, wieso er plötzlich Jausende von Platten bestellte und auch noch einen Rolls Royce fuhr“.

1973 liefen Bransons Läden so gut, daß sie das Rückgrat für die entscheidende Expansion von Virgin bilden konnten – die Schallplattenfirma. Wie gerufen tauchte zu diesem Zeitpunkt Simon Draper, Richards lang verschollener Vetter aus Südafrika, plötzlich wieder auf der Szene auf, um das Management-Team zu vervollständigen, Gleich bei dem ersten Künstler, den sie unter Vertrag nahmen, bewiesen sie eine unglaublich glückliche Hand. Mike Oldfield hatte ein Demo von TUBU-LAR BELLS zu allen Plattenfirmen in England geschleppt und war überall abgeblitzt worden. Draper, ^^^0 als großer ^^^ Fan der neuen englischen Kock musik im Uefolge von Soft Ma chine. kannte Oldfield noch ajs Gitarristen der Kevin Ayers‘ Band „The Whole World“.

Also, warum eigentlich nicht? Bei Virgin nahm man zudem jeden unter Vertrag, der auch nur im weitesten Sinne mit Soft Machine zu tun hatte – Henry Cow, Gong, Robert Wyatt. David Bedford, Lol Coxhill, Hatfield and the North. Oldfield allerdings war der einzige, der den Rubel ms Rollen brachte; sein Album ging öfter über die Ladentische als ]ede andere Rock-Platte zuvor Und doch waren die anderen Künstler, die man unter Vertrag hatte, nicht gänzlich wertlos, denn sie taten etwas fürs Image. Diese riesige Palette an ausgefallenen und exzentrischen Musikern, zu denen noch Kevin Coyne, Can, Wigwam, Klaus Schulze, Faust, Link Wray usw. zählten das machte Eindruck. Virgin wurde identifiziert als eine alternative Underground-Musik-lnstitution, und obwohl all diese Künstler längst nicht mehr im Spiel sind, bleibt auch heute der Eindruck bestehen. Virgm erscheint noch immer als ein kleines unabhängiges Label, das sich frech gegen die übermächtigen Monopole der großen Konzerne wehrt und durchsetzt. Dieses Image erhielt natürlich noch weiteren Auftrieb, als sich Virgir der Sex Pistols und des Punks annahm; ein Paradebeispiel füi den Außenseiter-Geschäftssinn von Branson.

Er und Draper hatten sich die Pistols angesehen und warer nicht beeindruckt. Dann abei wurde „Anarchy In The U.K.“ vor der EMI auf den Markt gebracht „Ich hielt die Platte für absolu fantastisch“, sagt Branson, „war aber ein paar Tage zu spät“ Er hatte jedoch gehört, daß die Pistols die Großaktionäre bei EMI (Durchschnittsalter etwa 100 Jahre) durch ihr aufmüpfiges Verhalten mehr als ins ‚Schwitzen brachten. Also rief Branson den Chef von EMI an und hinterließ die Nachricht: “ Wenn Sie sich die Peinlichkeiten ersparen wollen, die die Sex Pistols hnen zumu ten, rufen Sie mich an.“

Am gleichen Abend traten die Pistols in einer TV-Show auf und sorgten dafür, daß sämtliche alten Damen der Nation sich an ihrem Tee und ihren Gurkensandwiches verschluckten, weil fast ausschließlich von „fuck“, „piss“ und „shit“ geredet wurde. England war in Aufruhr, urplötzlich aus dem Viktorianischen Dornröschen-Schlaf wachgerüttelt, der Moderator der Show wurde gefeuert, und am nächsten Tag rief der Chef von EMI bei Virgin an, beschuldigte Branson, die ganze Sache inszeniert zu haben, bat ihn aber dennoch, dringend vorbeizukommen.

„Er sagte also zu mir; , Wir möchten die leidige Sache ein für allemal aus der Welt schaffen. Hier ist der Vertrag der Sex Pistols, und dann müßten Sie sich noch mit ihrem Manager Malcolm McLaren auseinandersetzen. ‚ Ich setzte mich in eine Ecke des Zimmers und las den 30-Seiten-Vertrag durch, sagte, er sei annehmbar und erklärte mich einverstanden, noch am Nachmittag zu unterschreiben.

