Zwei oder drei Jahre später

Bücher von Ror Wolf zu besprechen ist keine leichte Aufgabe. Deshalb haben wir uns, den Titel seines seit vielen Jahren ersten vollständig aus neuen Texten komponierten Prosabandes ernst nehmend, ein wenig Zeit gelassen, um aber sogleich unumwunden festzuhalten: Das schmale Buch beweist erneut, weshalb recht hat, wer Ror Wolf neben den bedeutenden Vertretern der Neuen Frankfurter Schule und ein paar wenigen anderen zum wahrlich Kostbaren der deutschen Literatur seit 1945 zählt. Es fasst 47 teils groteske, teils finstere, vor allem jedoch komische „Ausschweifungen“ zusammen, die bisweilen nur wenige Sätze umfassen. Wolf spielt mit vielerlei Formen der Irreführung und Karambolage, zumal wenn er den lakonischen Ton des Zeitungsberichts bemüht, um den Lauf des Alltags in unerhörten Geschehnissen einzufangen, in Erzählungen über die Zustände in Köln zum Beispiel oder über, „die langsam verdunstende Stadt“ Berlin. Allein in einer Überschrift wie „Eines Tages wurde die Tür aufgerissen“ ist mehr Welt enthalten als in jedem Thomas-Mann-Schwatzwälzer, und die nachfolgenden Zeilen der Miniatur entfalten eine Wohligkeit, die nur Ror Wolf herzustellen vermag. Rezensieren wir weniger und zitieren wir noch ein wenig von einem Dichter, dessen musikalischer, unvergleichlich rhythmisierter Stil auch von seiner großen verstehenden Liebe zum Jazz lebt. Säßen im Stockholmer Komitee nicht bloß Deppen, schon für die erste Geschichte und deren Eröffnungssatz müsste Ror Wolf der Literaturnobelpreis gleich zweimal hintereinander verliehen werden.

„Ein Mann, ein Geiger, ein unbekannter Geiger, dessen Name mir beim besten Willen nicht einfallen will, sagte, ats man ihn in einem Wirtshaus in Gletsch bat, ein wenig zu geigen, dass er seine Geige vergessen oder vielmehr verloren habe.“ Und sehr viel mehr verraten wir über den weiteren Vorgang nicht; sondern entlassen den Leser zum Lesen mit folgenden Worten-. „Damit sind natürlich längst nicht alle Fragen zu dieser Sache gestellt, aber einige doch. „