Inzwischen begab sich aber McLaren, der einen Riesenspaß an dem ganzen Durcheinander hatte, zunächst zur Firma A&M und unterschrieb bei denen einen Vertrag. Nur wenige Stunden später kam °s auch bei A&M zu einem Ekiat, die Sex Pistols wurden gefeuert – und McLaren hatte 150000 Pfund mehr in der Tasche. Am nächsten Tag kam er dann zu uns. um nochmals einen Vertrag zu unterschreiben. „

Wir wußten also, daß wir es mit einem Mann zu tun hatten, der alles versuchen würde, so schnell wie möglich auch aus unserem Vertrag wieder herauszukommen, aber wir waren fest entschlossen, uns das Fell nicht über die Ohren ziehen zu lassen. Es war ein Pokerspiel, wir hatten einen Mords-Spaß, und es gibt so manche Episode aus dieser Zeit. „

Zum Beispiel, als es zu einem Gerichtstermin gegen Virgin kam, weil in einem Schaufenster das NEVER MIND THE BOL-LOCKS-Albumcover ausgestellt war und die Polizei aufgrund der angestaubten britischen

Moral-Gesetze eingriff.

„Bollocks“, so sollte vielleicht erklärt werden, gut allgemein als das Wort für jenen Körperteil den der Mann zwischen den Beinen trägt, kurz „die Eier“ genannt. Branson hatte jedoch Zweifel an der Ethymologie des Wortes und rief daher einen Linguistik-Professor an der Um versität von Nottingham an.

„Ich erklärte ihm die Geschichte, und er lachte nur: ,Oh nein, bo.locks ist nicht im entferntesten ein unzüchtiges Wort, sondern es bedeutet .Priester‘. Es handelt sich um einen Spitznamen, der den Priestern im 18. Jahrhundert gegeben wurde. Jedenfalls hat es nichts mit dem Wort „balls“ für Hoden zu tun. Es wäre mir eine Freude, vor Gericht zu erscheinen und den Nachweis zu führen. Und nebenbei gesagt, vielleicht amüsiert es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ich selbst Priester bin!'“

In den letzten Jahren hat Richard Branson wenig vergleichbar engagierte Beziehungen zu seinen Künstlern aufbauen können. Er ist ein Mann, der nach wie vor großen Enthusiasmus aufbringt, aber dadurch auch manchmal unweigerlich in die Irre geleitet wird. Zum Beispiel, als er 1976 nach Jamaika flog und dort jedem Rasta mit Dreadlocks, der einigermaßen richtig singen konnte, mit dem Scheckbuch vor der Nase herumwedelte.

“ Wir hatten herausgelunden , erinnert sich Simon Draper, „da/3 wir m Nigeria tonnenweise Reggae verkaufen konnten – und haben uns daher Massen von Musikern aufgehalst. Richard ist nach Kingston gefahren und hat tatsächlich mit jedem, der ihm über den Weg lief, einen Vertrag gemacht Das bedeutete, daß wir uns nie auf einzelne Künstler so konzentrieren konnten, wie es Chris Blackwell von Island Records tat, der ja sowieso über Reggae viel besser Bescheid weiß.

Wir machten dann schnell die Erfahrung, daß wir uns mit der Reggae-Mus‘.k nicht anfreunden konnten. Reggae-Musiker^^^m bringen enorme _^^^^^^M Probleme aufgrund der kul turellen Unterschiedlich keit mit sich; sie nähern sich auch dem Geschäft auf ganz andere Weise Schließlich bereiteten sie uns soviel Kopfschmerzen, daß wir uns mit einem Schlag von allen trennten.“

1979 mußte man sich obendrein noch von weiteren Künstlern trennen, es war ein schlechtes Jahr, von dem alle zunächst dachten, es sei ein gutes. „Wir hatten ungefähr 20 Hits mit Bands wie den Skids und den Members, aber die Hitparaden-Erfolge fanden nur m England statt. In Amerika passierte nicht die Bohne, und in Europa verkauften wir nur Mike Oldfield und Tangerine Dream wie gehabt, aber selbst da mußten wir Einbußen hinnehmen. “ 1980 wurde die Firma tatsächlich nur von der Buchhaltung über Wasser gehalten, „denn wir hatten buchstäblich alles m den Sand gesetzt“.

Das Management-Team hält dies rückblickend für eine heilsame Erfahrung. Man mußte plötzlich wieder intensiver und sorgfältiger darüber nachdenken, wen man unter Vertrag nahm. Daß sich die Firma erholte und weltweit Erfolge mit Human League, Japan. Culture Club und Simple Minds hatte und dazu auch noch national begrenzte Erfolge mit DAF und Ian Gillan kamen, ist der Beweis, daß man aus Erfahrung gelernt hat.

„Als wir anfingen“, sagt Draper, „waren wir immer sehr fixiert darauf, wie die Journalisten auf die Platten reagierten. Wir hielten eine gute Reaktion der Presse als Beweis für den künstlerischen Erfolg. Inzwischen lassen wir uns darüber keine grauen Haare mehr wachsen. Unsere Mitarbeiter verfolgen die Positionen auf den Charts, und wenn die gut sind, ist jeder auch gut drauf. Sind sie schlecht, sind die Leute deprimiert. Ich glaube, da/3 es den meisten Musikern ebenso geht. Ich bin sicher, daß die Mitglieder von .i^*c Culture Club betroffen sind über einige persönliche An griffe, aber das sind sie nur privat, und wenn man dann gleichzeitig einen Nummer-1-Hit hat, ist alles nicht mehr so schmerzlich, oder nicht 9 „

Branson hat da seine Bedenken. „Die meisten Leute hier bei uns sind doch in erster Linie Musikfans, und besonders wirkungsvoll arbeiten sie, wenn sie hinter der Musik stehen und von ihr begeistert sind. “ Er überlegt einen Augenblick. „Die einzige Ausnahme bin eigentlich nur ich. Ich bin wahrscheinlich die einzige Person m der Firma, die musikalisch nicht die geringste Integrität besitzt!“

Dieser Gedanke gefällt ihm, und er lacht ausgiebig.

„Mein Gott, dreh doch mal einer den Scheiß ab!“iu! jemand in der Presseabteilung, als für mich eine Platte gespielt wird.

„Na ja“, gluckst AI Clark, Virgin-Direktor und Spezialist für die Buch- und Film-Abteilung, „die Schaf-Platte ist ein perfektes Beispiel für Richards ziemlich infantilen Schuhungen-Humor.“

Simon Draper winkt resignierend ab. „Nein, ich kann nicht behaupten, daß ich davon auch nur im geringsten angetan bin. Die Schaf-Platte ? Ja, die Platte, die verantwort — lieh ist für die gegensätzlichen Reaktionen und Memungsver schiedenheiten, heißt „Baa-Baa Black Sheep“ und ist ein altes englisches Kinderreim-Lied, vorgetragen von The Singing Sheep, Bransons neuer Auftritt an der musi kahschen Front präsentiert auf charakteristische Weise – wieder den Außenseiter.

Richard hatte einen Anruf von seiner Tante Ciaire Hoare erhalten, die Schafhirtin der Ingworthund Blickmg-Herde mit 600 schwarzen Waliser Schafen ist. Sie hatte finanzielle Schwierigkeiten und die glorreiche Idee, daß eine gewisse Publizität vielleicht Sponsoren auf den Plan rufen könne. Sei Richard eventuell bereit auszuhelfen?

Branson und Toningenieur Andy Wild begaben sich auf die Farm, wählten eine gewisse Melanie als die gesanglich begabteste Schäfin aus, nahmen ihr Geblöke auf, arrangierten es zu einer einigermaßen anhörbaren Melodie und polierten den Sound dann mit Hilfe von Sessionmusikern auf.

Obwohl das Resultat schon so ungefähr nach einer Minute kaum mehr anhörbar ist, hat doch das Interesse an diesem plumpen Promotion-Trick selbst Branson überrascht. „Meine Tante und das Schaf waren in den vergangenen beiden Wochen viermal im britischen Fernsehen. Gestern abend waren wir in den CBS News m Amerika, und NBC hat riesige Geldsummen geboten, um die Geschichte auf andere Weise auszuwerten. In fast allen Tageszeitungen Englands haben wir Schlagzeilen gemacht. „

Der Chef der A&R-Abteilung verkündet derweil, er werde die Schaf-Platte fressen, wenn sie ein Erfolg wird. „Und dazu wird Richard ihn auch zwingen“, sagt Simon Draper. „Und er wird mit Video- Kameras die Mahlzeit filmen.“